(43:48, 42:54, 43:10, 44:15, 39:24, 5 CDs; MiG-Music, 24.11.2023)
Hier wird es mal, was man im Journalismus sonst tunlichst zu vermeiden sucht: sehr persönlich. Kriege ich aber in diesem speziellen Fall leider nicht anders hin.
Erste Szene: Oberbergische Pampa, wir schreiben circa das Jahr 1975. Die beste und oft auch einzige Verbindung zu neuem (Progressive) Rock bietet der (damals noch) Südwestfunk – und hier in Sonderheit “Abendrot, der Pop Shop droht”. Vor einem uralten, aber zumindest in der glorreichen Erinnerung hervorragend voll, warm und bei Bedarf auch tief klingenden, gigantischen Röhrenradio (Erbstück) positioniert und bewaffnet mit einem tragbaren Grundig Tape Recorder (später technologisch aufgerüstet zum Telefunken-Tonband!) wurde regelmäßig neuen Beutestücken aufgelauert. Immer auf der Hut, die Informationen dazu ebenfalls aufzuschnappen. Und stets befürchtend, Frank Laufenberg & Co. möchten wieder einmal in die Aufnahme ‘reinquatschen. So hat man damals Vieles zum allerersten Mal gehört. Der langmähnige Tuppes aus unserer heutigen Geschichte auch Satin Whale. Seine diesbezügliche Entjungferung geschah mit dem m.E. auch heute noch umwerfenden knapp sieben kostbare Minuten laufenden ‘Seasons Of Life’ von “Desert Places” (1974).
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Den Sänger fand ich im Vergleich zu meinen damaligen Helden von z. B. Golden Earring, Jethro Tull, Yes oder Deep Purple zwar damals schon eher so Kreisliga. Aber das Main Riff war sensationell und einfach nicht mehr abzuschütteln, der Songaufbau buchstäblich grandios. Und dann diese Querflöte…
Zweite Szene: Hamburg, ca. 2000. Einer der Mucker der letzten Satin-Whale-Inkarnation spielt mir in seiner komplett mit Instrumenten vollgestellten Bude das letzte Satin-Whale-Opus “Don’t Stop The Show” vor, weil er darauf vertreten ist. So höre ich das Album erstmals. Direkt vorangegangen ist der Tod einer Frau bei einem Motorradunfall, der wir beide, wenn auch stark unterschiedlich, verbunden gewesen waren. Ihre Beerdigung steht zu diesem Zeitpunkt noch bevor. Habe selten Musik unter emotional schwierigeren Umständen kennengelernt.
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Zwischen den beiden Szenen – ein Loch. Das Nichts, ich hatte die inzwischen auch längst aufgelöste Band komplett aus den Augen und Ohren verloren. Aber irgendwie waren sie doch noch eine ganze Weile da gewesen.
Aber jetzt Mal von Anfang an. Eine Reissue-Initiative von MiG Music macht die Wiederbegegnung mit dem gesamten Studio-Opus mit nur einem Griff und für kleines Geld möglich und gewissermaßen auch erforderlich. Wir lernen: Die Formation Satin Whale entstand im Raum Köln/Bonn und trat – laut Booklet – 1971 erstmals unter diesem Namen auf.
Die Diskographie stellt sich laut der Box und laut Wikipedia wie folgt dar:
1974: Desert Places (Brain)
1975: Lost Mankind (Nova)
1977: Whalecome (Doppel-Live, Nova)
1977: As a Keepsake (Nova)
1978: A Whale of a Time (Strand)
1979: Die Faust in der Tasche (Soundtrack, Strand)
1979: On Tour (Compilation, z. T. mit alternativen/remixten Versionen, Strand)
1980: Rock in Deutschland Vol. 5 (Compilation mit Albumtracks, Strand)
1981: Don’t Stop the Show (Polydor).
Das auf Brain erschienene Debüt war nach einigermaßen einhelliger Meinung auch gleich schon ihr Höhepunkt, was Qualität, beinahe auch was Popularität angeht. Für den Rezensenten gibt es hier Schönheiten à la “Lonesome Crow”– zu entdecken. Andere fanden andere Vergleiche, viele fanden’s enorm ansprechend: Satin Whale wurde beim Südwestfunk-Wettbewerb “Rocksound ’74’ zur “beliebtesten deutschen Nachwuchsgruppe gewählt! Und – vergleich Szene 1 ganz oben – im Pop Shop gespielt und gespielt, soweit die schüttere Erinnerung reicht, sogar als Jingle…
Das lohnte sich aber auch so richtig: Bereits das Titelstück bot gitarristische Dramatik mit herrlichem Crunch à la Epitaph, schmatzende Hammond-Orgel-Parts wie bei Heep & Co., einen Rhythmus-Teppich wie von Smeet Smoke geknüpft, die wunderbar atmosphärische, aber nie übertrieben eingesetzte Querflöte. Vor allem aber einen spannenden, vielteiligen Aufbau. ‘Seasons Of Life’, vermutlich die stärkste Satin-Whale-Komposition überhaupt, kam ja bereits vor. ‘Remember’ beginnt ein wenig zurückgenommener, hat aber auch ausgesprochen hymnische Passagen und bietet exzellentes Interagieren zwischen Dieter Roesberg (Gitarre) und Gerhard Dellmann (Keyboards), die hier teils wie junge Hunde miteinander balgen. ‘I Often Wondered’ fährt mit Altsaxophon (ebenfalls Roesberg) neue Klangfarben auf und ist beim Thema Gitarre versus Orgel wieder sehr ergiebig – herrlich. ‘Perception’ hat erneut sämtliche genannten Trademarks am Start, ist aber kompositorisch weniger zwingend als der Rest dieses grandiosen Debüts.
“Lost Mankind” bringt uns ins Jahr 1975, generell ja auch noch kein schlechter Rock-Jahrgang. Für Satin Whale aber begann hier leider schon der kreative Abstieg. Keiner der enthaltenen Songs reicht wirklich ans Vorjahresalbum heran. Obwohl immer wieder nette, verspielte Details auftauchen wie das ins Titelstück eingepaßte “Kinderlied”, bleibt nichts außer vielleicht dem Closer ‘Beyond The Horizon” davon wirklich im Gedächtnis haften. Schlimmer noch: Die neue Errungenschaft weiblicher Hintergrundchöre wird bis zur Selbstparodie eingesetzt und überreizt. Was die nostalgischen Wonnen bei der Wiederbegegnung mit dem Zweitling endgültig torpediert, ist ein muffiger Gesamtsound, wobei die schepperig klingenden Drums fast körperliches Unbehagen auslösen.
“As a Keepsake” (deutsch: Ein Andenken) von 1977 setzt die Talfahrt leider ungebremst fort. Hinzu kommt, dass Bassist Thomas Brück den Mikrofon-Job hier komplett von Roesberg übernommen hatte. Was dem Fan der Band vergleichsweise flach bis hohl klingenden Gesang, aber mit fettem deutschen Akzent beschert. Die Hintergrund-Mädels juchzen immer noch wie in einem Hollywood-Musical. Und das eigentlich hübsche ‘A Bit Foolish – A Bit Wise’ wurde mit Kunststreichern verkleistert. Traurig.
“A Whale Of Time”, ein Jahr darauf, und es wurde immer schlimmer. Produzentenlegende Conny Plank ergänzte den Walgesang mit Disco-/Philly-Sound-Elementen. Auch das textliche Niveau verfügte sich endgültig in den Kohlenkeller (‘Racing Driver’). Zum Fremdschämen. Wo war die Band von “Desert Places” nur hin?
Sie sollte nie zurückkehren. Nun war es also glücklich 1981 geworden. Und das wohl nicht zufällig so betitelte “Don’t Stop The Show” sollte die Formation endlich zurück auf die Erfolgsspur bringen. Die Voraussetzungen dafür schienen gar nicht mal nicht schlecht. Vor allem durch den Umstand, dass die Band nach mehreren Umbesetzungen mit Barry Palmer (u.a. Triumvirat) erstmals einen wirklichen Sänger aufbieten konnte. Es hat trotzdem nicht funktioniert, vor allem aufgrund der ebenfalls erstmaligen Anbiederung an Pop sowie vor allem an den AOR US-amerikanischer Prägung (der Titelsong) und des willigen Umarmens von wirklich atemberaubendem Kitsch (‘Stay With Me’, ‘Too Late’).
Thomas Zimmer zitiert im Booklet seine Band-Gewährsmänner Brück und Roesberg mit folgender Aussage über diese letzte Bandphase: “Das waren alles ganz gute Leute. Aber wir passten nicht zusammen. Wir hatten unterschiedliche Auffassungen von Musik. Der Gitarrist hatte ein Alkoholproblem, der Keyboarder konnte keine Linie zweimal spielen. Was du geprobt hattest, war im gleichen Moment wieder weg (…) Zudem hatten wir immense Kosten: Eigene PA, Roadcrew, das Kino als Probenraum, das war ein Riesenapparat.”
Es kam, wie es kommen musste – der Satin-Wal war Geschichte.
Bewertung: ohne
PS: Mit “On Tour” ist im September 2024 sogar ein weiteres Live-Album von Satin Whale erschienen. Vielleicht ein weiterer Anstoß, sich mit dem Erbe einer Band zu beschäftigen, die eigentlich nur einmal wirklich hell gestrahlt hat, da aber sehr.
Surftipps zu Satin Whale:
Wikipedia
ProgArchives
MiG Music
Spotify
Abbildungen mit freundlicher Genehmigung: MiG Music