Fünf Jahre ist es nun auch schon wieder her, dass wir von Infringement ein neues Album in den Händen hielten. Bedingt durch Corona spielten sie statt 2020 erst 2022 ein denkwürdiges Konzert als Opener bei der Night of the Prog auf der Loreley, um ihr bis dato letztes Album “Alienism” endlich vorzustellen. Dieses haute mich damals regelrecht um und Kollege Jürgen Meurer schrieb seinerzeit eine bemerkenswerte Rezi auf unseren betreuten Seiten. Jetzt also endlich der Nachfolger ‘Black Science And White Lies’. Es ist wiederum ein Konzeptwerk und handelt von einem jungen Mann, der sich von zu Hause lösen möchte, seinen Glauben infrage stellt und nach einiger Zeit ernüchtert feststellt, dass er sich als Mensch weiter entwickelt hat und seine frühere Skepsis hinterfragt.
Nur zwei Tracks in gut 43 Minuten. Natürlich sind diese in mehrere Etappen unterteilt, aber es gibt keine Pausen zwischen den einzelnen Songs. Bereits beim ersten Hören fällt auf, dass beide Teile stellenweise durchaus hart zupacken, Teil zwei zum Schluss hin aber etwas bombastischer und für Manchen vielleicht zu schwülstig klingt. Das mag an der emotionalen Rückkehr des Sohnes liegen oder an seiner Enttäuschung darüber, dass “draußen” eben nicht alles besser ist als zu Hause. Sei’s drum, jedenfalls zeigt Sänger Hans Andreas Brandal in der Rolle des “verlorenen Sohns”, dass er im progressiven Rock eine Ausnahmestellung einnimmt. Seine Art zu singen ist sehr individuell und er transportiert mühelos Emotionen wie Verzweiflung oder Enthusiasmus. Ob spoken words wie im Intro oder verzweifelte Anklage wie in ‘Debasement’ – er beherrscht alle Facetten.
Die einzelnen Songteile unterscheiden sich teils stark voneinander, sind aber wie bereits erwähnt nicht voneinander getrennt. Das funktioniert recht gut, denn unharmonische Brüche in der Musik kann ich trotz der verschiedenen Spielarten keine feststellen. Im Gegenteil. Die Band schafft es spielend, auf ruhigere Tracks wie ‘Apostasy’ richtige Instrumentalknaller wie ‘Devolution’ auf den Hörer loszulassen, wo die Hammondorgel den Lautsprechern alles abverlangt. Dazu unzählige Taktwechsel und einen Bass, der diesen Namen verdient. Im letzten Untertitel ‘Heresy’ des ersten Tracks spürt man dann förmlich den verzweifelten Sohn, der nach Hause zurück will, aber noch nicht ganz sicher ist, ob und wie er aufgenommen wird.
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Nur drei der sechs Untertracks von ‘Black Science’ haben Text, der natürlich jeweils die Rückkehr des Sohnes zum Thema hat. Doch vor diesen Instrumentaltracks kommt als Opener das überzeugende ‘Vacillation’. Da stimmt alles, die Härte, die Abwechslung, der Gesang. Dann erst wird die Bühne frei gemacht für die drei Instrumentalnummern, die aber anders als auf dem Cover vermerkt in die letzten beiden Tracks eingeflochten sind. So langsam steigert sich die Spannung, die Musik wird bedrohlicher und man ist weit entfernt von Familienidylle. Man kann sich den Disput zwischen den Eltern und ihrem Kind lebhaft vorstellen, bevor es nach einigen Minuten wieder etwas ruhiger zugeht. Dennoch ist der Schluss des Longtracks alles andere als friedlich. Minutenlang steigert sich der letzte Track zu einem Monument und läutet ein fulminantes Finale ein.
Kann das neue Album denn nun an den Vorgänger (Bewertung 13/15 von Jürgen) anknüpfen? Ich fand ‘Alienism’ seinerzeit ebenfalls sensationell. Beim neuen Werk bin ich mir (noch) nicht ganz sicher. Mehrmaligem Anhören zum Trotz bewerte ich es ein wenig vorsichtiger, zum Teil wegen des etwas zu hymnischen Schlusses beim zweiten Track. Vielleicht fehlt mir auch nur das Überraschungsmoment des Vorgängers. Falsch macht man, egal wie, jedenfalls nichts beim Kauf. Das Album hätte so oder so Erfolg verdient und ich kann nur jedem Freund von Prog mit Longtracks raten, es sich zumindest mal gründlich anzuhören.
Bewertung: 12/15 Punkten
Tracklist:
01. White Lies 20:08
01. 01 – Doctrine 2:11
01. 02 – Debasement 5:17
01. 03 – Apostasy 3:30
01. 04 – Devolution 5:02
01. 05 – Heresy 4:08
02. Black Science 22:53
02. 01 – Vacillation 5:29
02. 02 – Conjugation 3:42
02. 03 – Evolution 2:53
02. 04 – Crimson Skies 3:02
02. 05 – Dissension 4:12
02. 06 – Redemption 3:35
Line-up:
Hans Andreas Brandal – lead vocals
Stig André Clason – guitars, vocals
Kristoffer Utby – drums, vocals
Bard Thorstensen – keyboards, vocals
Emil Olsen – bass, baritone, vocals
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Abbildung: Infringement