Bent Knee – Twenty Pills Without Water
(43:12; Vinyl, CD, Digital; Take This To Heart Records, 30.08.2024)
Noch im September des letzten Jahres, in meiner Rezension von Einar Solbergs Solo-Album “16”, hatte ich Ben Levin als Gitarristen von Bent Knee bezeichnet. Dass sowohl er als auch Bassistin Jessica Kion zu diesem Zeitpunkt schon seit fast anderthalb Jahren die Band verlassen hatten, war völlig an mir vorbei gegangen. Bis vor ein paar Wochen, als ich von der Information überrascht wurde, dass Bent Knee mit “Twenty Pills Without Water” bereits seit dem 30. August ein neues Album am Start haben, auf dem Courtney Swain, Gavin Wallace-Ailsworth, Chris Baum und Vince Welch erstmals als Quartett agieren; allerdings mit Unterstützung einer Vielzahl von Gastmusikern.
Eine Platte also, auf die man gespannt sein konnte – viel mehr noch als bei den vorherigen Alben, bei denen man nie so recht wusste, welche musikalischen Wege Bent Knee gerade wieder eingeschlagen hatten. Denn aufgrund des doch sehr kritischen Fan- und Medien-Echos auf ihr letztes Studio-Album “Frosting”, war ein stilistisches “weiter so” eigentlich auszuschließen gewesen. Dass mit Levin und Kion nun aber auch noch zwei Gründungsmitglieder die Band verlassen hatten, machte die Frage danach, wohin die Reise der verbliebenen Musiker nun gehen würde, noch spannender. Die Schriftart, in welcher der Bandname vom neuen Album prangt, konnte jedenfalls schon einmal als Hinweis dafür genommen werden, dass es wieder in Richtung “Say So” gehen könnte. Genauso wie das Artwork selbst, nur dass die Elemente Mädchen und Wald hier in einem desolaten Zustand abgebildet sind.
So wird der eine oder andere aufatmen können, da von Autotune, Glitches und Hyperpop, mit denen Bent Knee auf “Frosting” noch experimentierten, auf “Twenty Pills Without Water” nichts mehr zu finden ist. Ganz hat man sich allerdings auch auf dem siebten Studio-Album nicht von Synthies und Electronica verabschiedet. Was auch gut so ist, da das moderne Sounddesign von Vince Welch ja ein integraler Bestandteil von Bent Knee ist – wie ganz besonders bei ‘Illiterate’ deutlich wird. Anders sieht es da schon mit der Gitarrenarbeit aus, denn das Experimentelle, die wahnwitzigen Effekte, mit denen Ben Levin seine Sounds teilweise versah und die teils wahnwitzigen Math-Rock-Elemente gehören leider der Vergangenheit an, genauso wie das komplexe Bassspiel, für das Jessica Kion bekannt war. Umso prominenter darf Schlagzeuger Gavin Wallace-Ailsworth nun in Erscheinung treten, was er beim Quasi-Opener ‘Forest’ mit einem Perkussiv-Feuerwerk gleich einmal unter Beweis stellt.
Und auch der Gesang von Frontfrau Courtney Swain hat durch das Ausscheiden von Levin und Kion wieder einen prominenteren Platzeingenommen, da keine progressive Instrumentalarbeit mehr von der großartigen Stimme der Sängerin ablenkt. Ganz im Gegenteil, Chris Baum an der Violine und die zahlreichen Gaststreicher bereiten mit ihren Instrumenten eine warme Atmosphäre, auf der sich Swains Stimme entfalten kann – leider ohne, dass diese dabei in ihrer vollen Bandbreite erklingt. Auch Electronica und Sounddesign nehmen eine unterstützende Stellung ein, sodass “Twenty Pills Without Water” für Bent-Knee-Verhältnisse sehr zugänglich geraten ist, was ganz besonders bei ‘Big Bagel Manifesto’ und ‘I Like It’ deutlich wird. Allerdings fehlen dem Album gleichzeitig auch die Ecken und Kanten, die vergangene Platten der Band so spannend gemacht haben. Stattdessen wird Art Pop großgeschrieben, wie das mit seinen Sound-Effekten an Steve Hogarths ‘Really Like’ erinnernde ‘Never Coming Home’ deutlich macht. Eine Entwicklung, die nicht nur in den personellen Veränderungen begründet liegt, sondern auch der der Thematik des Albums geschuldet ist:
Never coming home — the idea of not being able to return to the way something was — has grabbed hold of our collective consciousness and refused to let go. Perhaps the world is falling apart. Perhaps we’re just getting older. Whatever the case, the transient nature of life brings about its share of existential crises and nostalgia remains a difficult emotion to shake. It seems only fitting for a band that recently parted ways with two of its members to center our first album as a quartet around themes of anxiety and depression amidst tumultuous change.
So bekommt man tatsächlich immer wieder das Gefühl, als habe Bent Knee ein wenig der Mut verlassen, als stecke die Band selbst in einer Art depressiver Phase. Denn auf Impulse, die den Stücken spannende Richtungsänderungen mitgeben würden, wartet man meist vergebens. Allerdings muss man davon ausgehen, dass dies genau so gewollt war, da es wunderbar ins lyrische Konzept des Albums passt. Wenn sich dann doch einmal ein Stück wie ‘Lawnmover’ vom Folk in Richtung Prog entwickelt, so ist man umso überraschter darüber. So bedarf es einer gewissen Zeit, um zu akzeptieren, dass die Band auf diesem Album einen neuen Ansatz gewagt hat. Aber das kennen wir ja schon, insbesondere von “Frosting”. Verglichen mit diesem letzten Album dürfte “Twenty Pills Without Water” für die Mehrzahl der Bent-Knee-Fans jedenfalls wieder ein Schritt zurück in die richtige Richtung sein. Mir selbst allerdings gefällt der experimentelle Ansatz der Bostoner deutlich besser als diese stärker songorientierte und fokussierte Herangehensweise.
Bewertung: 10/15 Punkte
Twenty Pills Without Water von Bent Knee
Besetzung:
Courtney Swain – lead vocals, keyboards, bass guitar
Gavin Wallace-Ailsworth – drums
Chris Baum – violin, backing vocals, guitar
Vince Welch – synthesizers, rhythm guitar, sound design, production, bass guitar
Gastmusiker:
Tim Doherty – guitar (track 2, 9)
Gillian Gallagher – viola (track 2, 3, 4, 5, 7, 9)
JY Lee – cello (track 2, 4, 5, 7, 9, 10)
Tessa Sacramone – violin (track 2, 3, 4, 5, 7, 9, 10)
Zan Berry – cello (track 3)
Elliott Klein – guitar (track 3, 9)
Jed Lingat – bass (track 3, 5, 9, 10, 11)
Bradford Krieger – guitar (track 3, 9) & spoken word (track 3)
Peter Danilchuk – synth (track 4)
Asher Kurtz – guitar (track 4, 7, 11)
Kyle Harris – drum programming (track 5)
Ben Wallace-Ailsworth – bass (track 7)
Nathan Cohen – viola (track 10)
Diskografie (Studioalben):
“Bent Knee” (2011)
“Shiny Eyed Babies” (2014)
“Say So” (2016)
“Land Animal” (2017)
“You Know What They Mean” (2019)
“Frosting” (2021)
“Twenty Pills Without Water” (2024)
Surftipps zu Bent Knee:
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Discogs
Prog Archives
Wikipedia
Rezensionen:
“Frosting” (2021)
“You Know What They Mean” (2019)
“Land Animal” (2017)
“Say So” (2016)
“Shiny Eyed Babies” (2015)
Liveberichte:
02.03.18, Zoetermeer (NL), De Boerderij, Progdreams VII Festival
Abbildungen: Bent Knee