(43:25; Vinyl, CD, Digital; Kscope, 31.01.2025)
Jonathan Hultén ist als Künstler, in seiner Verkleidung eine moderne Märchenfigur, der Musik aus einem anderem Universum in unsere seltsam moderne Welt transferiert. Ähnlich wie Bowie in den frühen Seventies oder die frühen Neunziger Jahre im Black Metal mit viel Theatralik agierten, wird das Innen hier zum optischen Außen. Ich durfte den Schweden in den letzten drei Jahren mehrfach live erleben (u.a. als Support für Myrkur und The Cult und auf dem wundervollen Ancient Echoes Festival bei Leipzig). Und mit welcher Leichtigkeit er diese in sich ruhende Haltung in seiner schauspielhaften One Man Performance, in Gestik und Mimik lebt, fasziniert auf ganz eigene, bezaubernde Weise. Für mich war Hultén mit seinen “Forest Sessions” im Jahre 2022 einer der musikalisch herausragendsten nordischen Vertreter überhaupt. Die Platte berührte mich wie kaum eine andere, war in diesem besagtem Winter irgendwie ein Lebensretter, Balsam für die malträtierte Seele. Die Videos dazu hatten einen lange nicht so erlebten Widerhall in mir erzeugt, sodass Dauerschleife ein eher schwacher Begriff in diesem Zusammenhang wäre. Jonathan hatte sich damit visuell, emotional und generell als Solo-Künstler mit dem visuellen Northern Gothic Style in einer Nische etabliert, die musikalisch eine nahezu perfekte Alternative zu Künstlern wie Anna von Hausswolff, Darkher, Chelsea Wolfe und weiteren aus dem Dunstkreis der alternativ düsteren Folk-Noir-Zwischenwelt schuf. Der ehemalige Tribulation-Sänger hievte auf den “Forest Sessions” sämtliche Eigenkompositionen des Debüts “Chants From Another Place” – dank psychedelisch-atmosphärischer Sound-Effekte – auf eine teilweise komplett neue, transzendente, wenn auch sehr intime Ebene. Ein Nick Drake, der mit düsteren modernen Northern-Goth-Einflüssen mal eben eine neue Schublade definiert.
Nun zum neuen Album: “Eyes Of The Living Night” verschiebt die Grenzen zum Glück nicht zu weit, ist aber offen für kleine Veränderungen hier, spannende Effekte da und bleibt in seiner Emotionalität und musikalischen Eingängigkeit im erhoffen Terrain. Surreal, verträumt und im ständigen Spiel mit dem Unterbewussten, den Ängsten und Träumen, spielt der Schwede wesentlich selbstbewusster auch auf dem neuen Album mit unserer Psyche, Phantasie, aber vor allem mit dem Herzen. Eröffnet wird mit ‘The Saga And The Storm’, welches die zuletzt betretenen Pfade beschreitet und das auch wieder nicht. Pathetischer, gern verfremdeter Gesang, die eigenwillig altertümlichen Melodien und liebliche Synths, nur das fast Classic Rock-affine Riffs und strange Drum-Computer das Setting mal eben ganz anders upgraden. Das bereits im Vorfeld als Video veröffentlichte ‘Afterlife” ist einfach nur wunderschön, erneut mit viel Sehnsucht und Pathos aufgeladen. Hier spricht der Schwede – so wie letztlich auf dem gesamten Werk – mit poetischen, aber auch sehr persönlichen Worten zum Hörer, fordert zur Innenschau auf, findet immerzu positive und optimistische Botschaften, bei aller Melancholie. Eine wehmütige Melodie durchzieht den kompletten Song, Loops und Rhythmik dienen als Teppich und sind dann doch irgendwie “The Forest Sessions 2.0.”. Lieblich und verträumt – mit den so lieb gewonnenen experimentellen Effekt-Spielereien auf der Stimme – verzaubert das viel zu kurze ‘Falling Mirage’. Sanfte akustische Gitarren, kleine feine zusätzliche Sound-Gimmicks, das augenzwinkernde, unterstreichende Pfeifen des Sängers zur erneut nur berührenden Melodie verzaubert wie immer. Da würde schon fast was fehlen, bliebe dies aus – es ist ein an die Hand Nehmen des Hörers wie es zuletzt kaum ein anderer Künstler dieses Oeuvre vermochte. Dicht wird der Faden weiter gesponnen, das intime etwas bluesige ‘Riverflame’ könnte genauso auf einer der letzten Anathema-Scheiben Platz finden – Opeth in ihrer sanften akustischen Auslegung sind hier ebenfalls nicht so weit entfernt. Auch hier werden die tollen Chöre von hintergründig gut platzierten Loops und Grooves getragen, die dem Album erst gar nicht die Möglichkeit geben, sich zu meditativ und statisch darzustellen. Das orchestrale ‘The Dream Was The Cure’ begeistert mit unwiderstehlicher Melodik, ist bombastisch und ebenfalls von einem höheren Maß an Rhythmik gefüttert.
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‘Song Of Transience’ vereint auf so unnachahmliche Weise gleichzeitig alte barocke Melodien, könnte aber auch genauso auf einer Spät-60s Singer/Songwriter meets Prog-Album seinen Platz gefunden haben. Das minimale Piano-Zwischenspiel ‘Through the Fog, Into The Sky’ verzaubert mit liebevollen Klängen und wird mit dem folgenden, ebenfalls Classic Rock-affinen Akkorden in ‘Dawn’ gut akzentuiert. Hier werden ebenfalls die schweren, aber nie störenden trippigen Loops als Fundament installiert. Eine atmosphärisch perfekt inszenierte Mundharmonika macht den bunten Reigen nur noch bunter, bleibt aber auch hier die vordergründige Melodik des Songs das allumfassende, umarmende zentrale Element. Purer Songwriter-Folk und simple Akkorde im kurzen, stillen ‘Vast Tapestry’ berühren ganz natürlich, ‘The Ocean’s Arms’ hingegen hat dann wieder diese bombastische transzendente Qualität in den Arrangements. Mit dem abschließenden, epischen ‘Starbather’ verbeugt sich Hulten mit viel Bombast und Progressive Rock nochmal ganz tief vor den alten Helden des Seventies Classic Rock.
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Wenn man sich einmal in die Art der speziellen Arrangements, der unwiderstehlichen Natur aus sehnsüchtig weltvergessener Melodik, der spirituellen Folk-Melancholie, Intimität und Musikalität verliebt hat, verzaubert Hultén erneut auf so vielfältige Weise. Und der Hörer darf sich auf eine weitere Dreiviertelstunde voll einlullender nordischer Folk-Klänge aus einer Parallelwelt freuen. Die sensibel integrierten Einflüsse aus Barock Pop, Progressive Rock und Classic Rock der 60s/70s machen diese neue Veröffentlichung so viel offener, vielfältiger, nehmen etwas Abstand vom düsteren, gar schwermütigen Timbre des Vorgängers. Natürlich bleibt beim aktuellen Album der unmittelbare Überraschungsmoment aus, den die “Forest Sessions” nebst Videos auf so direktem Wege herstellten. Zum Glück spricht der Schwede mit der gleichen emotionalen, bewussten wie unterbewussten Sprache zum Hörer, sodass dieses unmittelbare 1:1 Gefühl, der Schön-Klang sich erneut wieder genussvoll ausbreiten darf. Für den geneigten Fan wird es trotzdem ein erneutes Fest, dank der vielen zugänglichen, fast populären Einflüsse werden sicherlich so einige hinzukommen.
Der Künstler selbst verpasst seiner neuen Platte den Stempel: Ambient Dream Grunge! Alles relativ, am Ende auch egal, die skandinavische Form des Surrealistic Orchestral Folk Pop kommuniziert eh in ihrer ganz eigenen Sprache mit uns. Schon jetzt im frühen Jahr 2025 eines der kommenden Jahres-Alben.Bewertung: 14/15 Punkten
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Diskografie (Studioalben):
“Chants From Another Place” (2020)
“The Forest Sessions” (2022)
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Rezensionen:
“The Forest Sessions” (2022)
“Chants From Another Place” (2020)
Liveberichte:
15.03.23, Köln, Die Kantine
Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von cmm zur Verfügung gestellt.