Steve Hackett – Live Magic At Trading Boundaries
(57:56; Vinyl (2LP), CD, Digital; InsideOut Music/Sony Music, 17.01.2025)
Steve Hackett ist einer jener Künstler, bei dem die Flut an Veröffentlichungen niemals abzureißen scheint. Ein neues Studioalbum hier, ein Reissue dort und immer wieder Konzertmitschnitte, mal von seinem Genesis-Programm und dann wieder mit Solo-Nummern.
“Bitte nicht schon wieder,!” möchte man da rufen, wenn dann schon wieder eine neue Live-Veröffentlichung angekündigt wird. Irgendwann reicht es doch wirklich mal, oder?
Wahrscheinlich. Allerdings noch nicht jetzt. Denn “Live Magic At Trading Boundaries” ist tatsächlich eine Sammlung von Live-Aufnahmen, wie es sie von früheren Genesis-Gitarristen so noch nicht gegeben hat und die durchaus hörenswert ist. Auch für all jene, die denken, dass sie von Hackett alles gehört haben.
Wer sich mit dem Engländer ein wenig auskennt, der weiß vielleicht, dass der Musiker alljährlich in der Weihnachtszeit ein Konzert im Trading Boundaries in Sheffield Green in der englischen Grafschaft East Sussex spielt, bei dem es ausschließlich akustische Nummern und stripped-down-Versionen aus seinem umfangreichen Songmaterial gibt, bzw. kleine Ausschnitte mit eben jenen Passagen, die schon im Original auf der akustischen Gitarre gespielt wurden.
It’s always a joy for me to play at Trading Boundaries, a magical intimate place full of beautiful lights and exotic imagery, illuminating the darkest time of year over Christmas and New Year… It’s the perfect location for my acoustic set.
Allerdings handelt es sich bei dieser Veröffentlichung um keinen Mitschnitt eines einzigen Konzertes, sondern um Aufnahmen, die über viele Jahre hinweg entstanden sind. So ist Steve Hackett bei manchen Liedern ganz alleine solo an der Akustischen zu hören, bei anderen wird er von langjährigen Weggefährten begleitet.
Von seinem Bruder John an der Flöte, Roger King an den Tasten, Rob Townsend an Flöte und Saxofon sowie Amanda Lehmann mit Gitarre und Gesang. Insgesamt gibt es auf dieser Sammlung 17 Stücke zu hören. Darunter sind nicht nur Songs von Hacketts Soloalben, sondern auch fünf Lieder aus seiner Zeit bei Genesis.
In den ersten fünf Stücken ist dabei ausschließlich Steve Hackett auf seiner Akustikgitarre zu hören. Auf eine Improvisation folgt das “Wind & Wuthering”-Stück ‘Blood On The Rooftops’, von dem es leider nur die Einleitung zu hören gibt. ‘Barren Land’ (“Bay Of Kings”) hingegen wird in einer sehr reduzierten Variante präsentiert, in der sich Hackett aufs Wesentliche des Stückes konzentriert. ‘Black Light’ (“Bay Of Kings”) wiederum ist Gitarrengezupfe der Meisterklasse, dem man gerne stundenlang zuhören würde, aber leider nicht darf. Und im anschließenden ‘Horizons’ (“Foxtrott”) präsentiert Hackett diesen typischen englischen, ja viktorianischen Sound, den man mit den alten Genesis so gerne assoziierte und den man nach seinem Weggang von der Band so schmerzlich vermisste.
‘Jacuzzi’ (“Defector”) ist dann das erste Stück, bei dem neben Hackett auch noch andere Musiker zu hören sind. John Hackett und Rob Townsend bezaubern hier mit ihren Flötenklängen und harmonieren bestens mit dem Maestro an der Gitarre, besonders wenn die drei zum fulminanten Ende ausholen. Es folgen drei weitere Genesis-Stücke, wobei es sich bei ‘Supper’s Ready’ eigentlich nur um einen Auszug aus dessen fünften Teil ‘Willow Farm’ handelt, nämlich das (hier von John Hackett gespielte) Flötensolo gegen Ende des Stückes, das von Steve und Roger King begleitet wird. Dass die sich normalerweise anschließende ‘Apocalypse in 9/8’ hier ausbleibt, liegt wahrscheinlich einfach daran, wie himmlisch die Musiker hier miteinander harmonieren. Dem Namen nach passt ‘After The Ordeal’ (“Selling England By The Pound”) da eigentlich überhaupt nicht. Musikalisch allerdings fügt sich dieses Instrumental wunderbar ein, denn King und Hackett verleihen dem schon im Original wohlklingenden Stück eine Extraportion Zartheit. Das auf “The Lamb Lies Down On Broadway” oft überhörte ‘Hairless Heart’ mutiert im Anschluss zu einem der Highlights der Platte, vor allem deswegen, dass sich die Musiker hier die Freiheit gönnen, ein wenig zu improvisieren.
Im Folgenden wird diese Sammlung von Live-Aufnahmen immer abwechslungsreicher.
‘Jazz On A Summer’s Night’ ist musikalisch zwischen Folk und Barockmusik verortet, wirkt aber aufgrund der (wohl einen Vogel-Gesang imitierenden) Piccolo-Flöte viel leichtfüßiger als die Version auf ‘Hungarian Horizons’. Noch stärker im Mittelpunkt des Geschehens steht John Hacketts Flötenspiel bei ‘Gnossienne No. 1’ vom Geschwisteralbum “Sketches Of Satie”. Roger King und Steve Hackett dienen hier lediglich als Begleitmusiker, die John hier einen musikalischen roten Teppich ausrollen. Auf ‘Walking Away From Rainbows’ (“Guitar Noir”) tritt Rob Townsend erstmals maßgeblich am Saxofon in Erscheinung und glänzt mit verträumten Klängen, die sich federleicht um das Gitarrenspiel Steve Hacketts herumschlängeln. Opulent wird es beim anschließenden ‘Poulenc Organ Concerto’, das von Orgelklängen dominiert wird, zwischen denen sich Flöte und Gitarre breit machen, um den Raum mit Jazzklängen auszufüllen. Ein nächster Stimmungswechsel steht mit ‘The Red Flower Of Tachai Blooms Everywhere’ aus dem “Spectral Mornings”-Album ins Haus, das musikalisch in den fernen Osten entführt und nach den wilden Orgelklängen die Leichtigkeit zurückbringt. ‘Hands Of The Priestess’ von Hacketts Solodebüt “Voyage Of The Acolyte” wirkt noch sanfter als die ohnehin schon unglaublich geschmeidige Studioversion und wurde zur Freude aller Fans auf fast sechs Minuten Länge ausgedehnt.
Wer nun denkt, dass es sich bei “Live Magic At Trading Boundaries” um ein reines Instrumentalalbum handelt, hat die Rechnung ohne Amanda Lehmann gemacht, deren liebliche Stimme bei den folgenden beiden Stücken, ‘Memory Lane’ und ‘Only Happy When It Rains’, zu hören ist. Beide stammen von ihrem 2022er Soloalbum “Innocence And Illusion” und stellen einen starken Kontrast zum Rest der Platte dar. Dass Steve Hackett bei letzterer Nummer an der Mundharmonika zu hören ist, stellt dabei die vielleicht größte Überraschung dieses Albums dar. Trotz dieser Verschiedenheit geht die homogene Stimmung des Albums auch hier nicht verloren, da die Intimität der Venue und der Auftritte allgegenwärtig bleibt.
Den Abschluss der Platte bilden dann zwei Stücke, die beide aus der Feder Hacketts stammen und “Live Magic At Trading Boundaries” auf bezaubernde Weise ausklingen lassen. Zum einen das als Single veröffentlichte ‘Ace Of Wands’ (“Voyage Of The Acolyte”), zum anderen das von “Bay Of Kings” stammende ‘The Journey’.
Wer diese beiden Interpretationen hört, der weiß, dass diese Sammlung wirklich den Namen “Live Magic” verdient hat. Da kann man nur hoffen, dass Hackett mit solch einem Programm dann auch einmal in unsere Breiten kommt – und dann bitte auch an den dazu passenden, intimen Orten auftritt.
Bewertung: 11/15 Punkten
Live Magic At Trading Boundaries (24-bit HD audio) von Steve Hackett
Besetzung:
Steve Hackett
John Hackett – Flöte
Roger King – Tasten
Amanda Lehmann – Gitarre und Gesang
Rob Townsend – Flöte und Saxophon
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Rezensionen:
“Momentum” (1988/2024)</a
“Bay Of Kings” (1983/2024)
“The Circus And The Nightwhale” (2024)
“Genesis Revisited Live – Seconds Out & More” (2022)
“Surrender Of Silence” (2021)
“Under A Mediterranean Sky” (2021)
“Selling England By The Pound & Spectral Mornings – Live At Hammersmith” (2020)
“Genesis Revisited Band & Orchestra: Live” (2019)
“At The Edge Of Light” (2019)
“Wuthering Nights: Live in Birmingham” (2018)
“The Night Siren” (2017)
“The Total Experience Live In Liverpool” (2016)
“The Charisma Years 1975-1983” (1975-1983/2016)
“Defector” (1980/2016)
“Spectral Mornings” (1979/2016)
“Please Don’t Touch” (1978/2016)
“The Man, The Music – The life and art of one of the true pioneers of progressive rock” (2015)
“Wolflight” (2015)
“Beyond The Shrouded Horizon (2011)
“Live Rails” (2011)
Wild Orchids (2005)
“Metamorpheus” (2005)
“To Watch The Storms” (2003)
“Somewhere In South America… Live In Buenos Aires” (2003)
Liveberichte:
10.03.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle
12.04.17, Bochum, RuhrCongress
19.07.15, Sankt Goarshausen, Loreley, Night Of The Prog Festival X
Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Oktober Promotion zur Verfügung gestellt.