(57:30; Vinyl, CD, Digital; InsideOut/Sony Music, 01.11.2024)
Lange Jahre waren Beardfish einfach so an mir vorbeigeschwommen. Als ich 2015 dann erstmals mit den Schweden auf dem Loreleyfelsen in Kontakt kam, war es kurz darauf schon wieder um die Band geschehen. Beardfish wurden auf Eis gelegt, und Rikard Sjöblom widmete seine Aufmerksamkeit fortan seinem Solo-Projekt Gungfly sowie Big Big Train.
Schade, denn gerade die späteren Alben der Band, wie das damals aktuelle “+4626-Comfortzone” hatten es mir angetan.
Im April diesen Jahres, nach neun langen Jahren, gab es dann endlich wieder erste Lebenszeichen von den Skandinaviern. Anlässlich seines 15. Geburtstags veröffentlichten Beardfish “Destined Solitaire” erstmals in einer Vinyl-Ausgabe und ab Mai 2024 traten Rikard Sjöblom und seine Mitstreiter auch wieder vereinzelt live bei Festivals auf, darunter auch bei der Last Night Of The Prog. Dass auch ein neues Studioalbum anstehen könnte war anfangs nur eine vage Hoffnung und wurde schnell zur freudigen Gewissheit.
Diesen Herbst, am 1. November, war es dann endlich so weit: Fast eine Dekade nach dem wundervollen “+4626-Comfortzone” erschien mit “Songs For Beating Hearts” endlich ein neues, das insgesamt neunte Studioalbum des Quartetts aus der Hafenstadt Gävle am Bottnischen Meerbusen.
Wirklich Neues war bei einer Retro-Prog-Band wie Beardfish natürlich nicht zu erwarten. Und doch wirkt “Songs For Beating Hearts” nicht einen Moment altbacken, sondern so nah am Puls der Zeit wie es für eine solche Band nur möglich ist. Charakteristisch für “Songs For Beating Hearts” ist dabei, dass trotz aller technischen Finesse und ausladender Instrumentalpassagen stets die Atmosphäre im Mittelpunkt der einzelnen Stücke steht. So ergibt sich ein Klangbild, das reich an Details ist, gleichzeitig aber auch – oder vielleicht gerade deswegen eine organische, wohlig-warme und verträumte Stimmung aufkommen lässt. Bestes Beispiel hierfür ist bereits der grandiose, phasenweise sehr stark an The Dear Hunter erinnernde Opener ‘Ecotone’, mit seinem Fingerpicking auf der Akustischen, dem warmen Gesang von Rikard Sjöblom und dem entrückten Hintergrundraunen von Amanda Örtenhag. Wie kann Musik nur so herzzerreißend und wundervoll zugleich sein..?
Nicht ganz so ergreifend, dafür umso beeindruckender ist das fast 21-minütige, in sechs Parts unterteilte ‘Out In the Open’. Es ist ein klassischer, genretypischer Longtrack, inklusive einer mittelalterlich bis pastoral anumutenden ‘Overture’, einem markanten Hauptthema, das von Robert Hansen mit wundervoll knarzendem Bass begleitet wird (‘Oblivion’), akustischen Passagen (‘Hopes And Dreams’), ausreichend Spielraum für Solo-Eskapaden – die Hammond-Orgel in ‘Oblivion (Reprise)’! – und einem Finale (‘Around The Bend’), das an eine Jam-Session erinnert. Ein Stück, das so typisch für Beardfish ist, dass es gleichzeitig nach allen möglichen der Prog-Größen der 70er Jahre klingt (u.a. Genesis, Yes und gentle Giant) und gleichzeitig doch unverkennbar den Schweden zugeordnet werden kann. Ob dieses Lied übrigens von einer großen Liebe oder der Geschichte Beardfishs selbst handelt, bleibt unklar, vielleicht sogar ganz bewusst.
‘Beating Hearts’ ist ob seines Namens das Quasi-Titelstück dieses Albums und eröffnet dessen B-Seite mit Streicherklängen. Wundervoll ist, dass die Lyrics von ‘Ecotone’ hier wieder aufgegriffen werden, genauso, wie später noch einmal beim Stück ‘In The Autumn’, sodass ein thematischer Bogen vom Opener bis zu dessen Reprise gespannt wird. ‘Beating Hearts’ selbst ist eine elfminütige Symphonic-Prog-Werk mit wundervollen Akustikgitarren-Motiven, die irgendwo in der Schnittmenge zwischen Steve Hackett und Robert Fripp angesiedlt sind. Kontrastreich dem gegenübergestellt sind die vielen Disharmonien sowie Sjöbloms Gesang, der teils fast inbrünstig daherkommt. Auch Robert Hansen beweist hier mit seinem Bassspiel ein Gespür für fette eingängige Riffs. ‘In The Autumn’ kann vor allem mit seinem Gesang überzeugen, bei dem Rikard Sjöblom gemeinsam mit Amanda Örtenhag im Duett auftritt und bei dem Louise Lundquist die Begleitung beisteuert, was zu magischen Momenten führt.
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Das abschließende ‘Torrential Downpour’ ist vielleicht das eingängigste Stück dieses Albums und ganz großes, was v.a. der treibenden Rhythmusarbeit, insbesondere dem Drumming von Magnus Östgren geschuldet ist. Obwohl Rikard Sjöblom mit diesem Stück den Verlust seines Vaters thematisiert, ist es vielleicht das positivste Stück dieses Albums, da es Wärme, Trost und Geborgenheit vermittelt – einfach wunderschön.
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Wie eingangs schon erwähnt, war es viel zu lange still um Beardfish gewesen. Dass die Schweden nun mit einem solchen stimmungsvollen Album zurückgekehrt sind, macht die Freude über die Reunion nur noch umso größer. Zwar ist “Songs For Beating Hearts” kein Konzeptalbum geworden. Doch sowohl lyrisch als auch musikalisch ist das Album eine runde Angelegenheit. Für meinen Geschmack ist “Songs For Beating Hearts” sogar noch einen Tick stärker als Big Big Trains “The Likes Of Us” und damit nicht nur das Comeback des Jahres 2024, sondern auch dessen stärkstes Retro-Prog-Album.
Bewertung: 13/15 Punkten (FF 13, KR 12)
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Robert Hansen – Bass and backing vocals
Rikard Sjöblom – Lead vocals, guitars, Hammond B3 organ, akeyboards
David Zackrisson – Guitars and backing vocals
Magnus Östgren – Drums
Gastmusiker:
Amanda Örtenhag – Lead vocals on ‘In The Autumn’ and backing vovals on ‘Ecotone’
Hanna Edh – Backing vocals on ‘In The Autumn’ and ‘Torrential Downpour’
Louise Lundquist – – Backing vocals on ‘In The Autumn’
Stockholm Strings: – Strings
• Anna Dager – Strings
• Hanna Ekstöm – Strings
Diskografie (Studioalben):
“Fran en plats du ej kan se” (2003)
“The Sane Day” (2006)
“Sleeping In Traffic: Part One” (2007)
“Sleeping In Traffic: Part Two” (2008)
“Destined Solitaire” (2009)
“Mammoth” (2011)
“The Void” (2012)
“+4626-Comfortzone” (2015)
“Songs For Beating Hearts” (2024)
Surftipps zu Beardfish:
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Prog Archives
Wikipedia
Rezensionen:
“Destined Solitaire” (15th Anniversary Edition) (2024)
“Discovering Beardfish” (2016)
“+4626-Comfortzone” (2015)
“The Void” (2012)
“Mammoth (2011)
“Destined Solitaire” (2009)
“Sleeping In Traffic Pt.II” (2008)
“Sleeping In Traffic Pt.I” (2007)
“The Sane Day” (2006)
Liveberichte:
17.07.15, Sankt Goarshausen, Freilichtbühne Loreley, Night Of The Prog 2015
Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Oktober Promotion zur Verfügung gestellt.