(1:06:23; Vinyl, CD, Digital; Sony Music, 24.01.2025)
Längst ist das Kollektiv um den Charismaten Einar Selvik ein norwegischer Export-Schlager, und auch hierzulande landete die letzte Veröffentlichung weit oben in den Vinyl-Charts. Viking ist in oder hip, wie man mittlerweile gerne sagt, selbst in der Erfolgsserie “Vikings” blieb ein Mitwirken des Epochen-Wanderers nicht aus. Mit “Birna” (altnordisch für Bärin) begeben sich Wardruna auf die Reise zu einem der ältesten Totems und Mythenwesen. Mit Respekt und ritueller Ehrfurcht betrachteten bereits die ältesten unserer Vorfahren den Bären als Identifikationsfigur, verstanden ihn gleichzeitig als Gefahr, Gegner, aber auch spirituellen Wegbereiter. Nicht umsonst bedeutet in einigen Kulturen “den Weg des Bären beschreiten”, seinen selbstbestimmten Weg im Leben zu finden. Der nie ruhende künstlerische Geist von Selvik ruft nun nach Birna, der Hüterin des Waldes. Viel zu lange lag sie in einem langen Winterschlaf, der gleichsam der fortschreitenden Verdrängung der wichtigen Lebensräume durch den Menschen gemahnt.
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Nach dem bereits wesentlich opulenteren “Kvitravn” (2021) geht man auch auf “Birna” diesen orchestralen Pfad im weitesten Sinne weiter. Normalerweise schlägt das Herz eines schlafenden Bären nur neun Mal in der Minute. Das Erwachen des Bären, dessen Lebenspuls, demonstriert die Band mit sanften Percussions im eröffnenden ‘Hertan’ (Herz). Ein dichter Sound-Teppich, die Maultrommel und intensivere Percussions formen den üblich rituell opulenten Habitus der Band, den jeder Anhänger längst liebgewonnen hat. Die punktuell fein sezierten, ambienten Kunstpausen profitieren vom mittlerweile hochprofessionellen Sound, der natürlich für die Puristen mancher älterer Veröffentlichungen ein kleiner Dorn im Auge sein könnte. Ein typischer Wardruna-Einstieg allemal, Selvik leidet und schmachtet, der Hintergrund-Chor tut sein Übriges, um dem nordischen Bombast-Folk mit Opulenz gehörigen Nachdruck zu verleihen. Meditativ, melancholisch, mit vorsichtigen Percussions weiß der Titelsong mit feinen, ätherisch-rituellen, an Lisa Gerrard gemahnenden Vocals von Lindy-Fay Hella zu verzaubern. Auch hier wird Step by Step ein Teppich mit Weite erzeugenden cineastischen Bildern ausgerollt. Wunderschöne männliche/weibliche Gesänge tragen den Hörer weit über entlegenste Wipfel in den alten Norden, in menschenleere Universen.
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Mit etwas traditionellerem Anstrich kommen folkloristischen Oden wie ‘Ljos til Jord’ und ‘Jord til Ljos’ daher, die vom überraschenden Dark-Ambient-Stück ‘Dvaledraumar’ unterbrochen sind, bei dem der sonst bombastische Verlauf für knapp fünfzehn Minuten in die rituelle Stille, in des Bären Höhle führt. Wenige Herzschläge, Selvik phrasiert puristisch über minimalste Sound-Felder – die liebe Lindy-Fay raunt sanft im Hintergrund. Ein surrealer, meditativer Klangraum – es ist einfach wundervoll, dieses Innehalten. In meiner subjektiven Wahrnehmung ist diese Oase das Album-Herzstück schlechthin.
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‘Himinndotter’ (Himmelstochter) hat fantastische Chöre, eine eindringliche und unverkennbare Melodik, ist klanglich bei Kerzenschein mit seinen rituellen Einschüben reine musikalische Transzendenz, während das einfache und karge ‘Hibjørnen’ an frühere Album-Momente wie auf “Skald” gemahnt. Das rituell fast aufpeitschende ‘Skullehesten’ erinnert mit seinen fordernden Akkorden und Rhythmen daran, dass Selvik in früherer Zeit dem Black Metal nahe stand, ohne tatsächlich in die Stilistik zu verfallen. Mit flüsterndem Sprechgesang, knisternden Waldgeräuschen führt ‘Tretale’ ganz tief in des Waldes Dickicht. Simpel, mit hintergründigen Percussions und später sehr liebevollen Sound-Details und pathetischem Gesang nebst Maultrommel, bleibt man auch hier sehr geheimnisvoll. Das opulente, epische ‘Lyfjaberg’ (heilender Berg) beendet dieses erneut sehr epische Schauspiel nordischer Klangkunst. Die Vermählung alter Melodien und traditioneller Instrumente mit den Stilmitteln der Moderne zeigen Wardruna mit vielen Gast-Musikern erneut sehr präsent und wach. Selvik ist ein moderner Schamane, ein Prediger und Weltenvereiner, der mit der musikalischen Auslegung auf “Birna” sicher beide Lager von Fans erneut verzücken wird. Ich durfte die Band schon oft live erleben, es wird mit diesen neuen Songs einiges an beeindruckendem Zuwachs in der Performance geben. Den übergroßen Hit findet man diesmal nicht. “Birna” strahlt als hypnotisches Ganzes wie ein imaginärer Soundtrack, und die Norweger rufen nach der Hüterin des Waldes in einer immer naturfeindlicheren Welt.
Bewertung: 13/15 Punkten
Line-Up:
Einar Selvik – Gesang, Taglharpa, Kravik Leier, Bukkehorn
Lindy-Fay Hella – Gesang
Arne Sandvoll – Percussion, Hintergrundgesang
Sondre Veland – Percussion, Hintergrundgesang
Eilif Gundersen – Bukkehorn, Lure, Flöte, Hintergrundgesang
HC Dalgaard – Schlagzeug, Percussion, Hintergrundgesang
John Stenersen – Moraharpa
Diskografie (Studioalben):
“Skald” (2018)
“Kvitravn” (2021)
“Birna” (2025)
Surftipps zu Wardruna
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Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Sailor-Entertainment zur Verfügung gestellt.