(35:34, CD, Digital; Eigenveröffentlichung, 15.12.2024)
Das Urteilsvermögen vom Colonel mag ja exquisit sein. Aber sein Timing, Leute… Da hat man über die Monate hinweg immer mal wieder an seinen Album-Top-10 des Jahres gewerkelt. Diese auch schon veröffentlicht. Ist auch soweit ganz zufrieden damit. Und dann das. Aber das ist mal wieder typisch für diese störrische, schwer einzuordnende und brilliante Band aus dem Rheinland. Und passt in gleich mehrfacher Hinsicht in unsere Zeit: Trump kommt definitiv über uns und auch Merz scheint unvermeidlich. Da braucht die Welt wohl einfach ein Album wie “Madman Theory”. Und dessen Musik brauchte wieder einmal Bewegung auf dem Drum-Höckerchen des Colonels: Rafael Calmam taucht aber noch in den Danksagungen auf. Und sie braucht für manche Stücke sogar ein zweites Mal Sax-Appeal (Philipp Gropper: Tenorsaxophon auf den Stücken Nr. 1, 3, 7, 8; “ein deutscher Komponist und Saxophonist des Jazz und des Modern Creative Stils”). Und braucht erstmals Synthesizer-Flächen, hier verlegt von Philip Zoubek (“Philip Zoubek ist ein Pianist und Komponist der Neuen Improvisationsmusik und des Avantgarde-Jazz. Im Jahr 2020 erhielt er den WDR-Jazzpreis”).
Und was hat der geneigte Hörer von alledem? Apokalypse, Ladies and Gentlemen, Apocalypse Now.
Fetter, böser, VdGG-mäßig unheilvoll trötender hat der CPGJ-Sound selten geklungen als auf dem eröffnenden Titelstück. Man spürt, wie man sich in diesen kaum begreiflichen Horror-Rhythmen und den gegenläufigen Melodien wie in den Schlingen der Endzeit-Mania zu verheddern (nicht droht, sondern:) beginnt. Und dann singen uns die Saxophon-Sirenen-Soli das mehr oder weniger süße Lied des Wahnsinns. Das Metal-inspirierte Riffing von Hauptkomponist Sebastian Müllery lässt zwar an Brutalität nichts zu wünschen übrig, aber ist hier noch am ehesten die zusammenhaltende Klammer, die Stimme der Vernunft quasi.
‘Industrial Grid’ – der Titel setzt schon mal auf die richtigen Spuren. Wenn King Crimson einen Soundtrack zu einem Endzeit-Schocker gemacht hätten, es hätte in die hier gebotene Richtung gehen können. Die kakophonischen Synth-Sounds vermitteln nicht Schmerz, sie scheinen Schmerz zu sein.
Auftritt des Filmhelden, der doch noch alles richten wird (I’m lookin’ at you, Bruce Willis). Das Eröffnungsthema von ‘The Dark Triad’ gaukelt uns das jedenfalls zunächst vor. Aber das wäre zu einfach. Für den Longtrack des Albums natürlich erst recht. Der harmonische Aufbau, die mächtige Anfangsmelodie zerfallen binnen kurzem, werden von irrwitzig brunftenden Saxophonen und der gewollt aus dem Ruder laufenden Rhythm Section pulverisiert. Es bleibt musikgewordene Verzweiflung, Trostlosigkeit, die sich nicht zuletzt in Sebastians irrem Gitarrensolo manifestiert.
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Jetzt aber. Leutis. ‘Peace On Earth’, eyh! Nun wird alles gut!
Doch dafür ist das spannende, orientalische Harmonik bemühende Zwischenspiel leider doch zu kurz. Und wenn man mal ehrlich ist – die Gitarre wehklagt hier in etwa so waidwund wie auf Fates Warnings’ “Disconnected”-Album, dem Grabstein für Ray Alders Vater. Wir erreichen schließlich, geläutert durch so viel Schmerz, die ‘Purity Of Essence’. Scheint aber wieder mehr die Essenz des groovenden Schmerzes zu sein.
‘CRM 114’, ein weiteres Interludium, bereitet den Grund für den ‘Dystopian Chant’, der zur Abwechslung vergleichsweise langsame, lang stehenbleibende und zwar immer noch Böses evoziererende, aber dabei relativ harmonisch klingende Klangtürme aufbaut. Was in der Tat etwas “Gesangliches” hat. In Summe noch am ehesten, was man einem Freund von “Fusion” zumuten wollen würde.
Doch wir haben des Teufels Küche noch nicht ganz durchschritten. Noch gilt es, die Klippen der ‘Harmony Obliteration’ (Harmonieverwüstung) zu überstehen. Bis dann am Ende nichts als ‘Ashes’ bleibt. Und in den durchaus präsenten Schmerz mischt sich ein Gefühl der Dankbarkeit dafür, dass es derart mutige, kompromisslose und nicht immer leicht zu ertragende Musik im Spotify- und TikTok-Zeitalter überhaupt noch gibt.
Bewertung: 13/15 Punkten
Line-up:
Sebastian Müller: Guitar, Kompositionen, Produktion
Leonhard Huhn: Saxophone, Electronics
Reza Askari: Bass
Dominik Mahnig: Drums (Tracks 1, 3, 7, 8)
Thomas Sauerborn: Drums (Tracks 2, 5, 6, 9)
Philip Zoubek: Synthesizer
Philipp Gropper: Tenorsaxophon (Tracks 1, 3, 7, 8)
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Wikipedia (Sebastian Müller)
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Abbildungen: CPGJ