De Mannen Broeders – Sober Maal
(44:58; CD, Digital, Vinyl; Relapse Records, 11.10.2024)
Dieses Album will gehört werden, mehr noch verdaut werden. Es ist die erste Zusammenarbeit zwischen Colin van Eeckhout (Frontmann der Post-Metaller von AMENRA aus Kortrijk, Belgien) und Tonnie „Broeder“ Dieleman, einer im Zeeuws-Dialekt singenden niederländischen Folk-Ikone aus der Provinz Zeeland. Tonnie ist mit seiner Musik ganz klar in der ländlichen, sehr religiösen Kultur verhaftet, hat selbst sogar schon mit den angesagten Folk-Musikern Baby Dee und Bonnie Prince Billy zusammengearbeitet. Als Colin und er sich nun begegneten, fühlten sie sofort eine Verbindung und wussten, das muss sich in einer musikalischen Kollaboration kanalisieren. Beide Musiker stammen zwar aus völlig unterschiedlichen musikalischen Welten, es eint sie aber die tiefe Liebe zu Ritualen, Tradition und Symbolik, zum essentiellen Vordringen zu Kernthemen wie Verlust und Trauer.
Da sich Tonnie in seiner Arbeit fast ausschließlich mit den Themen Tod und Trauer beschäftigt, die dunkle Emotionalität und Tristesse jeder AMENRA-Veröffentlichung eh für sich spricht und längst einen weitreichenden Radius der Popularität erreicht hat, fanden die beiden auf unkomplizierte Weise heraus, dass eine Verschmelzung der Themen sowie der Stilistik überhaupt keiner Grenzen bedarf. „Sober Maal” (was auf deutsch für eine einfache Mahlzeit steht, also den Moment der Dankbarkeit durch ein tägliches Ritual zu pflegen) ist ein extrem düsteres Manifest, wurde an fünf Tagen in der Kirche Doopsgezinde Kerk aus dem 18.Jahrhundert in Middelburg in den Niederlanden geschrieben und aufgenommen. Der räumliche Klang, das spirituelle Zusammenfinden, die Chöre und schlussendlich die Auflösung des Egos innerhalb der musizierenden, verbindenden Gemeinschaft erschafft hier etwas sehr Eindringliches. Die mit speziellem heimischen Dialekt vorgetragene Musik fühlt sich tatsächlich an wie ein Gottesdienst. Menschlichkeit und Heiligkeit, vertonte Gedichte und längst vergangene Geschichte finden sich in den Texten wieder. Sakrale Orgeln wie im zehnminütigen Opener ‘Alle roem is uitgesloten’ haben rituellen Charakter, der meist leidende, aber auch klar vertonte Sprechgesang tut sein Übriges. Das komplett auf ein Folk-Skelett reduzierte, 16 Horsepower nicht unähnliche ‘Verteere Heel’ nimmt Dich mit stoischen Schlagwerk, viel Schmerz und Sehnsucht im Gesang an die Hand. Ein einsames Banjo spielt sanft eine traurige Melodie, hintergründige Drones wabern über fast acht Minuten, transportieren unendlich viel Melancholie – Katharsis pur. Es beschleicht einen für kurze Momente sogar das Gefühl, die flämische Antwort auf die nordische Emotionalität eines Einar Selvik von Wardruna wahrzunehmen.
‘Grafschrift’ tönt mit minimalem Gitarren-Picking, Klavier und gemeinsamen Vocals der beiden Herren, ist ganz nah am Hörer dran – Musik für den stillen Abend, für die späte Stund. Das berührt ungemein, die eigenwillige Sprache, das Unmittelbare in der Ansprache. Ob Gedichte aus dem Jahre 1786, geschrieben von einem Pfarrer für seinen kürzlich verstorbenen Kollegen, Gedichte des Priesters/Künstlers Omer Gielliet oder eine Ode an Colins Mutter, die Vertonung ist Kerzenschein pur. Das erneut fast zehnminütige ‘Onze Lieve Vrouwe’ schwebt feierlich dunkel mit Chorgesang durch die Räumlichkeiten, sanfte Drones und Streicher schaffen einen wärmenden Mantel für diese einfach nur wunderschön orchestralen Melodien. Es fließt eine Menge Barmherzigkeit durch die Klänge direkt in die Synapsen, die himmlischen Chöre vereinen Schmerz und Schönheit auf wundersame Weise.
Mit dem tristen Titelsong schließt ein Album für die Nacht, das man eigentlich gar nicht zu viel “erklären” mag. Es ist wundervoll – und wer an klassisch minimalem Folk, Anna von Hausswolff, Sunn O))), 16 Horsepower, Steve von Till, Lisa Gerrard (Dead Can Dance), der sanften Seite von AMENRA und sakraler Kirchenmusik nichts verkehrt findet und dies auf schmerzhaft schöne Weise gebündelt in einer Platte, der sollte zu später Stund dieses einsame und berührende Werk genießen – es lohnt sich.
Bewertung: 13/15 Punkten
Surftipps zu De Mannen Broeders:
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Cover mit freundlicher Genehmigung von Relapse Records