Mittsommernächtliche Ruhestörung
In seiner den zweiten Festivaltag eröffnenden Ansage bat Mit-Veranstalter Ingo Dassen das Publikum, von nächtlicher Ruhestörung nach dem Festival und beim Verlassen des Geländes abzusehen, da es wegen letzter Nacht Beschwerden gegeben habe. Er tat dies nicht ganz ohne eigene Zerknirschung: “Wir haben gestern Nacht den ganzen Heimweg über laut gesungen.”
Haunt The Woods
»I don’t believe ghosts are involved, it’s probably just angry badgers. Like the one in the vocalists pants. Turned out they’re actually quite good.«
Das Quartett aus Cornwall hatte wohl kaum jemand vor der Ankündigung ihres MSP-Auftritts auf dem Zettel gehabt, wir schon mal gar nicht. Ihr baumlanger Sänger/Gitarrist hat eine generell gute Sing- und eine nochmals schönere Kopfstimme, die unseren Marc sehr an Muse, unseren flohfish an Jeff Buckley und den Autor total an Thom Yorke erinnerte.
Ihr teils symphonischer Folk Prog bietet u.a. Streicherpassagen (hier vom Band), Mellotron-Sounds, gute Texte (‘Elephant’ in the room) und vor allem starke Melodien (‘Gold’, ‘Now Is Our Time’, ‘Ubiquity’). Endgültig im Sack hatten die Briten ihre ausrastenden Zuhörer, als sie ihr letztes Stück ‘Sleepwalking’ unmikrophoniert und nur mit einer Gitarre begleitet – also quasi acapella – im Publikum sangen.
Nur folgerichtig, dass binnen einer Stunde nach Auftrittsende der Merch von Haunt The Woods fast vollständig ausverkauft war.
»1960 spy movie: The band!«
Es folgte der ziemlich übereinstimmend so gewertete Headliner der Herzen dieser Festival-Ausgabe. Die holde Isolde Lasoen ist im Haupteinsatz Schlagzeugerin der dort offensichtlich recht bekannten belgischen Formation Daan, hat aber eben auch eigenes Material und Band am Start, bestehend aus: Ben Van Camp (Gitarre), Ben Brunin (Bass), Luk Vermeir (Keys), Bernd Coene (Vibraphon, Percussion). Plus optionaler Horn Section, die in Valkenburg aber nicht aufgeboten wurde. Doch auch so nahmen Songs wie ‘Oh Dear’ oder das Aphrodite-Child’s-Cover ‘The Four Horsemen’ die mehrheitlich deutlich überraschten Zuhörer im Sturm.
Hinzu kam, dass die zusätzlich zum Drumming sanft-säuselnden Gesang beisteuernde Bandchefin einfach einen (Obacht, not p.c.) phantastischen Anblick bot.
Für die einen war das Gebotene Film-Noir-Musik, für meinereinen teils Western-Soundtracks (‘Road No. 1’), teils Lounge Prog (‘Capricorn Avenue’). In jedem Falle aber großartig und verblüffenderweise perfekt in just dieses Setting passend. Die charmante Belgierin selbst entschuldigenden Tonfalls zum Thema: “We are not really a prog band”. True enuff, but who gives a f**k?
Hasse Fröberg & Musical Companion
»With a name like Hasse Froberg & Musical Companions it should come as no surprise you’d end up with a stage full of bandwhores.«
Früher hat der Autor mal zu Hasse & Co. formuliert “The people who posed themselves to death”. Aber so schlimm wurde es gar nicht. Im Gegenteil, grad eingangs wurde Bescheidenheit zelebriert: “This is not only our first gig in the Netherlands but our first gig in two years (…) And we had no soundcheck”. Das wäre vermutlich sogar noch mehr zu Herzen gegangen, wenn wir just diesen Soundcheck nicht gerade länglich miterlebt hätten. 😉 Apropos Herzschmerz: ‘All I Wanted To Be’ ist schon ein rechter Kitschbatzen. Und diese Käse-Quietsch-Keyboard-Sounds eine Geduldsprüfung.
Unterdes simmelierte Hasse öffentlich darüber, warum es heute eigentlich “Progressive Rock” heiße, früher habe man das doch alles “Symphonic Rock” genannt? Recht hat er. Oder je nachdem auch “Bombast Rock” (‘Parallel Lives’). Der geneigte Leser merkt schon, dies war nicht des Schreibluders Festival-Höhepunkt. Oder der von Jonathan.
TEMIC
Jonno cited Marcel Slaman: »Best part of TEMIC was the epic Mexican buffet we had!«
Autsch. Das gleiche Problem hatte nicht nur PPE family member Marcel, sondern gleich noch mehrere Menschen aus des Autoren Umfeld mit dem All Star Prog Metal Project TEMIC, bestehend aus:
Fredrik Bergersen – Vocals,
Eric Gillette – Guitars and Backing Vocals,
Simen Sandnes – Drums and Percussion (teils mit Jazzbesen unterwegs),
Diego Tejeida – Keyboards and Sound Design.
Auf der MSP-Bühne noch verstärkt durch Miguel Pereira (u.a. Big City, Withem, Bozzio Levin Stevens) am Bass.
Und klar weiß ich, was die alle mit “Selbstbefriedigungsmucke” meinten. Dem Schmierfinken selbst hingegen geht es hier so ähnlich wie dem hochgeschätzten Betreuerkollegen Micha, der “Terror Management Theory” “packende Melodien, schöne Gesangslinien, starke Riffs und ein Händchen für gute Songs” attestierte. Gerade die (vergleichsweise zum Rest-Repertoire) Schmusebacken wie ‘Falling Away’ oder ‘Friendly Fire’ kommen m. E. live sogar noch besser.
Andererseits: wenn bei TEMIC das Publikum zum Mitklatschen aufgefordert wird und es das voller guten Willens auch probiert, dann wird selbst das teils doch etwas … überfordernd. Und diese allgegenwärtigen Quietschgummi-Keyboard-Sounds… Bei Diego Tejeida warte ich ohnehin die ganze Zeit darauf, dass er beim Solieren einen Arm gen Himmel reckt, damit man mitbekommt, wie toll er auch mit nur einer Hand quietschen kann.
Schlagzeugsolo. Macht man sowas heute noch? Aber hallo. Was fehlt da überhaupt noch? Ganz richtig, ein “Duell” von Bass gegen Keytar. TEMIC: Bitteschön, da habt ihrs.
Mit am meisten angetan von diesem Auftritt schien PPE-Boss René Janssen zu sein. Da möge jetzt jeder seine eigenen Prognosen für künftige Editions vom ProgPower Europe draus ableiten. 😉
Plini
»I do think I’ve reached my Plimit now. You could say I’ve reached the Plend of my rope. My cup Ploverfloweth. Maybe there is too much of a good Pling.«
Es ging also hochtechnisch weiter. Beziehungsweise erstmal mit technischen Schwierigkeiten, because “Jake‘s guitar is fucked up somehow”. Und natürlich mit Warten auf die Fehlerbehebung. Petrus nutzte die Spielpause, um sich mit Regen ins Gespräch zu bringen. Doch die lindgrün gewandeten Festival-Helfer (wohl keiner unter 65) verteilten binnen Sekunden Gratis-Regencapes an alle auf das Himmelsnass nicht vorbereiteten Zuhörer. Die somit auch erstmal damit beschäftigt waren, sich die Dinger überzuziehen.
Irgendwann war die Axt des Zweitgitarristen Jake Howsam Lowe dann auch endlich mal ent-fucked. Und mit einem Insekten-Summgeräusch hob nun der MSP-Auftritt mit den abgefahrensten Taktarten (29/16?) an. Das Gitarrenspiel ist so elegant wie es virtuos ist. Im direkten Vergleich mit Temic wirkte das wie ein Ferrari Dino nach einer Big Block Corvette.
Karnivool
»They’re one of those bands I’ve heard mentioned many, many times, but the first notes I heard of them were literally 13 minutes ago. I’m not sure why the singer moves like he’s too shy to join the Gabbers at the Happy Hardcore gig, but the music is pretty decent.«
21:30 Uhr. Und so was Ähnliches wie Karnevalsstimmung kommt mit Everybody’s Darlings from Perth, Western Australia in Valkenburg auf. Ein erstaunlicherweise zahlenmäßig deutlich reduziertes Publikum (MSP, das Prog-Festival der sanften Klänge?) erlebte einen von Melodik, Deep Drop Tunings und vor allem starkem Gesang (Iann Kenny) geprägten Auftritt, während die Lightshow die Felsen hinter der Bühne in die Red Rocks der Niederlande verwandelte.
Wir hatten Prog Metal, Alternative Metal (mit als möglichen Höhepunkten ‘Umbra’ und ‘Deadman’), ja sogar ein wenig von den Nü-Metal-Anfängen der Band. Vor allem aber hatten wir Spaß.
Laut Ianns Ansage gab es sogar einen neuen Song (‘Camouflage’?). Aber entweder ist das noch nicht zu setlist.fm durchgedrungen. Oder der Autor hat sich simpel verhört. Was nach zwei intensiven Festivaltagen sehr gut der Fall sein kann.
PS: Übrigens setzte gegen 23:45, also komfortabel nach Festivalende, ein Gewitter mit heftigen Regengüssen ein. Now that’s brilliant timing for you.
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Fotos: Prog in Focus
Fotos Isolde Lasoen: Inga Fischer Photography
Surftipps zum Midsummer Prog Festival:
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MSP-Veranstalter Ingo Dassen (Lesoir und Booker der Muziekgieterij, Maastricht)
MSP-Veranstalter Rob Palmen (Glassville Music)
Openluchttheater Valkenburg (Wikipedia)
Festivalberichte:
Festivalbericht 2023, Ed. 5
Festivalbericht 2022, Ed. 4
Festivalbericht 2019, Ed. 3
Festivalbericht 2018, Ed. 2
Festivalbericht 2017, Ed. 1