Dieter Ilg – Motherland
(63:27, CD, Digital, Vinyl; Jazzline, 28.02.2025)
Bollenhut? Also dieser Hingucker und der erste Song namens ‘Schwarzwaldfahrt’ lassen mich schmunzeln und nehmen mich gleich mit auf die besagte Fahrt. Dazu kommt, dass dieser Song mir sofort bekannt vorkommt, stammt die Melodie doch vom deutschen Pianisten Horst Jankowski. Till Brönner macht auf der Trompete Dinge, von denen vermutlich 99% aller Trompeter nur träumen können. Der fette Kontrabass macht Spaß und groovt was die Saiten hergeben. Sehr guter Anfang. Während die Musik weiterspielt, lese ich alle Infos über Dieter Ilg und lerne, dass der gebürtige Schwarzwälder schon 25 Alben als Leader oder Co-Leader herausgebracht hat und dass sein hier performendes Trio seit gut 16 Jahren zusammen spielt. Das erklärt den Groove im Zusammenspiel, die Männer haben schon unzählige Stunden zusammen gearbeitet und wissen was zu tun ist.
Interessant ist die Auswahl der Stücke: Zwei davon (‘Glorious’ und ‘Menuet’) basieren auf klassischen Werken von Georg Friedrich Händel, die liebevoll in die Welt des Jazz portiert wurden. Das ist übrigens ein Markenzeichen von Dieter Ilg, der schon etliche Alben mit verjazzten Interpretationen von klassischen Werken herausgebracht hat. Zwei weitere Stücke sind Interpretationen von neuzeitlichen Klassikern (‘People make the world go round‘ von Thomas Bell/The Stylistics und ‘Close to you‘ von Burt Bacharach ) und überzeugen mich, denn die Essenz jedes Songs wurde sehr schön aufgegriffen und neu interpretiert. Till Brönner ist hierbei nicht nur die Kirsche auf der Schwarzwaldtorte, sondern auch Schokoraspeln und luftige Creme zugleich. Und nun komme ich zum eigentlichen Problem dieses ganzen Albums: Abgesehen von den exzellenten Musikern und dem Wiedererkennungswert bekannter Melodien plätschert dieses Album leider hotellobbymäßig an den Ohren vorbei und äußerst selten horcht der Proggie auf. Wenn überhaupt, dann eher weil der Kontrabass wirklich starke Passagen hat, weil der Schlagzeuger erkennbar klasse ist, weil der Pianist richtig toll spielt und natürlich ist da der Schokoguss von Till Brönner. Nur: will ich Jazz hören? Als Proggie und Rezensentin für Betreutes Proggen erhoffe ich mir Aha- und Wow-Momente und leider erlebe ich davon nichts. Es ist einfach nur solide gemachter Jazz, der nur mit Konzentration präsent bleibt, ohne zu Backgroundjazz zu mutieren. Schade. Die eigenen Kompositionen auf diesem Album sind nett, aber nicht mehr. Mag sein, dass dieses Album Jazzfans im traditionellen Sinn mitreißt, mich jedoch eher weniger.
Bewertung: 8/15 Punkten
Tracklist:
1. Schwarzwaldfahrt feat. Till Brönner 06:17
2. Anundfürsich 04:05
3. Glorious 04:31
4. Soil 05:38
5. Motherland 06:01
6. Time For A Change 07:07
7. Menuet 06:45
8. People Make The World Go Round 08:34
9. B 04:44
10. Close To You feat. Till Brönner 05:25
11. Its Time To Change 04:09
Line-up:
Dieter Ilg – bass
Rainer Böhm – piano
Patrice Héral – drums
Till Brönner – Trompete und Flügelhorn (Tracks 1 und 11)
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Abbildung: Dieter Ilg