Archive, Black Doldrums, 03.02.25, Esch-Uelzecht (LU), Rockhal Club

Classic Albums Live: “You All Look The Same To Me” & “Controlling Crowds”


Seit ich Archive vor vielen vielen Jahren mit ihrem dritten Studio-Album “You All Look The Same To Me” entdeckt habe, habe ich ich einen Besen an dem Londoner Kollektiv gefressen. Ein zeitloser Klassiker zwischen Alternative Rock, Progressive Rock und Trip Hop. Da war es sogar begrüßenswert, das Archive ihren Stil über die Jahre immer wieder veränderten und weiterentwickelten, denn eine Wiederholung der Formel dieses Albums wäre immer nur eine schlechte Kopie des Originals gewesen. So folgten weitere Klassiker wie “Controlling Crowds” oder “Call To Arms & Angels”. Doch an die Magie ihres Drittlings reichten Archive nie wieder heran.
So war meine Freude riesig, als im Juli 2024 eine Classic Albums Tour angekündigt wurde. Eine Konzertreise, die Archive jeweils für zwei Auftritte an aufeinander folgenden Tagen in eine Stadt führen sollte. Während am ersten Abend “You All Look The Same To Me” und dessen Nachfolgealbum “Noise” auf dem Programm stehen würden, kündigte man für den zweiten Tag die Aufführung der beiden “Controlling Crowds”-Alben an. Die einzigen Deutschlandkonzerte sollten in Berlin stattfinden, was für mich zu weit entfernt war. So orderte ich ohne groß zu zögern zwei Tickets für die Auftritte im nahe gelegenen belgischen Seraing. Man gönnt sich ja sonst nicht!?

Vielleicht doch. Denn als später weitere Tourdaten angekündigt wurden, allerdings mit jeweils nur einem Konzert pro Stadt, war auch das luxemburgische Esch mit dabei. Auf dem Programm standen für diese Abende die zwei vielleicht größten und beliebtesten Alben der Band: “You All Look The Same To Me” und “Controlling Crowds”. Manchmal gönnt man sich eben etwas mehr!

Black Doldrums

Opener für Archive war bei dieser Tournee das englische Trio Black Doldrums. Eine Band, die stilistisch Ähnlichkeiten zu The Cure, New Order und Årabrot aufweist und zudem mit Elementen aus Shoegaze, Post Rock und Drone experimentierte.


Black Doldrums erzeugten mithilfe von Gitarre, Bass und Schlagzeug ein dichtes Soundgerüst, das durch eingespielte Synthiesounds an zusätzlicher Tiefe gewann. Rhythmisch wies der Klang der Band innerhalb einzelner Stücke nur wenig Abwechslung auf, wirkte aufgrund des repetitiven Schlagzeugs und des treibenden Basses dafür aber enorm hypnotisierend. Ein Grundgerüst wie ein mechanisches Uhrwerk, über dem Gitarrensounds zwischen Gaze und Post Rock zu schweben schienen. Dazu der akzentuierte Gesang von Frontmann Kevin Goddart, der der Band eine ansprechende Dark-Wave- und Post-Punk- Note verlieh.



Es war Musik die leidenschaftlich und eigentlich verdammt tanzbar war, beim Luxemburger Publikum aber leider nur verhaltene Reaktionen auslöste. Da hatten die Engländer eigentlich mehr verdient gehabt.

Besetzung:
Kevin Goddard (Gitarre/Gesang)
Sophie Landers (Schlagzeug)
Daniel Armstrong (Bass)


Archive

Nachdem im Zusammenhang mit dem jüngste Reissues von “You All Look The Same To Me” auch ein teils neu eingespielter Track namens ‘Personal Army’ veröffentlicht wurde, stand die große Frage bzw. vielmehr die leise Hoffnung im Raum, dass der damalige Archive-Sänger Craig Walker für die “Classic Albums Live 2025”-Tournee zum Kollektiv zurückkehren würde. Zudem war im Vorfeld dieser Tour noch unklar gewesen, ob Rosko John ein weiteres Mal die Rap-Parts bei “Controlling Crowds” übernehmen würde und welche Sängerin das Kollektiv dieses Mal auf bei seinen Auftritte begleiten würde.



Wer allzu große Hoffnungen auf die Rückkehr von Craig Walker und Rosko John gesetzt hatte, der sollte an diesem Abend enttäuscht werden. Pollard Berrier und Dave Pen übernahmen auch in Luxemburg genau wie auch in den zurückliegenden knapp 20 Jahren alle Parts von Craig Walker. Maria Q war leider nicht in der Lage, an dieser Tour teilzunehmen, so dass die weiblichen Stimmen dieses Mal ausschließlich von Lisa Mottram wahrgenommen wurden. Für die Rap-Parts von Rosko John hingegen fand man adäquaten Ersatz in Person von Neuzugang Jimmy Collins.

Bis man Mottram und Collins zu Gesicht und Gehör bekam, sollte allerings noch einige Zeit verstreichen.

So startete das Konzert direkt mit einem doppelten Paukenschlag in Form des epischen ‘Controlling Crowds’ und der treibendem Single ‘Bullets’, den beiden ersten Stücken des “Controlling Crowds”-Albums. Für kurze Zeit kam so die Hoffnung auf, das Archive, anders als in der Vergangenheit, die ersten drei Teile ihres Konzeptalbums endlich einmal in der originalen Reihenfolge spielen könnten. Aber Pustekuchen, denn Dinge, die konzeptionell vielleicht Sinn ergeben würden, sind der Dynamik eines Konzertes nicht unbedingt förderlich. So verzichtete man an dieser Stelle auf das etwas ruhigere ‘Words On Signs’ und legte stattdessen mit einem großartigen ‘Kings Of Speed’ nach.



Optisch gab es bei Archive übrigens nichts Neues zu beobachten. Es gab keine Projektion und eine ähnliche Lightshow wie schon auf der letzten Tour. Die Positionierung der Musiker blieb unverändet: Smiley mittig im Hintergrund der Bühne hinter seinem Schlagzeug, flankiert von den reserviert auftretenden Mike Hurcombe an der Gitarre und Jonathan Noyce am Bass. Eine Reihe davor, an den Seiten der Bühne, die beiden Masterminds Darius Keeler und Danny Griffiths hinter ihren Keyboard, und dazwischen, die beiden Sänger mit ihren Gitarren. Allesamt gekleidet in schwarze Kleidung, auf welcher an der Schulter das Archive-Logo prangte. Dass Pollard auch dieses mal nicht ohne seinen Hut auf der Bühne stand, sei an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Und auch das Bühnengebaren der Musiker war das gleiche wie immer. Darius halb tanzend, mit erhobenem Arm in der Luft hinter seinen Keyboards, Danny dagegen hoch konzentriert und in sich gekehrt hinter dem seinen. Pollard immer wieder mit ausgebreiteten Armen, aber ansonsten recht statisch und Dave, dessen Gesicht beim Singen ganz oft hinter den eigenen Händen verschwand. Wirkliche Dynamik kam erst auf die Bühne, als das Kollektiv ‘Bastardized Ink’ anstimmte und, neben Lisa Mottram auch Rapper Johnny die Bühne betrat.


Dass manche Leute bis heute denken, dass Rap nicht zum Sound des Kollektivs passen würde, der hat noch immer nicht verstanden, wie gut dieser Gesangstil für die Dynamik des Bandsounds ist und wie gut er zu den Trip-Hop-Anteilen im Klangbild passt.

‘Collapse/Collide’ war dann der erste wirklich große Moment für Lisa Mottram, bei dem die Sängerin das Publikum für fast zehn Minuten mit einer intensiven gesanglichen Leistung in ihren Bann schlug. Ein kleines Meisterwerk das im Anschluss von fetten Beats und monotonem Gesang in Form von ‘Clones’ abgelöst wurde.



Das man bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts aus der Post-Walker-Ära gehört hatte schien nur die Wenigsten gestört zu haben. Trotzdem war die Freude, die im Publikum vernehmbar war, als ein monotoner Rhythmus und das immer wieder wiederholte Wörtchen ‘Numb’ ein fulminantes musikalisches Feuerwerk einleitete, das von einer flackernden, grellen Lightshow begleitet wurde, die äußerst ungeeignet für alle Epileptiker gewesen wäre.

Das anschließende ‘Word On Signs’ war da schon um einiges getragener und bohrte sich mit seinem einprägsamen, dreistimmigen Chorus schnell in jeden Gehörgang ein und begeisterte mit seinen Gitarren- und Pianoklängen einen jeden Prog-Fan… Es war der Auftakt zu zwei weiteren eher ruhigen Stücken, nämlich dem von Lisa Mottram vorgetragenen ‘Whore’ und der zerbrechlichen, ebenfalls von Lisa eingesungenen Pianoballade ‘Now And Then’. Es war die Ruhe vor dem Sturm, die perfekte Einstimmung auf das was in den nächsten 15 Minuten folgen sollte, denn mit “Finding It So Hard” packten Keeler, Griffiths und Co. endlich den ersten der beiden Longtracks aus, die maßgeblich für den Erfolg von “You All Look The Same To Me” verantwortlich waren. Eingängige Trip-Hop-Beats, der hypnotisierende Gesang von Dave Penn, die sanft und wabernden Synthies, und die vielen in die Länge gezogenen Noten die sich kaum merkbar, aber stetig verändern und dafür sorgten, dass die Stimmung immer intensiver wurde. Und dann am Ende, die immer intensiver werdende Rhythmik, überwältigende Drones und ein Crescendo, das in bester Post-Rock-Tradition steht. Was für ein Trip!


Leichte Lounge-Atmosphäre kam dann beim von Pollard Berrier eingesungenen Groove-Monster ‘Fool’ auf, bevor Jimmy Collins für ‘Razed To The Ground’ noch einmal für eine energetische Hip-Hop-Einlage auf die Bühne zurückkehrte und dabei eindringlich unterstrich, wie abwechslungsreich das Song-Repertoire von Archive ist. Vor allem, da im Anschluss das mächtige ‘Funeral’ folghte und den Hauptteil des Sets zu einem würdigen Abschluss brachte.


Dass nicht alle Stücke der beiden Alben an diesem Abend gespielt werden würden, dürfte eigentlich jedem klar gewesen sein, der zu diesem Zeitpunk einmal auf die Uhr geschaut hatte, denn die Zeit war einfach schon viel zu weit fortgeschritten. So verzichtete man auf ‘Quiet Time’ von “Controlling Crowds” und ganze fünf (!) Stücke von “You All Look The Same To Me”, darunter einen Klassiker wie ‘Goodbye’.

Aber das war Jammern auf hohem Niveau, denn wer nach den beiden nun folgenden, überragenden Zugaben mit traurigem Gemüt heim ging, dem war nun wirklich nicht mehr zu helfen. Denn beim Bandklassiker ‘Again’ ließ die Magie der Musik für fast eine viertel Stunde die Zeit still stehen, bevor Archive ihr Publikum mit ‘Dangervisit’ noch einmal aus ihren Träumen erweckten und den Abend mit den Mantra-artig vorgetragenen Worten “Feel, trust, obey” und einem hochenergetischen Finale Furioso in die Nacht entließen!

Besetzung:
Darius Keeler – Keyboards
Danny Griffiths – Keyboards
Pollard Berrier – Gesang, Gitarre
Dave Pen – Gesang, Gitarre
Mike Hurcombe – Gitarre
Jonathan Noyce – Bass
Steve Barnard – Schlagzeug
Lisa Mottram – Gesang
Jimmy Collins – Rap

Archive Setlist Rockhal Club, Esch-sur-Alzette, Luxembourg, Classic Albums Live 2025


Fotos: Prog In Focus

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“You All Look The Same To Me / Noise” (Reissue) (2002/2004/2024)
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Interviews:
Darius Keeler About “Call To Arms & Angels”, Genres, Influences & Red Lines (2022)
Darius Keeler über “Call To Arms & Angels”, Genres, Einflüsse und Rote Linien (2022)
Liveberichte:
17.11.23, Esch-Uelzecht (LU), Rockhal Club
26.10.23, Wiesbaden, Schlachthof
31.10.19, Köln, E-Werk

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