Freakshow Artrock Festival, 27.-28.09.24, Würzburg, Felix-Fechenbach-Haus

Das Freakshow Artrock Festival in Würzburg ist eine Institution in der sog. Progszene und zum Glück nicht kleinzukriegen. Das ist zuerst natürlich Charlie Heidenreich zu verdanken, der sich nach Jahrzehnten und der ein oder anderen Pandemie immer noch nicht davon abbringen lässt, mindestens einmal im Jahr für zwei Tage den Ausnahmezustand auszurufen und eine Meute von liebenswerten Musiknerds in Würzburg zu versammeln.

Nach zwei Jahren Pause entschied sich auch der Autor dieser Zeilen, in Würzburg mal wieder ein Wochenende mit langjährigen Freunden und Bekannten aus der sogenannten “Szene” auf der Freakshow im Felix-Fechenbach-Haus in Würzburg zu verbringen. Und es war auch diesmal wieder eine große Freude. Nicht nur wegen der Musik.

Mutig wie der Progger nun mal so ist, entschied man sich, umweltfreundlich und nervenschonend mit der Deutschen Bahn anzureisen. Wobei “nervenschonend” bei einer Verspätung von beinahe 80 Minuten eher in die Sarkasmusecke gehört. Dahin gehört auch, obwohl es zwar irgendwie bequem aber auch spooky war, der Check In im Hotel via KI über einen größeren Touchscreen: “Tippen Sie Ihre Buchungsnummer ein!”, “Wie ist ihr Name?”, “Halten Sie ihr Gesicht vor die Kamera!”, “Wie alt sind sie?”, “Netter Versuch… Wie alt sind sie wirklich?”, “Bitte legen sie ihre Kreditkarte auf das Lesegerät…”, ” Danke für Ihr Geld, bitte entnehmen Sie ihre Zimmerkarte. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.”

Aber was soll’s? Man hat es nicht eilig und Charlie wird auch dieses Jahr nicht auf die Idee kommen, die erste Band pünktlich beginnen zu lassen. Niemanden interessiert es, ob auf der Freakshow die Bands pünktlich anfangen. Niemanden interessiert es, ob ein reservierter Sitzplatz wirklich auch reserviert wurde. Man geht davon aus, dass jeder ein Ticket hat, jeder ehrlich ist und sich niemand in die Halle reinschleicht, denn das könnte man ohne Weiteres. Niemals hat es je großen Ärger auf der Freakshow gegeben, deswegen gibt es auch keine Security. Lediglich ein Hausmeister dreht ab und an seine Runden und versteht nicht, wie man sich so einen Krach anhören kann. Es war und ist immer sehr entspannt und vor allem entspannend bei Charlie und deswegen wird der Autor auch jetzt wieder regelmäßig in den nächsten Jahren dort zu Gast sein. Denn die gute Nachricht schon mal zu Beginn: Es wird auch im nächsten Jahr eine Freakshow geben.


Freitag

So fand man sich also am Tag 1 der Freakshow vor dem Felix-Fechenbach-Haus im Würzburger Stadtbezirk Grombühl zusammen. Klönen, Diskutieren, Bier und Wein trinken, Ticket irgendwann abholen, nicht auf der Vorbestellt-Liste sein, nochmal nachgucken… ah doch, da! Dann ertönten Geräusche (würden die Nachbarn sagen) oder Musik (würden wir sagen) aus dem großen Saal, aber Vorsicht! Die Bands machen eventuell auch erst Soundcheck. Niemand weiß das so genau.

6Exhance

Dann ging es aber doch irgendwie los und die Franzosen standen auf der Bühne und zelebrierten einen krachigen, wüsten Mix aus Jazz, Hardcore und Metal. Kleinere Querverweise zu den Norwegern von Shining drängen sich auf, wobei die im Vergleich schon eher Schlager sind. Technisch ist das Ganze recht anspruchsvoll. Es fehlt der Bass, aber trotzdem macht sich ein gewisser Groove bemerkbar. Aufgrund der im Lärm tief versteckten Struktur und für Menschen, die generell eher weniger mit Saxophon anfangen können, scheint es aber recht anstrengend zu sein. Bemerkbar macht sich dies zuerst bei der Anzahl von Menschen, die die Halle verlassen oder an dem pausenlosen Gelaber während des Konzerts. Das wieder mal völlig unnötige Gequatsche schallt dabei nicht nur von der Theke, sondern auch mitten aus dem Platzreihen vor der Bühne. Immer noch eine respektlose Unart den anderen gegenüber, die das Konzert hören wollen und vor allem den Künstlern gegenüber.

Hala

Die Band aus den Niederlanden spielten dann recht beeindruckend und erstaunlich locker fluffig eine Art Avant-Pop mit deutlichen Ausschlägen in Richtung Chanson, Jazz, Kammer-Prog, irgendwas. Auffällig waren das Sousaphon und die deutschstämmige, aber in den Niederlanden lebende Sängerin Helene Matthia. Gesungen und gleichzeitig interpretiert wurde in deutscher Sprache, was im ersten Augenblick überraschte, sich aber auch als besonderes Merkmal der Musik herausstellte und ein wenig vom Sousaphon ablenkte, das der Autor auf Dauer eher als störend empfand. Nichtsdestotrotz aber ein sehr starker Auftritt und mindestens ein Highlight des Festivals, was man auch später aus den Diskussionen im nachhinein heraushören konnte.

Poil/Ueda

Kommen wir zum heimlichen Headliner des Festivals. Die Bands des französischen Labels Dur et Doux aus Lyon, speziell die Bands Ni, PinioL und eben Poil zählen mittlerweile zu den Stammgästen auf der Freakshow. Und wirklich jedes Mal hinterlassen diese Bands verbranntes Baguette und staunendes, wie begeistertes Publikum. Die oben genannten Bands sind intensiv miteinander verwoben. Immer wieder sieht man bekannte Gesichter, wenn eine der Bands auf der Bühne steht. So an diesem Abend – sehr zur Freude des Autors – auch Bassmonster Benoit Lecomte, der mit einem halbakustischen Bass auf die Bühne ging und zusammen mit seinen Kollegen von Poil das Fechenbach Haus formvollendet in einen abrissfähigen Zustand brachte. Leider war das Keyboard von “Professor” Antoine Arnera nicht wirklich gut zu hören und auch die Gitarre nahm man eher reduziert war. Nach wie vor ist der Sound in der Location ein Problem.

Allerdings – und das rettete den Gig – waren Lecomte und Drummer Guilhem Meier in Kombination unfassbar gut. So eine gewaltige, präzise Kraft, so einen allumfassenden, einnehmenden Groove hat der Autor selten auf einem Livekonzert so intensiv miterlebt. Unglaublich, was die drauf haben. Ach ja, es geht hier ja nicht nur um Poil, sondern auch um Ueda. Die Japanerin Junko Ueda saß in traditioneller Kleidung vorne am Bühnenrand, bediente das ein oder andere, traditionelle Musikinstrument und lieferte dazu einen Gesang, der in Teilen mystisch, fast beschwörerisch daher kam. Den meisten in der Halle gefiel diese Kombination aus hartem, rhythmusbetonten Avant-/Jazzrock und den folkigen Vocals. Und auch wenn der Autor gerne lieber nur Poil gesehen hätte, war dies der wohl stärkste Auftritt des gesamten Festivals.


Samstag

Der Samstagmorgen stand ganz im Zeichen der Nachwirkungen von zu wenig Schlaf und zu viel Hopfenschorle, was Menschen, die die Adoleszensphase (zumindest körperlich) schon seit einigen Jahrzehnten hinter sich gebracht haben, schon mal ein wenig zu schaffen machen kann. Trotzdem konnte man sich aufraffen, um sich mit einer kleinen Gruppe in der gemütlichen Würzburger Innenstadt in einem veganen Café zu einem üppigen Frühstück und einem Ingwer Minz-Tee einzufinden. Samstags werden die Türen des Festivals deutlich früher geöffnet und so standen die üblichen Verdächtigen auch pünktlich um 14 Uhr wieder vor dem Fechenbach Haus und wider bereits gemachter Erfahrungen goss man sich das erste Helle in den Schlund.

Öz Örügülü

Die Schweizer starteten vor einem noch nicht komplett anwesenden Publikum mit ihrem kräftigen, instrumentalen Jazzrock, der des Öfteren mit kurzen metallischen Riffs gewürzt wurde. Auffällig war, dass sich das Sextett offenbar nicht lange auf einen gleichmäßigen Takt oder einem bestimmten “Genre” (Jazzrock, Metal, Big Band, Oriental, etc.) ausruhen wollte, denn die Wechsel waren schnell und vielfältig gestreut. Für viele mag das abwechslungsreich sein, für den Autor war es ein wenig zu hektisch und zu viel des Guten. An vielen Stellen erinnerten die Schweizer an Trey Spruance und seiner Band Secret Chiefs 3 und die Musik hätte auch durchaus noch etwas mehr in diese Richtung gehen können. Vom Sound und dem vermaledeiten Gelaber einzelner Besucher abgesehen, war der Auftritt vor allem handwerklich äußerst souverän und tough.

Crutches

Dann ging es nach einer traditionell längeren Pause weiter mit Crutches aus Leipzig/Berlin und ebenfalls instrumentalen Jazzrock, Fusionrock oder tatsächlich Progrock. Noisige Einsprengsel aus Metal und Avant in der Hinterhand, legte das Trio um Olga Reznichenko, die eine umwerfend schöne Keytar um den Hals trug, souverän und mit Tempo los. Den Progrock-Stempel hatte sich indes Jan Frisch mit seiner Doppelhälsigen eingefangen, wobei er diese im Vergleich zu einigen Progrockern nicht zum Posing nutzte, sondern das Instrument auch wirklich gut beherrscht. Valentin Schuster indes legte eine schöne, locker flockige und energiegeladene Performance am Schlagzeug hin. Vielleicht der eigenständigste Auftritt des Festivals, wobei für einige Besucher der ergiebige Einsatz von Elektronik schwierig zu sein schien.

VAK

Machen wir uns nichts vor. Zeuhl ist eine französische Angelegenheit und wie beim Camembert, kauft man am liebsten das Original. Heißt also, die Vorfreude war groß und wenn die Band auch noch ein Bestandteil des Backkatalogs von einem Label wie Soleil Zeuhl ist, wird’s zusätzlich spannend. VAK spielten leicht an die Label-Kollegen von Neom erinnernden, beinahe schon schwebenden Zeuhl. Zentral für den Sound der Franzosen war Schlagzeuger und Bandgründer Vladimir Mejstelman, der einen ordentlichen Groove im Schuh hatte und rhythmisch so sehr beeindruckte, dass er Fokus bald nur noch auf ihn und nicht auf der Musik lag. Vielleicht der beste Auftritt am Samstag.


Rhùn

Nun ging es in die Endphase. Erneut mit französischem Camemb…, äh Zeuhl und zwar von Rhùn, die als Quintett angereist waren. Auch hier gingen die Meinungen zum Auftritt auseinander. Für einige war der Sound so schlecht, dass die Violine oftmals für eine Trompete gehalten wurde, zumindest von den Besuchern, die nicht im Saal anwesend waren, sondern die Musik von draußen hörten. Einige Menschen meinten, der Groove würde komplett fehlen. Andere Besucher hingegen fanden die Band intensiv und brachial aufgrund des grummelden, brodelnden Bass-Sounds und des tighten Drummings. Auch die Magma’esken Gesänge waren für die meisten Zuhörer ein großer Pluspunkt.

Aufgrund der fortschreitenden Uhrzeit und der bevorstehenden Rückreise, konnte der Auftritt einige Besucher, inklusive den Autoren nicht mehr so ganz fesseln, so dass schnell die Entscheidung gefällt wurde, das Festival kurz vor Ende schon zu verlassen.


Betrachtet man das Ticket des Freakshow Artrock Festivals, erkennt man nicht nur, dass eine Band getauscht werden musste, sondern auch den Slogan “We’re Still Alive!”. Wie schon eingangs geschrieben, lässt sich Charlie Heidenreich nicht kleinkriegen und schafft es immer noch in beinahe jedem Jahr eine Freakshow auf die Beine zu stellen und zudem immer noch gute Bands für das Billing zu finden. In diesem Jahr hielt er zum Abschluss eine längere, emotionale Rede über die Historie der Freakshow und wie es weiter gehen wird. Es wird auf jeden Fall weitergehen, das steht fest. Und sollte es wirklich mal so sein, dass er die Kraft für die Organisation dieses Festivals nicht mehr aufbringen kann oder möchte, hat er auch schon Nachfolger, bzw. Stellvertreter in Aussicht.

Die Freakshow 2024 war wieder eines der schönsten, angenehmsten und entspanntesten Festivals, die der schreibende Schmierfink bisher besucht hat. Und er hat viele Festivals besucht. Aber nirgendwo fühlt man sich so zu Hause wie in Würzburg. Nirgendwo trifft man auf einen Schlag so viele gute Bekannte und Freunde, die auch dieses Jahr wieder zahlreich anwesend waren. Aber wir haben alle auch sehr schmerzlich einige gute Freunde vermisst, die nicht mehr dabei sein können.

Live-Fotos: Monika Baus (www.artrockpics.com)

Surftipps zur Freakshow:
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Videomitschnitte zu folgenden Auftritten gibt es auf dem Youtube-Kanal von “Das Rockradio”:
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Hala
Poil/Ueda
Rhun