Nach dem letzten Album “North”, wurde es sehr ruhig um Everon. Die Band war von der Bildfläche verschwunden. Und natürlich fragt sich dann der Fan, ob es das nun wirklich war. Oder ob nicht vielleicht doch noch eine Chance auf ein neues Album besteht. Der sehr überraschende Tod von Christian “Moschus” Moos im letzten Jahr schien dann das Ende von Everon besiegelt zu haben. Oder doch nicht? Die Überraschung, sie heißt “Shells” und erscheint Ende Februar, kam einer kleinen Sensation gleich. Zeit, für einen ausführlichen Plausch mit Oliver Philipps.
Ich war und bin ein wenig überwältig, dass ihr wieder da seid.
Ich auch!
Nicht nur, weil im letzten Jahr sehr überraschend Christian “Moschus” Moos verstorben ist, sondern auch, weil das letzte Album ja schon über 16 Jahre zurück liegt. Der Produktionsprozess von “North”, dem letzten Album, war für euch ein schwieriger und zäher Prozess und auf eurer Homepage tauchte irgendwann der Satz auf, dass ihr euch still und heimlich aufgelöst habt.
Das hat bei uns aber nie einer gesagt, bzw. wir haben da nie wirklich darüber gesprochen. Wenn das auf der Homepage stand, dann kam das von Moschus, der sich da ein wenig drum gekümmert hat.
Das Thema Filesharing und dass jeder das Album schon vor Veröffentlichung auf dem Rechner hatte, wurde als einer der Gründe genannt.
An die Geschichte erinnere ich mich auch nicht, bzw. dass das ein großes Thema war. Offensichtlich – du bist der Zweite, der das erwähnt – war es Moschus, der sich da mehr dran gestört hat. Heute müssen wir uns keine Sorgen mehr um Filesharing machen.
Ja, heute nicht mehr, aber Spotify ist jetzt auch nicht gerade eine Goldgrube für Musiker.
Ja richtig, da wird man eher enteignet, deshalb ist es jetzt auch Wurst, ob noch jemand Filesharing betreibt.
Deshalb hoffe ich, dass das neue Album ein Knaller wird und viele Leute es kaufen. Ich habe “Shells” jetzt die Tage bis zum Interview ununterbrochen durchgehört und bin wirklich sehr angetan. Ich bin schon seit den 90ern Fan von euch und kenne beinahe jedes Album auswendig. “Venus” ist zum Beispiel mein Lieblingsalbum.
Das ist eine seltene Wahl.
Ja, glaube ich. Ich schätze, “Flood”, “Bridge” und “Flesh” sind die Alben, die die Leute am ehesten mögen.
Ich meine “Bridge” und “Fantasma” sind die Favoriten bei vielen.
Und die echten Progger mögen wahrscheinlich euer Debüt “Paradoxes” am liebsten, das damals beim berühmt-berüchtigten SI-Label erschien.
Ja, die gibt’s auch.
Das fand ich natürlich auch nicht schlecht, aber die Nachfolger waren “erwachsener” und kein Prog aus dem Lehrbuch.
Ich glaube, da habe ich keine echte Meinung zu, aber “Paradoxes” und “Flood” sehe ich auch als das Frühwerk an, ja. Wir waren jung und da hört man immer noch raus, wo wir eigentlich hinwollten. Und irgendwann findet man dann einen Weg, seine eigene Musik zu machen.
Ihr habt euch sehr schnell entwickelt und auch einen eigenen Stil, das habe ich jetzt beim neuen Album auch wieder rausgehört. Du hast zudem auch mit ganz vielen anderen Bands zusammengearbeitet und Songs geschrieben.
Ja, meistens bin ich bei den anderen Band aber eher für die Produktion und das Arrangement verantwortlich.
Beim “Phantasma”-Album mit Charlotte Wessels zum Beispiel hast du aber an den Songs mitgeschrieben?
Ja, genau, das habe ich mitgeschrieben.
Das hat man sofort gehört, wage ich zu behaupten.
Da habe ich mich auch nicht zurückgehalten. Da habe ich auch gedacht, dass könnte was für Everon sein, aber da hatten wir halt noch keinen Plan, eine Everon-Platte zu machen.
Eigentlich bin ich ziemlich abgewichen, denn eigentlich wollte ich erst einmal wissen, was denn die Initialzündung war, doch wieder ein Everon-Album zu machen. Du sagst, ihr wart nie weg…
Nein, “nie weg” wäre auch falsch. Wir haben uns nicht mehr gesehen, aber wir haben auch nie drüber gesprochen aufzuhören.
Es war eigentlich vorher immer so gewesen, dass ich einige Songs geschrieben habe und irgendwann zu den anderen gesagt habe “Wir machen `ne neue Platte!” Nur das habe ich jetzt eine lange Zeit nicht mehr gemacht. Hauptsächlich auch aus dem Grund, dass ich so viele andere Sachen zu tun hatte. Ich habe immer Musik gemacht. Mehr Musik als je zuvor. Everon waren dabei einfach nie ein Thema und ich hatte auch ehrlich gesagt nicht gedacht, dass das noch irgendwen interessieren würde.
Das Thema Everon kam zurück durch ein zufälliges Gespräch mit Ed (van Zijl) von Mascot, wo ich eigentlich nur einen Witz gemacht habe, weil wir noch einen Plattenvertrag hatten mit einer Option. Er ist aber sofort drauf angesprungen und ich sagte: “Ed, du weißt, das ist ein Witz. Ich habe nichts…”. Er meinte aber: “Ja, aber denk doch mal drüber nach…”
Und ich habe ein wenig drüber nachgedacht. Und wie das so geht, bin ich dann zu Mascot hingefahren und das Gespräch war dann ein bisschen ernsthafter. Dann habe ich die anderen gefragt, ob sie Lust hätten und so kam’s.
Das Gespräch hätte auch sieben, acht oder neun Jahre früher stattfinden können. Meine Meinung wäre immer dieselbe gewesen. Mein Hauptgrund, nicht mehr daran zu denken, war die Annahme, dass es keinen mehr interessiert.
Naja, meine Wahrnehmung war eine andere…
Ja, ich bin auch wirklich überrascht, wie viele Leute sich darüber zu freuen scheinen.
Es ging ein Freudenschrei durch die Szene, als klar war, dass Everon wieder was machen. Ich konnte es fast nicht glauben und schon gar nicht nach der Nachricht von Moschus Tod. Da dachte ich: “Ok, das war’s jetzt endgültig mit der Band!”. Aber ihr habt ja auch noch zusammen am Album gearbeitet.
Moschus ist gestorben, als ich an dem letzten Song gearbeitet habe. Er hat selbst noch acht Songs eingespielt und ich war dabei den letzten Song zu schreiben, als ich die Nachricht bekommen habe.
Ist bei den acht Songs auch ‘Until We Meet Again’ dabei?
Das ist der letzte Song, den ich meine.
Okay, das passt. Man muss schlucken, wenn man den Song hört und es ist noch nicht mal der düsterste Song auf dem Album.
Ja, überhaupt nicht. Die Texte mache ich immer erst hinterher. Aber wenn ich an der Musik arbeite, habe ich meistens auch schon Gesangsmelodien und einige Zeilen im Kopf, die irgendwie hängen bleiben. Die sind schon in der Musik drin, du musst sie nur finden.
Und das ist einfach der Song, an dem ich gearbeitet habe, als das passiert ist. Und eigentlich fand ich den Song auch musikalisch gar nicht passend, aber ich konnte dann an keinen anderen Text mehr denken und da dachte ich: “Ist einfach so…” Ja, es ist auch eigentlich eher einer der positiveren Songs.
Das klingt ein wenig spooky…
Ja, das ist bis heute spooky. Also er war nicht krank oder so. Wir standen auch immer mal wieder in Kontakt, nur nicht so oft. Aber die Monate bevor er gestorben ist, hatten wir sehr viel miteinander zu tun. Ihm ging’s gut, er hat viel getrommelt, er war sehr enthusiastisch. Emotional hing er vermutlich noch am meisten an der Band, weil er der letzte verbliebene Gründer war und dann fällt er einfach tot um, ohne bis heute bekannten Grund.
Das Gleiche ist ein Jahr davor mit dem Trommler von Ancient Rites (Walter van Cortenberg) passiert. Das war eine der ersten Bands, die damals in unserem Studio aufgenommen hat.
Das sagst du ja auch im Text zu dem Song. Ein “Wir sehen uns morgen!” hat eine viel stärkere Bedeutung, als uns bewusst ist. Der Moment, das “Heute”, ist alles, was wir haben und wir sollten immer zu schätzen wissen, dass wir, und die Menschen, die uns was bedeuten “morgen” noch da sind.
Bei welchen Songs ist Moschus nicht mehr dabei?
Bei ‘OCD’, ‘Guilty As Charged’ und auf ‘Until We Meet Again’ natürlich. Und ‘Broken Angels’ war sozusagen im Modus “Work in Progress”, da war er noch nicht fertig mit seinen Drumtracks.
‘OCD’ ist auch so ein typisches Everon-Instrumental, oder?
Ich finde den Song ähnlich überflüssig wie alle anderen Instrumentals von uns, aber wenn es einmal da ist, ist es da. ‘OCD’ steht halt auch für Obsessive Compulsive Disorder (= Zwangsstörung *g*). Man kann es nicht stoppen. Wenn es da ist, ist es eben so. Aber eigentlich sind wir jetzt keine Band, die so wahnsinnig viel Showboating mit Gedudel macht. Weil wir’s eigentlich auch nicht können. Das ist nicht so unser Ding.
Ich finde das Album ist eure bisher abwechslungsreichste Platte, weil die Songs so unterschiedlich sind. Da sind einige ungewöhnlichere Ausbrecher als sonst dabei, wie zum Beispiel ‘Broken Angels’. Der düsterste Song auf dem Album und vielleicht auch der düsterste Song, den ihr je gemacht habt. Zuerst dachte ich, das wäre der Song, der Moschus Tod behandelt.
Deine Frau übernimmt viele Gesangsparts auf dem Album. Macht sie auch die Growls?
Ja!
Das hat mich auch überrascht. Auf “Bridge” hattet ihr mal Growls. Wer war das noch mal?
Das war Gunter von Ancient Rites.
Mein Favorit ist aber der Titelsong ‘Shells’.
Das freut mich, das ist nämlich auch meiner.
Die Stimmung und die Dynamik haben so eine mitreißende Energie. Dann wird das richtig heavy mit den Growls und der fetten Gitarre. Ich habe mich beim Hören gefragt: “Haben die schon mal so heftige Gitarren ausgepackt?”.
Nein, wahrscheinlich nicht. Das war ein bisschen der Tatsache geschuldet, was ich in den letzten 15 Jahren so gemacht habe. Ich habe mit der Prog-Szene wenig zu tun. Das ist eigentlich nicht das, wo ich herkomme. Ich habe sehr viel mit Symphonic-Metal-Bands gearbeitet und da entwickelt sich sowas zum Beispiel auch durch das Gitarren-Tuning. Es sind ja nicht alle Songs auf dem Album so heavy, aber ich glaube, dadurch sind die Parts, die heavy sein sollen, auch richtig heavy.
‘Pinocchio’s Nose’ finde ich auch interessant, aber für euch auch eher ungewöhnlich. Celtic Rock habe ich bisher bei euch noch nicht gehört. Da hat sicher auch deine Arbeit mit Leah McHenry einen Einfluss gehabt, die ja auf dem Song mitsingt?
Ich habe die letzten drei oder vier Alben mit ihr gemacht. Hauptsächlich Arrangements. Dabei arbeite ich mit ihr immer von den Demos angefangen bis zum fertigen Album. Und auf die Ideen zu dem Song, bzw. zu diesen Sounds bin ich tatsächlich durch sie gekommen. Ich kannte diese Art von Instrumenten bisher noch nicht so gut und jetzt fand das alles einen Weg in die eigene Musik.
Der nächste Schritt für das nächste Album wäre ja dann eine Uilleann Pipe. Beim Intro ertönt eine schöne Fiddle-Melodie. Hat die jemand für dich eingespielt oder ist das ein virtuelles Instrument?
Das ist hier ein VST-Instrument, ja. Aber auf Leahs Alben produzieren wir die Instrumente mit den virtuellen Instrumenten vor und lassen die später unter anderem von Troy Donockley (u.a. Nightwish, Iona) nachträglich einspielen.
Troy kenne ich sehr gut. Ich bin großer Iona-Fan.
Das verrückte bei diesen Instrumenten ist ja, was du nicht bedenkst, wenn du das vorher mit VSTs machst, dass die Dinger meistens nur eine spezielle Tonart können und dann findest du zum Beispiel sehr schwer ein Ab oder ein G#. Da ist es auch schon vorgekommen, dass Troy sich da zusätzliche Löcher bohren musste. Seitdem achte ich aber auf sowas.
Die Orchester sind vermutlich auch VST-Instrumente? Mir ist aufgefallen, dass das ganze Album ein Stück symphonischer klingt als die Vorgänger.
Ja, stimmt. Orchestrierung ist ja eine Sache, die ich hauptsächlich mache, wenn ich mit Symphonic-Metal-Bands zusammenarbeite.
Hast du denn schon mal mit einem richtigen Orchester zusammengearbeitet?
Nicht mit einem ganzen Orchester. Das ist vom Budget einfach nicht machbar. Ein Orchester abzubilden ist heute klanglich relativ einfach. Die Libraries dafür sind sehr gut. Was schwieriger ist und wo man nie so richtig rankommt, ist, wenn du eine Sologeige oder sowas brauchst. Dafür arbeite ich dann meistens doch mit einem echten Musiker. Da steckt dann auch eine Persönlichkeit drin. Ein Orchester ist weitgehend anonym. Wenn du virtuell mit einer großen Library ein Orchester arrangierst, dann kannst du da alles Mögliche mit machen. Die Samples sind fantastisch aufgenommen und du hast jedes einzelne Instrument zerlegt in jeder Form der Artikulation. Und wenn du dir wirklich Mühe gibst und intensiv damit arbeitest, dann hört man keinen Unterschied mehr zu einem echten Orchester. Filmmusik wird mittlerweile fast ausschließlich so gemacht. Aber ein Soloinstrument ist was ganz anderes.
Möchtest du denn mal mit einem echten Orchester arbeiten?
Die Frage ist ja, ob das Orchester mit mir arbeiten möchte. Ich würde sicher nicht nein dazu sagen, aber da müsste man ein ordentliches Budget haben, welches das ermöglichst. Da fehlt mir gerade die Fantasie. Wir waren mit Delain mal ganz knapp dran, aber am Ende wurde es leider doch nichts.
Gibt es denn etwas, ein Ziel, was du noch erreichen möchtest? Oder gibt es einen Künstler oder eine Person, mit der du gerne mal was zusammen machen möchtest?
Nein, ich glaube nicht. Ich schulde jedem, der zu mir kommt die gleiche Hingabe und Aufmerksamkeit. Rückblickend kann ich sagen, dass da auch viele besondere Sachen und speziellere Dinge dabei waren, aber während ich an etwas arbeite, tauche ich immer in die Musik ein und dann ist mir fast auch egal, was das ist. Man lebt ja von der künstlerischen Vision, die der Künstler und die jeweilige Band hat. Dem ordnet man sich unter und dann arbeitet man damit.
Ich habe ja eigentlich alles schon mal gemacht, mit Ancient Rites sogar auch Black Metal zum Beispiel. Das finde das sehr spannend in verschiedene Genres einzutauchen und das muss auch keine Musik sein, die ich privat höre oder mag. Ich höre mir zu Hause keine Platte von Dimmu Borgir an, aber ich würde jederzeit mit Dimmu Borgir was machen, weil ich verstehe, was die suchen und ich das kann. Mir geht’s dann auch darum, die Leute glücklich zu machen.
Was hörst du dir denn privat für Musik an?
Ich kann mich für fast jede Art von Musik begeistern und bin da nicht auf ein Genre eingeschossen. Es gibt auch viel Popmusik, die ich gut finde
Ja, ist bei mir auch so. Ich bin auch kein Vertreter der “reinen Proglehre”.
Ich wüsste auch gar nicht, wie die aussehen soll, wenn ich ehrlich bin. Da müsstest du eher eine Meinung zu haben als ich.
Meine Meinung ist: Es gibt keine “reine Proglehre”. Bei Betreutes Proggen besprechen wir alle möglichen Sachen, die wir auf irgendeine Weise für “progressiv” halten und gerne besprechen wollen. Da kann auch schon mal ein Album oder eine Band komplett durchs (Prog)Raster fallen.
Meine persönliche Interpretation wäre vielleicht die, dass ich bei Prog eigentlich machen kann, was ich will. Zum Beispiel die unterschiedlichsten Sachen auf eine Platte packen. Ich sehe da eher die Freiheit, dass zu machen, was mir gerade einfällt.
Ihr habt ja auch einen Longtrack mit 14 Minuten drauf und zwar ‘Flesh’. Den gab es aber schon mal auf dem gleichnamigen Album. Ist der neu arrangiert?
Das wird ein Bonustrack werden. Das Album mit den Songs, die wir hatten, war zu lang für ein Vinyl und dann hättest du sowas wie eine leere Seite gehabt. Da habe ich vorgeschlagen, den Song noch dazu zu nehmen, weil ich auch mit dem Arrangement von damals nicht wirklich zufrieden war.
Ich bin mittlerweile dazu übergegangen, mir nur noch Vinyl zu kaufen. Optisch und haptisch ist das einfach mehr mein Ding. Was den Sound angeht, gehen die Meinungen ja auseinander. Was sagst du denn zu dem Mythos, dass Vinyl auch heute noch besser klingt?
Ein Mythos ist, dass es gut klingt, wenn du eine 60 Minuten lange CD nimmst und auf Vinyl presst. Alles, was länger als 20 Minuten ist, klingt schon nicht mehr so gut. Audiophile Sachen auf Vinyl gehen meist nicht länger als 15 Minuten. Aber um ehrlich zu sein, brauchst du dafür dann auch die richtige Abhörtechnik, um einen relevanten Unterschied hören zu können. Ich selbst bin nicht audiophil. Ich will lieber Musik machen.
Eure Alben klingen immer fantastisch. Ich muss mir noch überlegen, ob ich mir da Doppel-Vinyl von “Shells” besorge oder doch lieber die CD. Soweit ich das gesehen habe, gibt es das Doppel-Vinyl bei Mascot sogar mit Unterschrift.
Noch nicht, aber das war der Plan. Ich warte noch auf einen Karton.
Wie lief denn der Aufnahmeprozess ab? Hat jeder seine Parts zu Hause eingespielt oder habt ihr euch klassisch in einem Studio getroffen?
Da wo ich bin, ist ja immer Studio und die anderen beiden, Ulli und Schymy, habe ich aufgenommen. Die haben nicht die technischen Möglichkeiten. Moschus hat sein Schlagzeug natürlich selber in seinem Studio aufgenommen. Aber eigentlich braucht man heutzutage kein klassisches Studio mehr. Das war auch ein Grund, wieso wir Spacelab irgendwann aufgegeben haben, weil es kein Geschäftsmodell mehr war.
Moschus hat am Schluss hauptsächlich Mixing gemacht, richtig?
Ja, er hat den Namen beibehalten und das Studio noch ein paar Jahre weitergeführt, aber irgendwann wurde es dann zu groß und zu teuer.
Am Ende, als das Studio noch da war, habe ich da immer in meiner Ecke von 3 x 3 Metern gesessen, weil das alles war, was ich brauchte. Den ganzen Rest, die meterhohen Rack-Geräte brauchte ich nie und jetzt sitze ich hier zu Hause in einem kleinen Home Studio. Vieles geht heute mit dem Computer.
Trotzdem ist das nicht selbstverständlich, dass man damit automatisch immer ein gut klingendes Album herausbekommt. Es gibt auch massenweise fürchterlich klingende Alben.
Ich verfolge das nicht so und man meint, dass das heute aufgrund der technischen Möglichkeiten nicht mehr passiert. Als wir anfingen, war das sehr oft so, dass Alben wirklich schlecht geklungen haben. Wir hatten da den Vorteil, dass wir mit Eroc jemanden hatten, der ein gutes Studio hatte und genau wusste, was er tat.
Aber heute muss man eigentlich keine Platte mehr machen, die scheiße klingt.
Was macht denn ein gut klingendes Album aus der Sicht eines Produzenten aus?
Ich bin ja kein Produzent in dem Sinne, dass mein Hauptaugenmerk auf dem Klang liegt. Ich achte vielmehr auf Arrangement und Performance. Ehrlicherweise, nach 30 Jahren Erfahrung, gibt es nichts Alleinstehendes, was eine gute Produktion definiert.
Ein Punkt für eine gute Produktion ist für mich, zum Beispiel bei Zuschnitten, die Abwesenheit von Unstimmigkeiten und Fehlern. Wenn sich jemand die Mühe macht, wirklich bis ins kleinste Detail zu gehen und egal, wo du reinzoomst, du findest keinen Fehler. Nicht Fehler im Sinne von “falscher Ton”, sondern alles passt bis ins kleinste Detail zusammen. Das macht für mich eine gute Produktion aus.
Es heißt im Promotext, dass du, als es feststand, dass Everon wieder Musik machen, dich für ein paar Monate eingeschlossen hast und Songs geschrieben hast.
Nee, ich hab mich nicht eingeschlossen. Das habe ich früher öfter gemacht. Da habe ich mir irgendwo für ein paar Wochen ein Haus am Meer gemietet. Diesmal hat alles in dem Raum stattgefunden, in dem ich gerade sitze. Ich habe bei Null angefangen und dann von Februar bis in den Mai rein die Songs geschrieben.
Wo kommen die Ideen her? Hast du beim Gassi gehen zum Beispiel eine Melodie im Kopf oder wie kann man sich das vorstellen?
Ja, auch beim Gassi gehen. ‘Broken Angels’ ist unter der Dusche entstanden.
Ah, der Klassiker! Aber ausgerechnet der Song?
Ja, ist so. Meine Erfahrung ist, dass Songwriting nichts ist, was man tut. Das ist eine Geisteshaltung. Über die Jahre lernt man so ein bisschen, wie man die stimuliert, aber du kannst sie nicht erzwingen. Ich hatte null Plan, aber als feststand, dass wir eine neue Everon-Platte machen wollen, hatte ich schon die erste Idee. Und Ideen nehme ich so, wie sie kommen, ohne mich damit rumzustreiten. Ich setze mich nicht hin und spiele was oder probiere rum, der komplette Song ist schon in meinem Kopf. Dahinter ist dann die Mission, die Idee so auszuführen, dass man ihr gerecht wird. Das funktioniert mal schlechter, mal besser. Das ist die Herausforderung. Du bist ja im Kopf völlig frei von allen Limitierungen, dass du zum Beispiel scheiße spielst oder nach Sounds suchen musst. Im Kopf passt alles zusammen und macht total Sinn.
Wenn du dich dann hinsetzt und versuchst, dass alles in diese Welt zu bringen, stößt du auf die 5.000 Hindernisse, die dir im Weg stehen. Die Herausforderung ist die, die eigentliche Vision nicht aus den Augen zu verlieren, weil du zum Beispiel stundenlang nach den richtigen Sounds suchen musst oder was nicht spielen kannst, du erst mal lernen musst, wie das geht. Dann fällst du leicht vom Wagen runter. Das ist das Schlimmste, wenn du unterbrochen wirst beim Songwriting, wenn du ein paar Tage nicht dran arbeiten kannst. Dann kommst du zurück und die Idee ist weg oder du hast den Bezug verloren.
Und das war das, was mich so an “North” angekotzt hat. Deswegen mag ich das Album nicht, weil der Entstehungsprozess der Songs so oft unterbrochen wurde. Ich wusste am Ende nicht mehr, was ich da eigentlich mache. Und diesmal habe ich alles am Stück durch geschrieben und es hat gut funktioniert. Und ich denke auch, dass ich im Laufe der Jahre ein bisschen besser darin geworden bin, dass ich weiß, was ich tue, dass ich den Prozessen mehr vertraue und das ich besser spiele. Ich habe mehr Kontrolle über das Ganze und kann meine Ideen schneller umsetzen.
Das finde ich sehr interessant, dass du den kompletten Song schon im Kopf hast. Wenn mir mal was zu einem Song einfällt, muss ich das immer sofort irgendwie aufschreiben oder anders festhalten, weil ich Angst habe, es zu vergessen.
Ja, das glaubst du. Das glaubst du, dass du das musst. Das glaubt jeder. Aber die Wahrheit ist, dass du die guten Ideen nicht vergisst. Ich habe gelernt, dem Prozess zu vertrauen. Wenn mir abends beim Schlafen gehen was einfällt… wenn es gut ist, erinnere ich morgens dran. Wenn nicht, lass es gehen.
Wenn du den Song fertig im Kopf hast, wie beginnst du denn den Produktionsprozess? Wie kommt der Song in die Welt?
Wie ich anfange, hängt davon ab, wie der Song ist. Ich erstelle immer ein Grundgerüst und das hängt vom Song ab. Das kann das Piano sein oder die Gitarre, aber meistens das Schlagzeug. Abgesehen davon, dass es später noch richtig gespielt wird, ist das eine gute Basis.
Bei der Art und Weise, wie du Harmonien und Akkordfolgen benutzt, bin ich immer davon ausgegangen, dass du ein klassisch ausgebildeter Musiker bist.
Ja, bin ich, aber das hat nichts damit zu tun, wenn ich ehrlich bin. Das sind Sachen, die sind eigentlich egal. Beethoven hat sicher nicht die ganzen Bücher gelesen, wo drin steht, wie er dies und das gemacht hat. Das ist oft ein Problem, dass man zu viel nachdenkt und Ideen letztendlich dann totdiskutiert und verschnippelt.
Der Prozess hinterher ist viel Handwerk und auch Denkarbeit. Aber der kreative Prozess muss mehr aus dem Bauch kommen und nicht aus dem Kopf.
Welches ist deiner Meinung nach das beste Everon-Album?
Schwierig. Im Zweifel immer das neueste. “North” würde ich da überspringen, aber nicht, weil die Songs schlecht waren, sondern weil ich einfach am wenigsten Spaß daran hatte.
Es gibt auch viele Leute, die das Album gut finden. Da bin ich überrascht, dass zu hören. Das Album habe ich nie wieder gehört. Ich habe mich damals nicht mal mehr in den Mix eingemischt.
Das neue Album ist auch das düsterste, oder? Vor allem die Lyrics. Bei “Monster” zum Beispiel will ich eigentlich gar nicht wissen, was da hinter steckt. Aber meistens verbinde ich die Lyrics auch selten mit dem Künstler, sondern suche da eine Verbindung zu mir selbst.
Genauso soll es ja auch sein. Ich habe schon Interpretationen von meinen Texten gehört, die total an dem vorbei gehen, was ich mir eigentlich gedacht habe. Das Wichtige ist, was andere darin wahrnehmen. Das ist der Sinn, warum man Platten rausbringt.
Ich will nicht wissen, was der Künstler mir damit sagen will, sondern ich stelle mir die Frage “Wie toucht mich das?”, was kann ich damit anfangen?
Ja, genauso gehe ich da auch ran. Oft hat sich der Künstler furchtbar wenig bei den Lyrics gedacht und die sind einfach mit dem Song gekommen. Es gibt auch Fälle, wo ich selbst nicht genau weiß, was ich mir bei einigen Texten gedacht habe.
Also ich bin zufrieden mit dem neuen Album. Ich kann dir aber jetzt noch nicht sagen, wo ich es in der Rangfolge einordnen werde. Dafür habe ich es noch zu wenig gehört. Aber wenn ich es jetzt mit meinem Lieblingsalbum “Venus” vergleiche, welches mein persönliches 15/15 Album ist…
Dann müsste das neue Album eine 18/15 sein. Dass kannst du nicht schlechter bewerten als Venus. Sorry, das kannst du nicht tun! (lacht)
Nein, nein… Ich gehe da selbstverständlich objektiver ran (vielleicht…).
Nein, um das zu erklären: “Venus” war eine sehr schwierige Platte, da es das erste Album war, das wir selbst aufgenommen haben. Da ging unheimlich viel Zeit für den technischen Kram drauf. Und wir mussten erstmal rausfinden, wie das alles überhaupt funktioniert. Also die wenigste Zeit ging für das eigentlich Songwriting drauf. Und der Klang war auch nicht so optimal, alles schwingt so im Hall. Das war “Learning by doing”.
Bei mir ist das auch eher ein persönliches Verhältnis zu der Platte.
Das ist auch völlig legitim. Ein Freund von mir liebt die “Paradoxes”-Platte, weil die in seinem Leben an einem bestimmten Zeitpunkt verknüpft ist und dann muss ich ihm auch nicht erklären, wieso die Platte scheiße ist.
Würde mich jemand fragen, welche Alben ich von Everon empfehlen würde, würde ich sagen: “Fantasma”, “Bridge” und “Flesh”, viel Spaß damit!
Das wäre mir auf jeden Fall lieber, als wenn du “Venus” empfehlen würdest.
Die letzte und alles entscheidende Frage, bei der ich ein wenig Angst vor der Antwort habe: Wie geht es weiter?
Wir gucken mal was passiert. Genauso wie ich keinen Plan hatte, eine neue Everon-Platte zu machen, habe ich auch keinen Plan, jetzt nicht weiterzumachen.
Kreativ hängt ja eh schon alles an mir. Jason ist ein super Trommler und man könnte sicher auch eine weitere Platte machen. Es gibt gerade noch keinen Grund es zu tun, aber es gibt auch keinen Grund es nicht zu tun. Wenn das neue Album gut aufgenommen wird und alle Menschen schreien nach einer neuen Everon-Platte, dann sehe ich keinen Grund, wieso es keine geben sollte.
Ich war überrascht, dass überhaupt jemand ein neues Album haben will. Und wenn ich da falsch lag, dann nehme ich den Irrtum zur Kenntnis und werde mich bemühen, dass das nicht mehr passiert.
Ja, du lagst da falsch. Definitiv! Wie sieht’s aus mit Live-Auftritten? Ich meine gelesen zu haben, dass du nicht gerne live spielst.
Das ist schwieriger. Stimmt, ich spiele nicht so gerne live. Ich bin lieber Produzent und Komponist. Ich bin nicht der Typ, der irgendwo sein Gesicht reinhalten muss oder auf der Bühne im Mittelpunkt stehen will. Das ist nicht mein Ding.
Dazu kommt, dass das mit Everon nicht immer so entspannt war, weil ich auf der Bühne halt so viel mache. Wenn wir das auf die Bühne bringen, bräuchten wir mit Sicherheit mindestens zwei zusätzliche Musiker, damit das auch Spaß macht. Wir müssten Jason aus den USA einfliegen lassen. Der Aufwand wäre schon erheblich. Aber ich würde jetzt nicht behaupten, dass das unmöglich ist. Da bin ich in Zukunft vorsichtiger mit solchen Aussagen.
Also es gibt keine konkreten Pläne, aber wenn wir es machen, dann nicht für zwei kleine Club-Gigs mit 100 Leuten. Dafür wäre der Aufwand zu groß. Was ich sympathisch finde, ist, wie das Arjen Lucassen macht. Dass du wirklich so ein paar Special Events machst.
Aber lass das Album erstmal rauskommen. Es müsste natürlich auch einen gewissen Erfolg haben.
Also “Shells” muss nicht das letzte Album sein?
Nein, überhaupt nicht. Wie gesagt, hätte ich ebenso vor sieben oder acht Jahren noch ein Album machen können, wenn ich dasselbe Gespräch mit Ed geführte hätte. Es hätte nicht mehr Gründe dafür oder dagegen gegeben.
Das klingt auf jeden Fall zuversichtlicher als das, was im Promotext steht. Da steht drin, dass du das Album nicht gemacht hättest, wenn Moschus früher, also vor dem Entstehungsprozess des Albums gestorben wäre.
Ja, das ist richtig. Jetzt ist es aber nun mal so, wie es ist. Ganz sicher, wäre Moschus ein Jahr früher gestorben, wäre die Idee eines neuen Everon-Albums nie entstanden. Ich hätte das Buch nicht mehr aufgeschlagen. Jetzt, wo es wieder aufgeschlagen ist, gibt es keinen Grund, es wieder zuzuschlagen.
Vielen Dank für das angenehme Gespräch, Oliver!
Surftipps zu Everon:
Homepage
Facebook
Spotify
Bandcamp
YouTube
–
Reviews
Konzertbericht 18.05.2003, Zoetermeer (NL), De Boerderij
Festivalbericht ProgPower Europe, 05.10.2003, Baarlo (NL), Sjiwa
Interview 2003
Abbildungen mit freundlicher Genehmigung: Everon / Mascot Label Group