(55:15; CD; Digital; 43:13 Vinyl; Studio Fleisch, 06.12.2024)
“Das neue Album ist so etwas wie die Essenz aus über 30 Jahren Electric Orange”, erklärt Dirk Jan Müller, der das langlebige Projekt schon 1992 in Aachen gestartet und später zu einer großartigen Band ausgebaut hat. Ähnlich den Düsseldorfern von Vibravoid, die auch aktuell mit einer Werkschau an Cover-Versionen am Markt auftauchen, hat man es bei Electric Orange ebenfalls mit einer der dienstältesten Vertretern in Sachen deutschem Psychedelic, Krautrock und Space Rock zu tun und “Ada” – so viel vorweg – wird keinen Fan der Band nur annähernd enttäuschen. Wo Vibravoid eher dem traditionellen Psych/60s-Rock huldigen, finden sich im abgefahrenen, wahlweise experimentellen Sound der Aachener ebenfalls viele Referenzen an die gute alte Zeit, vor allem der des guten alten Krautrock. Weitere Einflüsse des progressiven Rocks der Siebziger, die gute alte Berliner Elektronik-Schule sollte außerdem nicht unterschlagen werden. Klingt alles gestrig, ist es aber selbstverständlich nicht. Mit diesen bunten und vielfältigen Einflüssen schaffen Electric Orange ihre ganz eigene zeitgemäße Welt, ihre ganz eigene Stilistik.
“Ada” startet entspannt mit dem luftig-lässigen, etwas düsteren ‘henry’s bead’. Ein feiner, organischer Jam mit verspielten, etwas verschleppten, trippy Drums, latent jazzigen Vibes und creepy Sprach-Samples. Die rockig-organischen Räume sind schon mal etwas für den Psych-Feinschmecker.
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Somit genau das Richtige zum Einstieg, und mit dem ebenfalls flotten, rockig angehauchten ‘dead farm’ bleibt man gleich hypnotisch in der Fahrspur. Auch hier wird mit allerhand verfremdeten Sounds, psychedelischen Gitarren-Effekten und erneut sehr räumlich und organisch inszenierten Drums einiges an Atmosphäre kreiert. Monotonie und hypnotisches Geblubber gehören wie das Klappern zum psychedelischen Geschäft und machen auch den Krautrock von Electric Orange zur kleinen, feinen Hypnose-Therapie. Sanfte Akustik-Akkorde und freakige Electronica eröffnen das sehr spezielle ‘Erebus’. Ein dissonanter Teppich wird hier ausgelegt, auf dem man gekonnt am Anfang täuschend an der Eingängigkeit vorbei musiziert, um dann umso gezielter mit beschwörenden Flöten, bluesigen Akkorden und progressiven Licks gezielte Dynamik-Kurven zu schaffen. Das versteht die Aufmerksamkeit des Hörers bewusst zu binden, lullt man ihn doch so richtig schön ein.
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Das kurze ‘card punch’ rockt ebenfalls überraschend frontal und weiß mit weirden, gleichzeitig harmonischen Gitarren-Melodien die Aufmerksamkeits-Spanne weiter hochzuhalten. Der Titelsong integriert tatsächlich mal Vocals (zum Teil psychedelisch verfremdet) in den rockig-flockigen Flow – warum eigentlich nicht öfter auf diese Weise? Surreale Synths finden zu leichtfüßigen Melodiebögen nebst Sitar-Klängen ihren ganz eigenen hypnotischen Ausdruck. Ein wunderschönes Stück verträumter Psychedelia und definitiv mein Album-Highlight – hätte ruhig jenseits der zehn Minuten tanzen dürfen. Epische Fanfarenklänge, bizarre Bläser-Partituren und jazzige Drum-Szenarien machen aus dem fordernden ‘lucid frames’ keine Überforderung, aber herausfordernd und experimentell verspielt ist es allemal. Die offizielle LP-Version endet mit dem fast zehnminütigen ‘Tage der Selbstmumifizierung’ (was für ein Titel!). Ambient-Drones, jazziges Wirrwarr nebst experimenteller Klangcollagen stehen dem Titel musikalisch in nichts nach. Hier stand die Avantgarde der alten Meister ganz klar Pate, so wie dank der Bläser ein gewisses Maß an King-Crimson-Verschrobenheit generell diese Veröffentlichung positiv prägt. Die zwei zusätzlichen Tracks, das intensive, tribal-lastige ‘eight’ und das düstere, avantgardistische ‘medora’, erhält man übrigens nur auf CD und in der digitalen Ausführung. Ich habe viele Platten der Band im Schrank, und ja, Electric Orange sind aus meiner Sicht auch auf “Ada” mit allen wichtigen Trademarks am Start. Von rockig-eingängig bis doch sehr avantgardistisch gibt es die volle stilistische Vollbedienung. Freunde der Band und Hörer im Spannungsfeld des psychedelischen Jam/Space Rock werden das Album ob seiner Vielfalt an Atmosphären lieben. Die Produktion ist top, das Drumming ist jazzig verspielt, alles ist schön räumlich produziert und gut durchkomponiert. Im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen wirkt die Herangehensweise fokussierter. Ein zu sehr ins Offene hineinjammen weicht auf “Ada” gezielteren Kompositionen.
Bewertung: 12/15 Punkte
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Line-up:
Dirk Jan Müller – Analogue & Modular Synthesizers, Farfisa Compact, Mellotron, Audio Generator, Bass on tracks 1,2
Dirk Bittner – Electric & Acoustic Guitars, 11-String Guitar, Vocals, Voice, Trumpet, Percussion, Banjo, Thai Khim
Werner Wieczorek – Electric Bass, Backing Vocals, Guitar on Track 2
Eric Karow – Drums, Backing Vocals
“Double D” (Dirk & Dirk): Produktion & Mix
Eroc: Mastering.
Surftipps zu Electric Orange:
Homepage
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Bandcamp
Soundcloud
Spotify
Wikipedia
Cargo-Records (Vinyl)
Rezensionen:
“Psi-Hybrid” (2021)
“Encoded” (2020)
“Volume 10” (2015)
“Fleischwerk” (2005/2008)
Interviews:
Dirk Jan Müller von Electric Orange im Gespräch über u.a. “EOXXV”
Abbildung: Cargo Records