Levellers, The Lottery Winners, 14.11.24, Köln, Gloria
Die Planierer
Es gibt Musik, die Dir Angst und die Dich klein macht. Die Dir das intensive Gefühl gibt, ganz allein zu sein. Musik, zu der oder vor der man sich gut verkriechen kann, ja vielleicht sogar muss. Und es gibt Musik, die Dir Mut und die Dich gefühlt kraftvoller macht. Dir das Gefühl gibt, dass da irgendwie ja doch viele Gleichgesinnte an Deiner Seite sind. Musik, zu der man sich gut aufrichten, vielleicht auch die Fäuste recken kann, eventuell sogar marschieren möchte… Die Levellers gehören für den Autor definitiv zur zweiten Sorte.
The Lottery Winners
Doch bevor wir uns an dem herbstlichen One-off-Konzert unserer Favorite Anarcho Punks erfreuen konnten, gab es noch eine Vorgruppe im rotsamtenen Gloria-Traum, quasi als Einheizer. Eigentlich ist eine Aufwärm-Einheit für einen Levellers-Gig so sinnvoll wie Grillanzünder vor einer Napalm-Explosion. Aber so war es nun einmal. Und eingeheizt haben uns The Lottery Winners nach Kräften…
Kräften, die Wikipedia gewohnt stoisch, aber akkurat als Indie Pop klassifiziert. Pub Rocker oder Kindergeburtstagskapelle hätte es m.E. aber auch ganz gut getroffen.
Denn die Formation hat es nicht durch einen Lottogewinn, sondern durch beharrliches Spielen in den Kneipen ihrer Heimat Leigh geschafft. So etwas ähnliches wie sechs Richtige gab es dann aber doch: Bei einem Live-Auftritt wurden sie von Medienmogul Seymour Stein entdeckt, Touren als Support für u.a. Paul Weller oder Richard Ashcroft waren die Folge. Ihr fünftes Studioalbum mit dem bezeichnenden Titel “Anxiety Replacement Therapy” marschierte unter Teilnahme von u.a. Frank Turner oder Boy George an die Spitze der UK Album Charts.
Live machte das in der Tat radiotaugliche ‘Worry’ das Fass auf, gefolgt vom böse-ironischen Stadion-Stampfer ‘The Meaning Of Life’.
‘Much Better’, für das Audience Participation eingefordert und massiv erhalten wurde, ist noch so ein sich selbst und anderen Mut machender und doch ironischer Song.
Und ‘Not Alone’ natürlich eine heiß glühende Solidaritäts-Schmiede.
(Get up and) ‘Start Again’ – wieder so eine augenzwinkernde, aber aufbauende Botschaft. Im Original mit Frank Turner. Dass Tom den zunächst glamourös ansagte … und dann nach sekundenlangem Warten aller meinte “Obviously he couldn’t make it” würde man den meisten Bands nicht so leicht verzeihen. Denen hier aber schon.
‘Burning House’ verbreitete abschließend erneut Partylaune zu nachdenklich stimmenden Texten.
Ganz persönliche Einschätzung: TLW sind allesamt Stimmungskanonen mit viel witzig formuliertem Verständnis für die “Kaputten”, Benachteiligten in unserer Gesellschaft (wer macht sonst schon einen Song über ADHS (‘Letter To Myself’)?) und Gefühl für catchy tunes. Putzigerweise aber findet zumindest der Autor die Gesangsstimmen von Gitarrist Robert Lally und Bassistin Katie Lloyd noch um einiges stärker als die vom Lead Singer und Songschreiber Tom Rylance selbst. Aber das ist vermutlich ein Luxusproblem.
LEVELLERS
Und dann war es Zeit für die Gastgeber des Abends…
Die namensstiftenden Levellers waren die Angehörigen einer frühdemokratischen politischen Bewegung in England, die ihren stärksten Einfluss während des Bürgerkriegs (1642–1649) ausübte: “Die Levellers engagierten sich für eine demokratische und freie Gesellschaft, für vollständige Religionsfreiheit sowie für (…) Gleichheit vor dem Gesetz. Wegen des letztgenannten Punkts wurden sie von ihren politischen Gegnern aus der Oberschicht als Levellers verspottet, was so viel wie “Einebner” oder “Gleichmacher” bedeutet.” (Wikipedia)
Levellers hat aber auch noch die Bedeutung “Planierer”.
Und mit der Wucht einer quietschbunten, friedlichen und doch kämpferischen Planierraupe machte sich das Sextett aus Brighton nun über das Gloria her…
Wenn Jon Sevink losfiedelt, ist die Welt kurzzeitig wieder im Lot, aber dabei definitiv in Bewegung!
Steter, unaufhaltsamer Bewegung. ‘The Riverflow’, ‘Fifteen Years’, ‘Battle Of The Beanfield’. Sämtlich alterslose Klassiker.
Zwischendurch werden Synchronsprünge aufgeführt, heftig mit dem Publikum, aber auch den Fotografen im Graben interagiert, das Didgeridoo herausgeholt (für das gruselig-keltische ‘The Boatman Jig’) und ihr vermutlich schönstes und programmatischstes Lied (‘One Way’) nicht ausgespart. Die beiden Dinger in genau der Reihenfolge ergaben eine perfekte Choreographie.
Apropos wichtig: Diese Welt braucht Bands wie die Levellers. Now more than ever…
Insgesamt ein schweißtreibendes, wunderschönes, wichtiges Erlebnis von der existenziellen Wucht eines Bad-Religion-Konzerts – und das ist schon die alleroberste Messlatte des Schreibluders.
Apropos wichtig: Diese Welt braucht Bands wie die Levellers. Now more than ever…
Live-Fotografie: Harald “Hoppi” Oppitz
Surftipps zu Levellers:
Homepage
Facebook
Bandcamp
YouTube
Instagram
Wikipedia
Surftipps zu The Lottery Winners:
Homepage
Facebook
YouTube
Instagram.fm
Wikipedia
Surftipps zu Veranstalter und Venue:
Prime Entertainment
Gloria