BetreutesProggen.de und Metallica? Es wird Zeit meine Freunde!
Ja, ja…ich kann eure Gedanken geradezu förmlich schmecken. Auch wenn das hier stehende Bier meinen Gaumen schon gänzlich vereinnahmt hat. Aber bekanntlich ist das vierte Album der amerikanischen Thrash-Veteranen ein seit Jahrzehnten gerne diskutiertes Thema. Kein anderes Album der Band ist so eigen und komplex, wenn es darum geht, es einzuordnen. Inwieweit wir uns mit der Progressivität des 1987 erschienenen Album auseinandersetzen und vielleicht sogar von Proto-Prog-Metal reden könnten, erfahrt ihr hier.
“…And Justice For All” ist erst einmal ein großes Stück Trauerbewältigung.
Denn nachdem Cliff Burton, allseits geliebter und vergötterter Bassist der Frühphase von Metallica, 1986 auf der Tour zum Albumvorgänger “Master Of Puppets” in Schweden verstarb, fielen die drei verbliebenen Bandmitglieder in ein großes Loch. Immerhin war Burton nicht nur kreativer Mittelpunkt, sondern auch Ruhepol und Richtungsweiser der Band. Die Veränderungen, die Metallica in ihren ersten Jahren vollbrachte, gingen hauptsächlich von ihm aus: die Abkopplung der Band vom Standard-Thrash-Metal, der sich stets mit den gleichen Stilmitteln und Schemata zeigte und wenig Raum für Kreativität bot. Cliff brachte genrefremde Musikstile in die Band, schrieb Intros im Bereich der klassischen Musik und verhalf ihrem schwarz-weißen Thrash-Riffing zu mehr Farbe. Durch ihn erlangte ihre Musik eine spürbare Progressivität und gewann deutlich an Dynamik. Das gab es zu dieser Zeit in diesem Genre bei kaum einer anderen Band. Kurz gesagt, entwickelten Metallica sich in Windeseile weiter – dank Cliff. Leider endete eine nächtliche Fahrt von Stockholm nach Kopenhagen mit einem tragischen Busunfall, bei dem der Bassist ums Leben kam.
Newsted kam, doch der Groll blieb.
Wie ging es nun weiter? Schaffte es die Band, sein Fehlen zu kompensieren? Warum sich diesen Fragen stellen, wenn das große A(lkohol) als Antwort bereitsteht? Und dieser begleitete die Band erst einmal für einige Monate. Ein bitterer Schritt schien es für James Hetfield, Kirk Hammett und Lars Ulrich gewesen zu sein, Ausschau nach einem neuen Tieftonsaitenspieler zu halten. Wat mutt, dat mutt. Also fanden sie für die Nachfolge von Burton den jungen Jason Newsted (Flotsam and Jetsam). Als großer Fan der Band passte er nicht nur mit seinem Können in die Band, sondern auch mit seinem Charakter. Ein Arbeitstier und gut gelaunter Kollege bereicherte die Band von nun an. Die tiefe Trauer war auf dem kommenden vierten Album …And Justice For All deutlich zu hören.
Ernst, bitter, freudlos.
Dieses Album ist anders als seine Vorgänger. Die Songs sind lang, denn keiner unterschreitet die Fünf-Minuten-Marke. Die Stimmung entfernt sich vom pubertär-aggressiven Thrash Metal. Die Band wirkt plötzlich ernst und erwachsen, fast freudlos. Die Aura, die dieses Album umgibt, wirkt bitter und karg. Die Songs behandeln ausschließlich ernste Themen wie Krieg und Politik. Freude und Dur-Töne sucht man hier vergebens.
“…And Justice For All” unterscheidet sich deutlich von den zeitgleich erschienenen Alben der Genre-Mitstreiter. Es stellt eine große Weiterentwicklung im Gesamtpaket und im künstlerischen Wirken dar und besitzt mit seinem Sound eine Art lautmalerisches Konzept. Vom ersten bis zum letzten Song verharrt die Band dynamisch nahezu auf einer Ebene, sowohl tonal als auch lyrisch. Gefühlt gibt es keine Ausreißer. Schneidet man alle Songs zusammen, erhält man einen fast perfekten Long-Track.
…And Prog For All?
Nicht nur dieses Konzept ist schon progressiv im wörtlichen Sinn, sondern auch der Sound. Dieser entsetzte zunächst fast jeden. Der Bass wurde fast vollständig herausgemischt, Jason Newsted quasi nicht zu hören. Die Gitarren sind nahezu frei von Mitten (sogenannte ‘Scooped Mids’) und klingen stark komprimiert und flach. Die Drums haben einen metallischen und dünnen Charakter und wirken motivationslos. In Summe ergibt sich daraus eine kalte und leblose Atmosphäre, die das oben genannte Konzept unterstreicht. Dies wird zusätzlich durch den häufigen Einsatz von Dissonanzen unterstrichen.
Egal, wie oft man dieses Album hört, das Gefühl dabei überrascht immer wieder aufs Neue. Und genau das ist progressiv im Sinne von kreativer Ablehnung des damals üblichen und der streng von den Fans überwachten Stilgrenzen – die Scharia des Metals? Schon damals gab es Gatekeeping. Fortschritt trotz klanglichem Rückschritt? Es liegt auf der Hand, wie die innere Leere und die Trauer der Band dieses Klangbild geprägt haben. Wie soll man es beschreiben? Eine monotone, aggressive, sonore und dennoch sämige Rauheit?
Ein weiterer Punkt ist selbstverständlich auch das Songwriting selbst. Den Songs wurde erstaunlich viel Zeit und Fläche gegeben. Klar, das machen viele andere Bands auch, aber nicht mit solch einem begrenzten Akkord- und Melodie-Repertoire. Der Schwerpunkt liegt hier auf den Riffs, die alleinig durch ihren Rhythmus diese treibende und matte Wirkung entfalten. Mit mechanisch und monoton könnte man sie beschreiben. Takt- und Tempowechsel gibt es hier reichlich: 7/8, 6/4, 5/4, 7/4, 3/4 usw. Die Rhythmusarbeit auf “…And Justice For All” ist für Metal dieser Zeit relativ komplex und anspruchsvoll und prägt die Hauptfarbe im Spektrums des Albums. Ganz sicher hatte dies auch starken Einfluss auf den kommenden Prog Metal. Nicht nur auf diesen, sondern auch auf extremere Musikrichtungen. Technical Death Metal und andere rhythmisch stark geprägten Metal-Subgenres wurden ebenfalls stark beeinflusst.
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…And Ballad For All?
Abgerundet wird “…And Justice For All” .durch die balladesken Stücke. Die Anti-Kriegs-Hymne ‘One’ schildert die Opfer des Krieges mit einer nüchternen Offenheit, die durch den brutalen und hoffnungslosen Sound verstärkt wird. Die oft übersehene Instrumentalnummer ‘To Live is to Die’ ist eine sich aufschwingende Mid-Tempo-Nummer, die sich stampfend ernst zeigt und zugleich hoffnungsvoll und melancholisch wirkt. Der Song ist eine Hommage an Cliff Burton und baut auf Riffs auf, die der Verstorbene noch vor seinem Tod geschrieben hat. Das Zusammenspiel von Bass-Leads und Gitarren erzeugt eine starke Dramatik, die in Verbindung mit der Aggressivität des Albums zusätzlich verstärkt wird. Gänsehaut ist nahezu immer garantiert.
Unterm Strich ist “…And Justice For All” ein Prog Metal Album der ersten Generation. Progressiv im Sinne seiner Rhythmik, seines Sounds und dem nicht reproduzierbaren Charakter. Auch wenn das Fehlen des Basses zunächst einem naiven Fehlverhalten gleicht, ist es dem Gefühl des Albums sehr zuträglich. “…And Justice For All” ist letztendlich genau so gut, wie es ist.
Wer “…And Justice For All” trotzdem einmal mit Bass kennenlernen möchte, kann sich diese Version mit deutlich verstärktem Bass anhören:
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Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Martin Kopp zur Verfügung gestellt.