The Decemberists – As It Ever Was, So It Will Be Again

The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again (YABB Records-Thirty Tigers/Membran, 14.06.2024) COVER(1:07:00; Vinyl (2 LP), CD, MC, Digital; YABB Records-Thirty Tigers/Membran, 14.06.2024)
Indie, Singer/Songwriter, Folk Rock, Pop und Americana. Die Genres, die The Decemberists seit knapp einem Vierteljahrhundert abdecken, sind mannigfaltig und haben eigentlich nur rudimentär mit dem zu tun, worüber bei Betreutes Proggen gewöhnlich berichtet wird. Doch sind The Decemberists alles andere als gewöhnlich, denn mit der “The Train”-EP oder Alben wie “The Crane Wife” und insbesondere “The Hazards Of Love” hat das Ensemble aus Portland, Oregon, in der Vergangenheit immer wieder die Brücke zu Art und Progressive Rock geschlagen. Wer nun an Bands wie Genesis, Yes oder King Crimson denkt, hat allerdings ein falsches Bild im Kopf. Die progressiven Momente von The Decemberists stehen vielmehr in der Tradition der Prog-Aspekte moderner US-amerikanischer Bands wie …And You Will Know Us By The Trail Of Dead, The Dear Hunter oder Bent Knee. Wann bzw. ob solche experimentellen Momente, Passagen, Songs oder gar Alben bei den Nordamerikanern vorkommen, ist bei jeder anstehenden Veröffentlichung aufs Neue eine Überraschung. Wenn der Prog-Anteil auch einmal ganz ausbleibt, ist dies nicht ganz so tragisch, denn The Decemberists gehören im Bereich Indie/Folk/Americana zum Besten, was die USA zu bieten haben. Dass The Decemberists solche Indie-Rock-Ikonen wie James Mercer (The Shins) und Mike Mills (R.E.M.) für ihr nunmehr neuntes Studio-Album für Gastauftritte gewinnen konnten, spricht Bände. Eine Position, die die Band auch auf “As It Ever Was, So It Will Be Again” wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis stellt.

Zusammen mit James Mercer als Background-Sänger geht es mit ‘Burial Ground’ gleich beschwingt und bittersüß zur Sache. Ein Stück, das leichte Sixties’ Vibes verbreitet und mit seinen Mariachi-Bläsern, genau wie das darauf folgende ‘Oh No!’, alle Freunde von Calexico erfreuen sollte.

Es herrscht eine leicht euphorische Stimmung, die auch bei den zwei folgenden Stücken wiederzufinden ist: ‘The Reapers’ lässt einen durch seine Flötenklänge zeitweise auf einem Bein stehen, während man bei den Gitarren in ‘Long White Veil’ den Cowboy-Hut aufsetzen müsste. ‘William Fitzwilliam’ ist der Auftakt des zweiten Teils dieses Albums, das absichtlich als Doppel-Album konzipiert worden und auf vier thematisch zusammenhängende Teile bzw. Seiten verteilt worden ist. Noch tiefer ins Americana-Territorium dringen The Decemberists hier vor und sind dabei Singer/Songwriter par excellence, da das Geschichtenerzählen bei diesen Stücken ohrenscheinlich einen höheren Stellenwert als die Musik hat. Nicht, dass musikalisch hier nichts passiert, ganz im Gegenteil, die Instrumentierung in ‘Don’t Go To The Woods’ ist perfekt gewählt, doch untermalen die Instrumente vielmehr die Stimmung, als dass sie dem Stück ihren Stempel aufdrückten. Was auch für die Hörner in ‘Black Mariah’ gilt. Erhaben, unaufdringlich, wunderschön. Ähnlich geartet, aber etwas simpler gestrickt und nicht ganz so spannend ist der letzte Teil dieses Viertels, ‘All I Want Is You’.

Ganz anders geartet ist da schon die C-Seite dieses Albums, wo man bereits bei ‘Born This Morning’ die Akustik-Gitarren in den Hintergrund verbannt hat und stattdessen den Elektrischen und den Synthesizern mehr Raum gibt. Wo zuvor noch Easy Listening ein Stück weit das Credo gewesen sein mag, wird es plötzlich quirliger und verrückter. Nicht etwa, da auf einmal die einprägsamen Melodien fehlten, sondern weil die Arrangements hier komplexer sind, das Instrumentarium abwechslungreicher gestaltet ist und der Sound im Ganzen vielschichtiger als in den vorherigen Stücken daherkommt. Das alles ist natürlich noch immer weit entfernt vom Prog, doch ‘America Made Me’ hätte mit seiner Abgedrehtheit immerhin auch gut aus der Spätphase der Beatles stammen können. Auch ‘Tell Me What’s On Your Mind’ ist solch ein experimenteller Retro-Pop-Song mit leicht psychedelischer GeorgeHarrison-Schlagseite. ‘Never ‘Satisfied’ ist dann das Stück, das die drei Seiten musikalisch ganz gut zusammenfasst und als eine Art Psychedelic Americana ausklingen lässt.

Wäre dies der letzte Track der Platte, so wäre er ein gelungenes Ende für ein sehr abwechslungsreiches Indie-Folk-Album gewesen. Einem Album, das einen guten Querschnitt der Karriere der Band bietet, dem es allerdings an einer wirklich herausragenden Perle fehlte und an einer gewissen Prise Prog.

Genau solch ein Schätzchen gibt es allerdings auf Seite D dieses Doppel-Albums zu finden. Denn für “As It Ever Was, So It Will Be Again” haben The Decemberists – oh Freude, oh Freude – endlich wieder einmal ganz tief in die Prog-Kiste gegriffen. So findet sich mit ‘Joan In The Garden’ nicht nur ein Seiten-umfassender Longtrack auf der Platte, er ist gleichzeitig auch das längste Stück in der Band-Geschichte und der erste echte Prog-Song seit “The Hazards Of Love”. Inspiriert vom berühmten Gemälde von Jules Bastien-Lepage, das den Moment zeigt, als Joan d’Arc in einem Garten, halluzinierend, von Engeln besucht wurde, erzählen The Decemberists diese Geschichte nicht nur nach, sondern sie gehen auch der Frage nach, wie man das Göttliche in einem Lied festhalten kann. Mit Friedshofs-Glocken, Kirchen-Orgeln, Samples, mächtig floydiger Atmosphärre bläht sich ‘Joan In The Garden’ langsam auf, wird mit zunehmender Spieldauer immer dichter…

… um nach knapp neun Minuten langsam in ein Drone-artiges Synthie-Gewebe aufzugehen. Fast möchte man schon Etikettenschwindel rufen, doch ist diese Passage kein belangloses Nachspiel, sondern das Kräftesammeln vor einem letzten Aufbäumen der Band, denn ab Minute 15:53 legen The Decemberists mit einer solch unwiderstehlichen Kraft und Leidenschaft los, dass die Band in den letzten drei Minuten fast alles in den Schatten stellt, was sie bis dato in knapp 25 Jahren auf Platte gebannt haben.
Bewertung: 11/15 Punkten


As It Ever Was, So It Will Be Again von The Decemberists

The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again (YABB Records-Thirty Tigerss/Membran, 14.06.2024)
Credit: Holly Andres

Besetzung:
Colin Meloy – Gesang, Gitarre
Chris Funk – Gitarre, Keyboards, Banjo, Mandoline
Jenny Conlee-Drizos – Keyboards, Akkordeon, Vibraphon
Nate Query – Bass
John Moen – Schlagzeug

Gastmusiker:
James Mercer – Gesang (track 1)
Mike Mills – Piano, Gesang (track 13)
Elizabeth Ellison – Gesang
Miguel Bernal – Schlagzeug
Reinhardt Wolfgang Melz – Schlagzeug
Kelly Pratt – Trompete, Flügelhorn, Euphonium, Tuba, Saxophon, French Horn, Posaune
Jesse Chandler – Flöte, Bassklarinette

Diskografie (Studioalben):
“Castaways And Cutouts” (2002)
“Her Majesty The Decemberists” (2003)
“Picaresque” (2005)
“The Crane Wife” (2006)
“The Hazards Of Love” (2007)
“The King Is Dead” (2011)
“What A Terrible World, What A Beautiful World” (2015)
“I’ll Be Your Girl” (2018)
“As It Ever Was, So It Will Be Again” (2024)

Surftipps zu The Decemberists:
Homepage
Facebook
Instagram
Twitter/X
TikTok
Bandcamp
Soundcloud
Youtube Music
YouTube
Spotify
Apple Music
Amazon Music
Deezer
Tidal
Napster
Qobuz
Shazam
last.fm
Setlist.fm
Discogs
MusicBrainz
Prog Archives
Wikipedia


Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Oktober Promotion zur Verfügung gestellt.