(44:00; CD, Digital; Vinyl; Dunk! Records, 18.10.2024)
“Angelm” in der Doppel-Betreuung
Teil 1: Rajko Baers
Konzipiert als proto-astrale Kollision von Pangea und tektonischen Platten beschäftigt sich das vierte Album der Neuseeländer aus Auckland mit den Kontinenten. Von den eisigen Weiten der Antarktis über die unbarmherzige Tundra bis hin zu den unendlichen Weiten des pazifischen Horizonts – für ein instrumentales, jederzeit experimentelles Post-Rock-Album keine schlechte Themenwahl. Kerretta sind seit Jahren mit ihren Alben immer ein wenig verrückter und störrischer als all die anderen Vertreter. Verstörende, dunkle, wilde Sounds und ein gesundes Maß an Experimentierfreude findest Du jederzeit bei den Auckländern. “Angelm” macht hier überhaupt keine Ausnahme, drängt und wütet es doch heavy auf der einen Seite mit allerhand psychedelischen Soundschnipseln und Samples. Die atmosphärische und melancholische Bilderwelt ist die andere Seite, die in mal heavy, mal sanft, natürlich auch der Stilistik Postrock verpflichtet ist. Der Sound ist ein gut dosiertes Brett, ein erneut richtig breit produzierter Teppich, über den die Band mit viel Spaß an offenen Einflüssen ihre Tänze aufführt.
Wenn wie im wühlenden ‘South Am’ dreckige Gitarren graben und rumoren, die Drums permanent vertrackte, progressive Rhythmik auffährt und dazu noch ein gesundes Maß an Heavyness jede Mauer zu Fall bringt, weißt du, dass du es mit Kerretta zu tun hast. Dunkle dräuende Klangmauern wie ‘Valley Towers’ erschaffen tief schürfende atmosphärische Kurzfilme, die nach opulenter Video-Untermalung regelrecht schreien. Die verrückte straight rockige Abfahrt mit wilden Ethno-Chorälen in ‘Eyes In The Bull Temple’ springt dir regelrecht frontal ins Gesicht. Ein gesundes Maß gibt’s da nicht wirklich, die Band radiert und feilt jede Grenze etwas ab, schafft progressive Kanten zuhauf und verschafft mit mahlenden Gitarren auch der metallischen Fraktion innerhalb des Postrock kleine Glücksmomente. Damit steht man Bands wie Russian Circles relativ nah, ist nur wesentlich mutiger und offener in der eigenen Performance. Nimm die apokalyptisch düsteren Szenarien wie im beeindruckenden ‘Oceania’, dann weißt du, wie weit raus die Neuseeländer schwimmen können. Wie Kerretta hier Spannung aufbauen mit finsteren Soundtrack/Ambient, um später mit metallischen Riffs und allerhand eigenwilligem Beiwerk ein düsteres Set zu fahren, das ringt schon Respekt ab und lässt die Band mit viel Mut zur Lücke agieren. Erneut zeigt die Band, dass Grenzen nicht für den eigenen Sound gelten, die satte Produktion genug klare straighte Momente zulässt, die aber jederzeit mit all den atmosphärisch experimentellen Einflüssen einen hohen Unterhaltungswert definieren.
Bewertung: 12/15 Punkten
Teil 2: Carsten Agthe
Mit Schmackes lassen die Neuseeländer, ganze zehn Jahre nach ihrem letzten offiziellen Werk “Pirohia” (das Interimsalbum “Exiscens” gestaltete sich als Sammlung von Outtakes und B-Seiten), Kontinente aufeinander krachen und driften, dass es eine helle Freude ist. Dementsprechend unheilvoll kommen Kerretta schon mit dem das Spektakel eröffnenden ‘Pan Ultima’, ehe mit dem Riff-gewaltigen ‘Until The Atlas’ ganze Gebirgszüge aufgefaltet werden. Weitab vom Ende der Welt bringen die Auckländer Feuerstürme (‘Fire Over Eurasia’) oder Hurrikans (‘Oceania’) über den “Rest der Welt”. Der gegen diese Urgewalten aber relativ machtlos ist. Dabei halten sich dezente, fast schon ambiente Momente die Waage mit eruptiven metallischen Ausbrüchen (‘Opal Victor’), was “Angelm” an sich zu einem Hort der Unabwägbarkeiten macht. Besagtes ‘Fire Over Eurasia’ kommt als brachialer Noiserocker im Big-Black-Outfit, das mächtige ‘Eyes In The Bull Temple’ als launiger Tribal-Stomper. Letztendlich formen sich aus dem scheinbaren Chaos Strukturen, die das Album selbst zu einem mächtigen Monolithen in Post Rock aus der schäumenden Ursuppe aufsteigen lassen.
Bewertung: 11/15 Punkten
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Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Sozius PR zur Verfügung gestellt.