Im Gespräch mit Human Teorema, u.a. zu “Le Premier Soleil…”
Mit dem Hang zur langen Rille
Nach ganzen zwölf Jahren erscheint nun, nach einigen EPs im lang andauernden Vorfeld, dann doch das erste Fulltime-Album der Pariser Psychedelics Human Teorema. Und was für ein Debüt. Mit gerade einmal drei, sich zwischen acht und dreiundzwanzig Minuten bewegenden Tracks ist “Le Premier Soleil de Jan Calet” ein Fest für alle, die es lang, ausufernd und psychoaktiv mögen. Gitarrist Tim Girerd-Hengstenberg erklärt uns das Wie, Wo und Warum…
Ganze zwölf Jahre nach der Bandgründung erscheint nun das erste Album. Woran liegt das?
Tim: Zwölf Jahre, da hast du durchaus recht. Aber, für uns sind die eigentlich sehr schnell vergangen. Es war eine Reise voller Entdeckungen und Besetzungswechsel rund um Mathieu Leroy und mich, also die Gründungsmitglieder. Wir hatten nie das Bedürfnis, uns zu beeilen. Wir haben uns auch nie konkrete Ziele für Human Teorema gesetzt. Es ist ein Projekt, das mit uns wächst und mit anderen Unternehmungen koexistiert. Wir verfolgen parallel auch andere Projekte, aber dieses verbindet uns wirklich und gibt uns die Richtung vor. Wenn alles gut geht, werden wir in den nächsten zwölf Jahren alles wieder aufholen! Um es klarzustellen: Durch den Einstieg von Alan Charron und Xabi Irigoin in die Band verspürten wir eine neue Freiheit bezüglich unserer Tracks, was nun zu einer Veröffentlichung in Albumlänge führte. Allerdings betrachten wir unsere vorherigen EPs als eigenständige Alben, auch wenn sie etwas kürzer sind.
Was geht ab in Paris hinsichtlich der Musik, wie ihr sie macht?
Tim: Paris ist eine facettenreiche, ein wenig seltsame und sehr lebendige Musikstadt. Es gab eine Zeit, in der jede neue Band eine gewisse Krautrock-Atmosphäre zu haben schien. Das hat sich geändert und jetzt befinden wir uns in einer Post-Punk-Welle. Viele aktuelle Veranstaltungsorte wurden erst kürzlich in den Außenbezirken oder nahegelegenen Vororten eröffnet und so neue Spielstätten geschaffen. Wir bemerken eine Mischung aus Rockstilen, die von instrumentaleren und experimentelleren Spielarten bis hin zu strukturierterem Post Rock reicht. Wenn wir unsere Musik jedoch als “Progressive Rock” betrachten (was wir auch tun!), habe ich das Gefühl, dass es sich immer noch um eine Bezeichnung handelt, die einige Leute einschüchtern kann. Aber wir hoffen, dass sich diese Wahrnehmung ändert.
Besteht eure Musik nun aus Kompositionen oder doch eher aus Improvisationen?
Tim: Mit dieser neuen Besetzung haben wir uns wirklich durch lange improvisierte Jams kennengelernt. Das war unser ursprünglicher Ansatz und die Grundlage dieses Albums. Ihr könnt es in den Aufnahmen selbst hören, wo der größte Teil live eingespielt wurde und diese improvisierten Stücke mit strukturierteren Tracks vermischt wurden. Der zweite Teil von ‘Studiis’, ‘Bodleian Librar’ und der dritte Teil von ‘Spedizione, Céléphaïs’ waren echte Studioimprovisationen. Jetzt sind wir noch mehr in einer improvisatorischen Denkweise. Dieses Album hat uns das Selbstvertrauen gegeben, diesen Ansatz weiterzuverfolgen.
Was braucht ihr eigentlich, um in die richtige Stimmung zu kommen?
Tim: Wir sind eine Morgenband. Unsere Proben finden in der Regel früh am Tag statt, morgens oder am frühen Nachmittag. Vielleicht ist es also die Ruhe und Stille eines Studios, geschützt vor der Hektik der Stadt, die uns die Umgebung bietet, die wir brauchen.
… und eure speziellen Einflüsse?
Tim: Wir können sagen, dass unsere Haupteinflüsse im Progressive Rock der 1970er Jahre verwurzelt sind. Als Gemeinsamkeiten könnten wir King Crimson oder Soft Machine nennen, aber auch die französische Band Alpes mit Catherine Ribeiro. Es stimmt auch, dass alles rund um Michael Rother (Neu!, Harmonia, Solo) uns geleitet hat, ebenso wie die Post-Rock-Szene der späten 90er (GY!BE, Mogwai…). Wir können dieses Bild nicht vervollständigen, ohne The Mars Volta zu erwähnen, die all diese Ideen und Richtungen freudig in einem Wirbelwind vereinen. Lass’ uns auch noch einige aktuelle Bands hervorheben, die wir lieben und die uns auf teils unerwartete Weise inspirieren: Beak>, Aquaserge, Caméra und black midi.
Wie läuft es bei Euch? Wird vorher festgelegt, wie lang ein Song sein soll, oder entwickelt er sich zufällig?
Tim: Nein, wieder einmal ist alles wirklich improvisiert. Kein Thema oder Riff ist mit einer bestimmten Dauer vorgegeben. Das Zusammenspiel aller Ideen entscheidet darüber, ob ein Stück bestehen bleibt oder sich zu einem Übergang in andere musikalische Räume entwickelt. Dieses Album ist der Höhepunkt von zwei Jahren Proben, in denen wir viele Teile beiseitegelegt haben. Interessanterweise waren gerade die meisten Abschnitte, die wir verworfen haben, oft sehr strukturiert.
Sind im Zusammenhang mit dem Album Live-Performances geplant?
Tim: Ach, ja! Wir hoffen wirklich, eine kleine Tour durch Frankreich organisieren zu können und arbeiten gerade daran. Aber für uns hier in Paris wäre unser nächstes Ziel, was dank der unglaublichen Unterstützung von Dave von Sulatron Records – dem wir hier herzlich danken möchten – möglich wäre, auch mal in Deutschland zu spielen. Da wir noch keine Gelegenheit hatten, außerhalb Frankreichs aufzutreten, wäre das ein fantastisches Abenteuer für uns!
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Abbildungen mit freundlicher Genehmigung: Human Teorema / Sulatron Records