The Blue(s) Brothers
Ziemlich genau vor einem Jahr war Damian Wilson auch zu Gast in der Harmonie gewesen. Allerdings hatten die beiden Konzerte außer dem Sänger und dem Austragungsort genau gar nichts miteinander zu tun.
Am ersten November ´23 hatte er eine international besetzte All Star Band (B-Promis vielleicht, aber jeder ein Monster an seinem Instrument – und jeweils eine Szenegröße) mitgebracht, die an jenem Abend ihren zweiten Auftritt überhaupt in dieser Besetzung bestritten hatten.
An diesem Herbstdienstag in Bonn bestand seine Begleitung jedoch nur aus: seinem Bruder Paul Jude, einer Akustikgitarre, einem “Knochenjochen”, einer Tasse Tee und einem aus den Siebzigern stammenden tragbaren (Radio-)Kassettenrekorder, von dem später in quäkigem Sound eine von Rick Wakeman stammende Flügel-Begleitung eingespielt werden sollte. Für ein paar Sekunden…
Aber obwohl Headcount, Instrumentierung, Lautstärke, Licht, Repertoire und – resultierend – die gesamte Atmosphäre im Club kaum unterschiedlicher hätten sein können, war auch der diesjährige Auftritt auf seine Art wunderschön, jedenfalls nicht wirklich schwächer als im Vorjahr. Das Einzige, was schwächelte, war ausgerechnet das Bonner Publikum. Eine ganz knappe Hundertschaft mag es gewesen sein. Der für seine Publikumsnähe berühmte Damian ging mit diesem Umstand so um, dass er die Gäste persönlich mit Handschlag begrüßte. Wer das grade 55 Jahre alt gewordene Kraftpaket und seine bemerkenswerte Präsenz – ob nun mit oder ohne Mikrofon in der Hand – noch nicht aus der Nähe kannte, für den war das offensichtlich ein zunächst leicht einschüchterndes Phänomen. Aber ab den ersten Tönen von ‘Disciple’, diesem gesungenen Vermächtnis, fühlten sich wohl alle umarmt und angekommen, so zumindest unser Eindruck:
And you may wake one day believing you’re alone
But you’ll never be alone
No, you’ll never be alone.
Ist das schön oder ist das schön?
Aber da ging noch mehr.
Es folgte die erste von zahlreichen, ausführlichen Ansagen. Wer glaubt, Fish wäre der Chef im Ring beim mehr erzählen als singen, der sollte mal einen Acoustic Gig von Damian besuchen. Allerdings läuft das ganz wie bei “Onkel Fish” stets charmant. Und meist sogar noch etwas lustiger als bei dem großen Schotten. Oder beim ebenfalls für seinen trockenen Humor gerichtsnotorischen John Mitchell. Wir erfahren jedenfalls, dass Damian (ur-buddhistisch) nicht an Besitztümern hängt und aktuell in einem umgebauten Lieferwagen haust. Nachdem das Boot, auf dem er jahrelang gelebt hat, tragischerweise gesunken ist. “They tell me, this van won’t sink.”
Nun also ein Song über einen Typ, der in einem Lieferwagen lebt: ‘Written in Anger’.
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Let the last of your words
be kind.
Amen
Damians Bruder Paul steuerte hier und im Folgenden eine gekonnte zweite Stimme (und teils komisch-verzweifelte Mimik) bei.
Nach ‘Thrill Me’ der sichtlich bewegte Künstler: “Thank you for being so quiet. You are wonderful”. Das war offensichtlich nicht ironisch gemeint. Er muss bei diesem Akustik-Programm schon raubauzigeres Publikum als in Bonn erlebt haben.
‘I Want To Build My World’ – ein Liebeslied, falls es je eins gegeben hat:
I want to build my world around you
I want to let the truth surround you
I want to build my world.
Allerdings ist bei diesem vermeintlichen Bruder Lustig die Melancholie – ja auch Trauer – immer nur einen Wimpernschlag entfernt: “Als ich dieses Lied geschrieben habe, saß ein wilder Fuchs zu meinen Füßen. Der mochte die Musik anscheinend. Eines Tages war er verschwunden, er kam einfach nicht mehr wieder.” Und: “But beeing depressed – sometimes – is a good thing!”
So ist ‘Let Me Down Slowly’ natürlich auch ein Lied über das Verlassenwerden. Und ‘Multiplicity’ über Wutanfälle (wenn nicht Schlimmeres). Tröstlich jedoch:
I’ve never met any artist worth working with who wasn’t nutters
– including me.
‘The Last American Hero’, einer der gemeinsam mit Adam Wakeman entstandenen Songs, erforderte – und bekam – audience participation:
He told his bride
He would save her from boredom
Got in a rocket, flew it supersonic…
Noch lauter sang das Publikum beim Lieblingslied der Großmutter des Brüderpaares mit: In ‘Homegrown’ bekennt sich der liebe Gott freimütig dazu, eine Hanfplantage zu betreiben – und die eingebrachte Ernte auch zu nutzen.
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Nach der Pause ging es zunächst mit Songs aus dieser Kooperation weiter. Spätestens hier merkte der Autor, wie die Melancholie (zumindest bei ihm selbst) allmählich all das Positive und Spaßige überwog. Aber auch das muss ein Künstler erst einmal hinbekommen.
Passend dazu die nächste Offenbarung: “Ich liebe ja Friedhöfe. Der nächste Song handelt von der Zeit, als Paul und ich auf dem gleichen Friedhof gelebt haben.”
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Nach diesem Lieblingslied (‘When I Leave This Land’) war des Schreiberlings “stiff upper lip“ zumindest für diesen Abend endgültig Geschichte…
Das Verhängnis wurde mit dem weiteren love song ‘She’s Like A Fable’ nicht wirklich besser. Aber es sollte noch “schlimmer” kommen – mit einem Weihnachtslied (War das ‘I Thought The World Was Listening’? Quatsch: ‘Array Of Lights’ natürlich). Das von Damian und Pauls gemeinsamen Vater handelt – und dessen liebenswürdiger Obsession mit Weihnachtsbeleuchtung.
Damian: “Well, obviously he‘s no longer with us. Otherwise he certainly would have loved to be here!”
Hoppi vor der Bühne: “I think he is with us”.
Damian: legt stumm die rechte Hand vor’s Herz.
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Apropos Weihnachtslichter: ‘Can We Leave The Light On Longer?’ Sure we could!
Aber wir blieben auch noch etwas bei Verlust und Verletzung: ‘You Hurt Me Inside’.
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Die Zugaben absolvierte der Ausnahmekünstler a cappella – und mit seiner Trademark-ProgMetal-Stimme inklusive Helden-Tremolo. War das wirklich ‘And The Druids Turned To Stone’? Egal, es war jedenfalls sehr bewegend.
Nummer zwei – keine Ahnung. But encore number three was (and what could be more appropriate?): ‘Thank you’.
Well, thank you, Damian
Live-Fotos vor und wieder mal auf der Bühne: Harald “Hoppi” Oppitz
Surftipps zu Damian Wilson:
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Wikipedia
–
Konzert- und Festivalberichte:
Konzertbericht Bonn 2023
Konzertbericht Arena (Aschaffenburg, 2022)
Festivalbericht Artrock Festival (Reichenbach, 2018)
Album-Rezensionen:
Rezension Lalu “The Fish Who Wanted To Be King”
Rezension Lalu “Paint The Sky” (2022)
Rezension Damian Wilson & Adam Wakeman “Stripped” (1919)
Rezension Damian Wilson & Adam Wakeman “The Sun Will Dance In Its Twilight Hour” (2018)
Rezension “Built For Fighting” (2016)
Rezension Damian Wilson & Adam Wakeman “Weir Keeper’s Tale” (2016)
Rezension Headspace “All That You Fear Is Gone” (2016)