(40:44; CD, Digital; Tide Records, 23.01.2025)
Ich gestehe, trotz meiner Affinität zu melancholischem New Artrock und als bekennender Porcupine-Tree-Fan sind mir die italienischen Veteranen von Sailor Free (Bandgründung in den frühen 90s) bis dato durch die Lappen gegangen. Die metaphergetränkte Story um Entropia – eine geheimnisvolle, energiespendende Quelle für die Menschheit – führt dann eher mal zur zynischen, mal melancholischen Innenschau, einer Auseinandersetzung mit den eigenen persönlichen Kämpfen und Widrigkeiten, die sich auch im eher düsteren, introspektiven New Artrock abbildet. Mit knapp 40 Minuten bleibt man überschaubar und überfordert nicht, was gerade bei konzeptionellen Alben oft ein Problem darstellt. Kurze, knackige, gut auf den Punkt komponierte Sounds zwischen sanft und partiell kantig (nie wirklich metallisch) bestimmen die Szenerie. Ich musste bei den ersten Durchläufen an Porcupine Tree zu “In Absentia” oder “Fear Of A Blank Planet”-Zeiten denken – Klone-, OSI- und Riverside-Fans dürfen sich hier ebenfalls gerne neugierig zeigen.
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Nach kurzem Intro startet man in ‘Incognito’ mit Piano, sanften Vocals, sphärischen Sounds, die sich dann nach und nach verdichten und in einer schwerfälligen, drückenden Variante des New Artrock ihren Ausdruck finden. Alles ist angenehm in grauen, braunen, eher dunklen Tönen gezeichnet. Die melancholische Spielwiese zwischen zart und massiv (siehe Steven Wilson) wird jeden Genre-Fan wohlwollend in die Aufmerksamkeit holen. Die Stimme von David Petrosino trifft für diese Art Sound genau die richtigen Töne. Der Mastermind hat eher das fragile Timbre zwischen Pineapple Thief und Porcupine Tree, aber auch Freunde von Anathema und den eher ruhigen Katatonia könnten ihr Auskommen darin finden. Schön integrierte Streicher und elektronische Details halten den Song spannend und abwechslungsreich. Die eingängige Halbballade ‘All I Need’ lebt von einer sehnsüchtigen Melodie, die hängen bleibt und ein bisschen auch an die Landsleute von Nosound erinnert, während ‘The Ghoul Within’ mit eher metallisch kantigen Riffs so richtig schön stochert und drückt. Da sind dann eher Tool, A Perfect Circle und wahlweise OSI als Referenz ein nicht zu weit hergeholter Querverweis. ‘So Beautiful’ hat mit vielen akustischen, sehr melodiösen Arrangements einen eher melancholischen Singer-Songwriter-Touch, ist damit sehr nah am Muckertum von Steven Wilson und Bruce Soord in ihren weniger proggigen Momenten – sehr schön und mit viel Wehmut aufgeladen.
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‘Not For Me’ rockt erst etwas bedrückt vor sich hin, hat dann mit spannenden Tin-Whistle-Einschüben kleine kreative Momente und nimmt mit dynamischer Steigerung und mehrstimmigen Vocals gut an Fahrt auf. Dunkel, slow und etwas verschoben experimentell gestaltet sich ‘Let Me In’. Schräge Streicher, Elektronik, verfremdeter Gesang und harsche Riffs haben einen sympathischen Puscifer-Touch. Mit etwas mehr Mut zur Wall of Sound hätte dieser und manch anderer Song Richtung sechs bis sieben Minuten mit mehr Verdichtung richtig Masse auffahren können. ‘Disappear’ will nicht durch die Decke, phrasiert eher im harmonisch-wehmütigen Stil eines Bruce Soord. Mit der Hinzunahme eines Saxophons gewinnt der Song an Farbe, und auch hier lässt die Steigerung gen Ende nur erahnen, wohin man so manches Mal mit noch mehr Druck die Songs hätte episch ausufern lassen können. ‘Gambling’ schleppt sich ebenfalls rockig mit feinen Details in den Gitarren und sanfter Intensivierung ins Ziel, während ‘The Watcher’ als Instrumental ein durchgehend starkes New Artrock-Album abschließt, das mit vielen Details in den Arrangements und einem eher unspektakulären, melancholischen Gesangsstil gut zu unterhalten weiß.
Sailor Free kommen nicht ganz an die Helden des Genres heran, werden aber mit diesem sehr starken Songmaterial auch niemanden im erweiterten Hörerkreis der oben genannten Bands enttäuschen. Das ist garantiert. Wenn man richtig lange Songs mit Spannungsbögen sucht, wird man hier nicht fündig. Wie bereits mehrfach angesprochen, glaube ich, dass es drei bis vier Songs richtig gut getan hätte, wenn die Musiker die Power- und Dynamik-Kurven ein wenig mehr herausgekitzelt hätten.
Bewertung: 11/15 Punkten
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Line-up:
David Petrosino – Vocals, Piano, Keyboards, Guitar, Bass
Stefano “The Hook” Barelli – Guitar
Alphonso Nini – Bass, Backing Vocals
Stefano Toni – Percussions, Backing Vocals
Gäste:
Luca Calabrò – Drums
Stefano Falcone – Drums
Claudio Mosconi – Bass
Nando Citarella – Tammorra
Stefano Ribeca – Sax, Low Whistle, Shannai
Brian Petrosino – Backing Vocals
Cecilia Amici – Backing Vocals
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Alle Abbildungen wurden uns von Sailor Free/Tide Records zur Verfügung gestellt.