Flaggschiff in Seenot
Das einstige Prog-Flaggschiff Yes ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten zunehmend in Seenot bzw. Kritik geraten. Dass die Studio-Alben über die Jahre immer mehr von Belanglosigkeit geprägt wurden, ist eine Entwicklung, die spätestens nach “Magnification” eingesetzt hat, für manchen sogar schon in den 90er Jahren. Zudem führten die Ausstiege von Jon Anderson und Rick Wakeman sowie das Ableben von Chris Squire und Alan White dazu, dass vom klassischen Post-Bill–Bruford-Line-up nur noch Steve Howe übrig geblieben ist. Viele Menschen sprechen bei der aktuellen Besetzung mittlerweile von einer Yes-Cover-Band. Nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass Howe erst für deren drittes Studio-Album zu Yes dazugestoßen war. Doch das Schiff namens Yes segelt unaufhörlich weiter, auch wenn die Besatzung mittlerweile komplett ausgetauscht worden ist.
Yes
Da die Crew auf ihrer aktuellen Weltumseglung auch im nahegelegenen Esch anlegte, war die Verlockung groß, doch einmal zu betrachten, was vom alten Glanz des Schiffes noch übrig geblieben war. Es sollte uns ein Anblick erwarten, den wir im Nachhinein gerne aus dem Gedächtnis streichen würden.
Interessanterweise waren es nicht die Besatzungsmitglieder, die mit ihren handwerklichen Fähigkeiten enttäuschten. Klar, Steve Howe ist in die Jahre gekommen und im Vergleich zu ehemaligen Mitgliedern stand hier nur eine Ersatz-Mannschaft auf dem Deck. Doch hätte deren Leistung durchaus für einen unterhaltsamen Abend ausgereicht. Insbesondere bei einer Songauswahl, die es in sich hatte: Nach einem Auftakt mit ‘Machine Messiah’ und ‘It Will Be A Good Day (The River)’, den beiden wohl stärksten Liedern der Alben “Drama” (1980) und “The Ladder” (1999), folgte ein Programm, bei dem, bis auf eine Ausnahme, ausschließlich Stücke aus den Siebziger Jahren zu hören waren. Inklusive einer komprimierten Medley-Fassung aller vier Stücke der “Tales From Topographic Oceans” (1973).
Leider aber tauchten zwei andere Faktoren auf, die dazu führten, dass man das Erlebte am liebsten vergessen wollte: Zum einen ist da die Abmischung zu nennen. Eine Band in der Rockhal so mies klingen zu lassen, da gehört schon einiges Talent dazu. Insbesondere Steve Howes elektrische Gitarren klangen so schrill, dass es einem immer wieder in den Ohren wehtat. Die Höhen von Jon Davisons Gesang, Steve Howes Gitarre und Geoff Downes‘ Keyboards waren nur schwerlich zu differenzieren und gleichzeitig so dominant, dass man von Billy Sherwoods Bass und Jay Schellens Schlagzeug viel zu wenig wahrnahm. Zudem waren die verschiedenen Sänger kaum voneinander zu unterscheiden, wenn einmal der mehrstimmige Gesang einsetzte. Insbesondere auf den hinteren seitlichen Plätzen der bestuhlten Halle war der Schmerz in den Ohren so groß, dass der gedämpfte Sound im vorgelagerten Foyer erträglicher schien.
Zum anderen präsentierten Yes eine Lightshow, die einen solchen Namen nicht einmal in Ansätzen verdient hatte. Simple Muster aus weißem Licht, projiziert auf einen Backdrop aus Tuch, der in verschiedenen Farben angeleuchtet wurde. Wenn man da die Drucke der Yes-Cover-Artworks von Roger Dean betrachtete, die im Foyer der Rockhal ausgestellt und verkauft wurden, kamen einem regelrecht die Tränen. Eine einfache Slideshow mit diesen Bildern wäre schöner und effektvoller gewesen. Sogar ein simpler Bildschirmschoner hätte da mehr hergemacht.
Ein Ärger, den die Roger–Dean-Crew gut nachvollziehen konnte und nicht zum ersten Mal hörte. Auch was die schrillen Sounds anging, stieß unsere Kritik auf offene Ohren. Man erwähnte, dass Steve Howe wohl als einziger in der Band auf In-Ear-Monitore verzichtete. Ob der Mann sich gar nicht darüber bewusst ist, wie die Band und insbesondere sein Gitarren-Spiel überhaupt klingen? Fragen über Fragen, aber keine nachvollziehbaren Antworten.
Obwohl viele persönliche Highlights im ersten Teil des Sets vorkamen, hatten wir an diesem Abend kaum Freude. Oder vielleicht genau deswegen. Denn am wenigsten Unbehagen kam auf, als Yes ‘Cut From The Stars’ vom 2023er Album “Mirror To The Sky” spielten. Wohl deswegen, weil sie mit dieser Darbietung keinen Klassiker verhunzten – das im ersten Teil des Abends gespielte Simon-And-Garfunkel Cover ‘America’ hingegen bedurfte einiger Zeit, bis wir es überhaupt als solches erkennen konnten. Das wohl auch deswegen, weil der Sound im zweiten Teil des Sets etwas besser wurde. Trotzdem klang die Band weiterhin dann am besten, wenn nur wenige Instrumente gleichzeitig spielten. So wurden Passagen aus “Tales From Topographic Oceans”, als Howe und Davison alleine musizierten, zu unseren persönlichen Highlights, auch wenn wir dieses Album eigentlich gar nicht ausstehen können. Als dann nach und nach Sherwood, Downes und Schellen zu den beiden dazustießen, wurde der Sound zunehmend schlechter.
Oft überlegten wir uns während des Konzertes, die Halle frühzeitig zu verlassen. Da die Dean-Crew allerdings empfahl, bis zu den Zugaben zu bleiben, da diese Bass-lastiger wären, folgten wir deren Rat. Was tatsächlich stimmte: ‘Roundabout’ wurde dank des dominanten Bass-Spiels Billy Sherwoods zum ersten Stück, das wir tatsächlich genießen konnten. Doch schon beim nächsten Lied kehrten die Höhen des Grauens zurück. Der Beginn des abschließenden Klassikers ‘Starship Trooper’ war ein Schatten seiner selbst, sodass wir letztendlich doch noch vorzeitig die Halle verließen, bevor die Band endgültig Schiffbruch erlitt.
Fotos: Prog in Focus
Chaffeur & Support: Michael Fischer
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Rezensionen:
“Mirror To The Sky” (2023)
“The Royal Affair Tour: Live From Las Vegas” (2020)
“Live At The Apollo” (2018)
“The Steven Wilson Remixes” [Vinyl Boxset] (2018)
“Topographic Drama: Live Across America” (2017)
“Progeny – Highlights From Seventy-Two” (2015)
“Heaven & Earth” (2014)
“In The Present – Live From Lyon” (2011)
“Fly From Here” (2011)
“Keys To Ascension” (2010)
“The Word Is Live” (2005)
“Magnification” (2001)
“House Of Yes – Live From House Of Blues” (2000)
“The Ladder” (1999)
Konzert- und Festivalberichte
10.05.16, London (GB), Royal Albert Hall
15.-19.11.15, Miami (US) ➔ Key West (US) ➔ Nassau (BS) ➔ Miami (US), NCL Norwegian Pearl, Cruise To The Edge 2015
Weitere Surftips:
Veranstalter & Venue: Rockhal