Prog-Sonnenwende in durchschnittlich 110 Zeichen pro Band?
Für die Aufbereitung der auch für uns bereits sechsten Ausgabe des Midsummer Prog Festivals gibt es mal eine klitzekleine Neuerung. ProgPower-Europe-Buddy Jonathan “Jonno” Huizenga haut bei jedem von ihm besuchten Festival auf Facebook pro Band stets so staubtrockene und prägnante Kurzbeurteilungen in kaum mehr als SMS- oder Tweet-Länge ‘raus, dass wir die diesmal mit großem Vergnügen – und natürlich mit freundlicher Genehmigung des Schnellscharfrichters – den eigenen Ausführungen »voranstellen«.
Die wieder angenehm flotte Anreise aus NRW und Check-in im fußläufigen, katzenreichen Hotel waren bereits abgehakt, der Einlass zum Festival selbst lief auch dieses Jahr wieder völlig unstressig. MSP24 war genauso ausverkauft wie das diesjährige Roadburn Festival. Aber hier bedeutete das trotzdem kein langes Anstehen für irgendetwas außer fester Nahrung (und da empfehlen sich ohnehin schon seit Jahren dringend Alternativen). Naja, Kunststück bei einer Bühne in einem – wenn auch vollbesetzten – Amphitheater. Das sowieso immer der wahre Star der MSP-Show war und bleibt. Es ist einfach ein besonders schöner Ort.
Dieser Beitrag ist übrigens Norbert Stefani aka “Mr. Setlist” gewidmet. Auf dem letzten MSP kennen und wirklich schätzen gelernt. Und kurz danach ist er gestorben. Das kann und will ich immer noch nicht so richtig glauben…
Theraphosa
»Opening band Theraposa from France. Representation matters. I too have long hair and cannot sing. Validation!«
Die drei Franzosen Vincent, Matthieu und Martin sind Brüder, haben sich einen Eindruck weckenden Bandnamen (Wikipedia: “Alle Theraphosa-Spinnenarten erreichen eine Körperlänge von über 9 cm im weiblichen Geschlecht”) sowie ein nicht minder imposantes Sujet für ihr aktuelles und insgesamt zweites Album “Inferno” ausgesucht. Es ist inspiriert von Dantes Göttlicher Komödie. Und tatsächlich führte uns ihr Auftritt ein wenig durchs Fegefeuer.
Fast alles in Midtempo und nur mittelheavy. Dazu lockten weder der Klargesang noch die gelegentlichen Growls des Teufels Großmütterchen so richtig hinter’m Küchenofen hervor. ‘The King Of Vultures’ geriet in all seinem Pathos sogar unfreiwillig komisch. Fanden auch die Veranstalter des ProgPower Europe Festivals René Janssen und Martijn Balsters. Die hatten letztes Jahr einen gemeinsamen Betriebsausflug zur sommerlichen “Konkurrenz”-Veranstaltung beschlossen und genossen es sichtlich, sich statt all der Festivalorga mal nur der Musik widmen zu können.
Kristoffer Gildenlöw
»Kristoffer Gildenlöw. Playing with his wife and their four adopted children. Someone apparently set the smoke machine to 9/11.«
Das mit den Kinderlein hat Jonno erstunken und erlogen. Das mit Ehegespons Lilo Hegt keineswegs. Und das mit dem Bühnennebel sogar noch untertrieben. Keine Ahnung, was da mit dem verantwortlichen Bühnentechniker durchgegangen ist. Ansonsten ließen sich trotz all dieser Nebelschwaden noch unschwer Maestro Paul Coenradie, der großartige Dirk Bruinenberg, Joris Lindner und Christian Jonker auf der Bühne ausmachen.
Den zu großen Teilen auf aktuelles “Empty”-Material setzende Auftritt fand der Autor wunderschön. Der hatte nur das Problem, dass etliche der Songs selbst fürs MSP zu zart, zerbrechlich und auch zu langsam waren – jedenfalls bei hellem Tageslicht.
Diese Musik gehört ins Dunkel der Nacht. Kein Wunder, schließlich singt Kristoffer selbst seine Vocal Parts am liebsten (allein) im Dunkeln ein. Sein vermutlich alleroberüberschönstes Stück ‘Rust’ funktionierte aber dennoch vorzüglich. Inklusive Double Lead Guitar und Pauls stets sensationeller E-Gitarren-Coda.
Arena
»In the unlikely event of Damian Wilson getting hired to do lead vocals for Scooter, I would be bawling, in a fetal position, whenever they would play ‘How Much Is The Fish’. He is legendary.
Well roared, Jonno. 19:45 Uhr – und wer marschierte da in die Arena ein? Genau, König Clive Nolan und seine Ritter von der Neo-Prog-Tafelrunde, allen voran Publikumsliebling Sir Damian Wilson. Folglich wurden wir auch nur zu Recht zunächst ermahnt: ‘(Don’t Forget To) Breathe’. Zumindest das Weiteratmen hat geklappt. Jottlob.
‘Double Vision’ – “I’ve seen that face before”. Indeed! Für den verhinderten John Mitchell ist der Niederländer Mark Bogert (u.a. Knight Area, solo) eingesprungen. Und ernete reihenweise Szenenapplaus für seine wunderbar melodisch singenden Soli. Und Arena stehende Ovationen schon für ihren dritten Song des Abends, ‘Time Capsule’.
‘How Did It Come To This?’ Wissen wir natürlich auch nicht. Aber dass die Kombi Wilson/Bogert sticht, das haben wir an diesem Abend gelernt.
Nun ‘The Equation’ – das ist so kitschig, dass es schon wieder gut ist. Bei ‘Pure Of Heart’ begeistern zudem die proggigen Orgelparts. ‘A Crack In The Ice’, also ein Song, der für ganz andere Sänger geschrieben wurde, gelingt dem mal wieder sehr raumgreifend – also bis rauf in den fünften Rang des Amphitheaters – agierenden Damian genau wie alles andere. Ein Triumphzug.
Steve Rothery Band
»I have no idea who the vocalist is, but he has the voice of an angel. Magnificent! I was never a Marillion fan, but after seeing Steve Rothery’s performance tonight, I think I just never realized I am a Marillion fan.«
Natürlich Martin Jakubski, der polnische Young-Fish-Soundalike, lieber Jonno. In bester Gesellschaft von Steve Rothery, Leon Parr, Riccardo Romano, Yatim Halimi und Dave Foster.
Und die trauten sich gleich mal was, indem nämlich das SRB-Konzert mit zwei Nicht-Marillion-Stücken eröffnet wurde. Sowohl ‘Morpheus’ wie auch ‘Old Man At The Sea’ stammen vom Rothery-Soloalbum “The Ghosts Of Pripyat” von 2015. Und ergaben mit ihrem ruhigen Beginn, ordentlicher Steigerung und – logisch – extrem melodischer Sologitarre einen perfekten instrumentalen Einstieg.
Doch dann ging’s auf ins Marillion-Wunderland. ‘The King Of Sunset Town’ schaffte den idealen Übergang. Und klang mit Jakubski Vocals prompt besser als mit “H”s Geschluchze. Nun aber ‘Kayleigh’ – noch Fragen Kienzle? Die knapp 1.000 im Publikum hatten keine mehr.
‘Lavender’ schmiedete das heiße Eisen weiter. Die Erwägung, ob man hier nicht letztlich einer Coverband beiwohnte, wurde dadurch schlicht gegenstandslos, dass sich die SRB ab hier bis zur Zugabe ‘Fugazi’ in einen wahren Rausch spielte. Habe die früher schon mal live gesehen – kein Vergleich. Und auch alle, mit denen ich darüber sprach, waren sich einig: der beste SRB-Auftritt ever. Es könnte an der speziellen Atmosphäre des von Bäumen gesäumten Amphitheaters und dieser langen Sommernacht gelegen haben…
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Fotos: Prog in Focus
Surftipps zum Midsummer Prog Festival:
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MSP-Veranstalter Ingo Dassen (Lesoir und Booker der Muziekgieterij, Maastricht)
MSP-Veranstalter Rob Palmen (Glassville Music)
Openluchttheater Valkenburg (Wikipedia)
Festivalberichte:
Festivalbericht 2023, Ed. 5
Festivalbericht 2022, Ed. 4
Festivalbericht 2019, Ed. 3
Festivalbericht 2018, Ed. 2
Festivalbericht 2017, Ed. 1
