John Zorn – Ou Phrontis
(42:39; Vinyl, Digital; Tzadik, 09.12.2024)
Es gibt Alben, die lassen mich einfach nicht los, obwohl… Dieses “Obwohl” ist der Indikator dafür, dass ich mich außerhalb meiner Komfortzone befinde und genau das macht das Musikentdecken so spannend. Das Album liegt nun schon zum 15. Mal auf und noch immer erschließen sich mir Harmonien, Übergänge und Rhythmen. Okay, Mitsingen oder -summen ist hier nicht drin, aber ich kann mich in diesem (Avantgarde-)Jazz verlieren und es ist immer wieder schön, überraschend, faszinierend und fordernd.
Als Progfan ist Jazz an sich nicht meine bevorzugte Musikrichtung. Wenn er allerdings so präsentiert wird wie auf diesem Album, dann lohnt sich der Trip. Der erste Track, mit zwölfeinhalb Minuten Spielzeit, lässt den Progger aufhorchen, denn hier steckt alles drin, was Progohren erfreut: Vertrackte Rhythmen, keine erkennbaren Strukturen (Strophe, Refrain, Zwischenspiel), teils schräge Harmonien sowie begnadete Musiker. Der Stil ist als Basis Jazz, aber darin ist so viel eingemischt, dass eigentlich für Jeden etwas dabei ist. Das hervorstechendste Merkmal dieses Albums ist jedoch seine Unbequemlichkeit. Kompositorisch sehr anspruchsvoll braucht es mindestens fünf Durchgänge, ehe ein Wiedererkennen möglich ist. Wenn der geneigte Hörer sich denn dazu durchringen kann. Denn John Zorn ist wirklich schräg und nicht leicht konsumierbar.
Die Instrumentierung entspricht der eines klassischen Jazz-Trios: Klavier, Kontrabass, Drumset. Die drei Musiker sind versierte Interpreten von John Zorns Werk, und es gibt mindestens drei weitere Alben mit seinen Kompositionen. Wer errät, was jetzt auf meiner Hörwarteliste steht? Gut, bei über 200 Alben auf denen John Zorn als Musiker oder Komponist mitgewirkt hat, wird die Auswahl schwierig – mein Interesse an diesem vielseitigen Künstler ist jedoch geweckt. Über 200 Alben? Eine etwas längere Lektüre auf Wikipedia erklärt so Einiges. Ich habe von meinem progenzyklopädischem Partner gehört, dass John Zorn auch auf einigen Progalben mitgespielt habe. Bei der Suche danach bin ich für einen halben Tag verschollen und sehr demütig wieder aufgetaucht. Dieser Mann hat nicht nur verschiedene Epochen des Jazz mitgemacht, nein er hat sie geprägt und dabei auch viel Gegenwind eingesteckt, zumal er wohl auch als Enfant terrible galt. Beim Recherchieren stellte ich auch fest, dass John Zorn live als Musiker (Jahrgang 1953) in den letzten zehn Jahren im Internet kaum zu finden ist, aber auch das Trio ist live schön anzusehen, wenngleich mit anderer John–Zorn-Musik.
Zum Abschluss ein musikalischer Leckerbissen, der zwar schwer verdaulich sein mag, aber exemplarisch für John Zorn als Künstler steht: Ich möchte niederknien vor so einem begnadeten Saxophonisten! Und Komponisten, Pianisten, Produzenten, Projektentwickler, Kunstvernetzer, künstlerischen Direktor eines angesagten Jazzclubs in New York und noch mehr.
Mein Fazit: John Zorn ist ein Künstler mit unzähligen Facetten und seit den 80ern eine Inspiration für die Kunstwelt und viele Künstler. Schön, ihm im Rahmen meiner Horizonterweiterung begegnet zu sein.
Bewertung: 12/15 Punkten
Kompositionen:
John Zorn
Besetzung:
Brian Marsella / piano
Jorge Roeder / bass
Ches Smith / drums
Surftipps zu John Zorn:
Homepage
Apple Music
Spotify
Wikipdeia
Abbildungen: John Zorn