Seigmen – Resonans

Seigmen - Resonans (Indie Recs, 03.05.2024) COVER(57:30; CD, Digital, 2-Vinyl; Indie Recordings, 03.05.2024)
Sie gehören in Norwegen seit Mitte der Neunziger Jahre zu den großen Alternative Rock Acts, füllen spielerisch regelmässig die dortigen großen Venues. Einflüsse aus Nordic Folk, Goth, Wave und progressive-Rock-Strukturen gaben der Band ein unverwechselbares Gesicht – dies gilt bis heute. Dieser Erfolg blieb leider für diese originelle eigenwillige Band außerhalb von Norwegen aus, man blieb ein ewiger Geheimtip. Alben wie “Total” oder “Metropolis” aus den Jahren 1994 und 1995 gehören heute noch zu den eigenwilligsten, kreativsten und besten Outputs ever und sind in der selbsternannten Bestsellerliste des Autors bis zum heutigen Tag ganz weit vorne.

Das letzte Album “Enola” liegt bereits auch wieder neun Jahre zurück, war kompakt und qualitativ stark, reichte aber nicht ganz an frühe Glanztaten heran. Was kann also “Resonans”? Die Melancholie, die Leidenschaft, die Kraft, der norwegische Gesang von Alex Møklebust in Verbindung mit den Backing Vocals von Haupt-Songwriter/Bassist Kim Ljung, sind in vollem Saft und zeigen eine Band-Einheit, eine tiefe freundschaftliche Ebene, eine gemeinsame Leidenschaft, die sich in jeder Sekunde auf die Musik überträgt. Die Produktion ist präsent, modern, auf den Punkt, viele hymnisch orchestrale Melodien ummanteln das Alternative Rock Setting. ‘Elskhat’, ‘Arkadia Ego” und das treibend -rockige ‘Når alle Skjermer går i svart’ klingen als Dreierpaket fürs Erste dringlich und wollen Seigmen anno 2024 in jeglicher Faser als vollumfassend wahrgenommen wissen lassen.

‘Berlin’ ist mit Post-Punk-Einflüssen, kantigen Gitarren und melodischen Chorus/Synthie Lines ein fordernder, treibender Hit… Punkt. Die Synth-Momente erinnern dabei an so manch gelungenen Hit von Zeromancer (zwischenzeitliche Reinkarnation unter neuem Bandnamen ). Mit dem siebenminütigen Hit Eksplodere i det Stille’ kommen dann endlich die so Band-typisch mahlenden, drückenden Riffs zum Vorschein, die einen Klassiker wie “Total” bis heute so unerreicht macht. Seigmen klingen dann dunkel, manisch, geheimnisvoll, mystisch, nordisch und einfach nur intensiv. Bassläufe im Tool-Modus, verspieltes Drum Clapping, melancholische Akkorde, ein stetiges hin und her Rudern bis zum überbordenden Refrain – Gänsehaut bis zum Geht nicht mehr.

Mit dem eingängigen Kraftpaket ‘Kollaps’ gehts in die zweite Halbzeit, was soll ich sagen, Objektivität ist offline. Seigmen gemahnen mit diesem hymnischen Groove Monster/Hit an alte Glanzzeiten wie ‘Doderlein’ – es ist mehr als es zu hoffen gab. Wirklich alles, was diese Band ausmacht, scheint man für dieses Album konserviert zu haben.

“Resonanz” streift natürlich gelegentlich alte Glanztaten in Melodie und Rhythmus, aber am Ende steht ein frisches dynamisches, hoch melodisches Kraftpaket an nordischem Alternative Rock, was keine Sekunde schwächelt, den Hörer für sich gewinnen will. Für dieses Album wurden laut Musiker alle Synapsen/Kanäle geöffnet, der unbedingte Wille, etwas Großes zu schaffen – was der eigenen eh schon starken Vergangenheit etwas Wertiges hinzufügt – ist in jeder Sekunde spürbar.

Im weiteren Verlauf schleicht ‘Melanchthon’ schleppend mit nächtlichen Sounds, mahnend flüsternden Gesang durch die Dunkelheit, lässt Schichten in bester Post Rock Wall of Sound auf den Hörer hernieder, erdrückt ihn in Zeitlupe. Wenn die Norweger die energetisch treibende Seite zugunsten dieser Licht-fernen Düsternis zur Seite drängen, dringt man zum Kern der Norweger vor. Die Gitarren mahlen, wimmern, drängen, driften und die längst im Blindflug funktionierenden gekoppelten mehrstimmigen Vocals sind zu 100 Prozent Seigmen – eine Band wie keine Zweite.

‘Voltaire’ groovt und vibriert mit umarmender Melodie und kraftvollen Riffs, während das überlange ‘Blasfem’ mich komplett in die alte gute Zeit zurück beamt. Komplexe schwermütige Akkorde, ein langsames Schichten von Sounds, der flüsternde geheimnisvolle norwegische Gesang und mahlende Gitarren wie Wal Geräusche – Danke der Dynamik Steigerung Gänsehaut ohne Ende. Die Produktion ist top und bei aufgedrehten Lautsprechern ist ´Resonans´ ein einfach nur fantastischer intensiver Trip.

Die Norweger kommen aus einer Ära, die nostalgisch betrachtet, so viele gute Erinnerungen hervorruft. Dabei denke ich an skandinavische Nischen-Kleinode wie Beyond Dawn, The Third and the Mortal, Art By Machinery, This Empty Flow, um nur einige zu nennen. Eine Zeit, in der Bands aus Skandinavien mit allerlei Kreativität atmosphärische Klassiker für die Ewigkeit hinterließen, jenseits irgendwelcher Genre Zugehörigkeit zwischen den Stühlen sitzend große Momente erzeugten. Seigmen vibrieren, fordern, kämpfen, umarmen, mahnen und vereinen mit großen hymnischen Melodien, partieller Düsternis und hochwertigen nordischen Songs.

Teapot of the Week
“Teapot of the Week” auf Betreutes Proggen in der KW18/2024

Fans werden dieses Album in jeder Sekunde aufsaugen, ich hoffe es kommen einige dazu. In jedem Fall ein aufrichtiges Danke an die Band für diese glücklich machende musikalische Rückmeldung. Seigmen hat nichts an Aura und Qualität verloren, im Gegenteil, es klingt wie eine verdammte Frischzellenkur und das abschließende ‘Tønsberg’ mit seinen Modern Classical Einflüssen (Vocals von Gitarrist/Opernsänger Marius Roth) hinterlässt mich nur mit Staunen.
Bewertung: 14/15 Punkten


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Diskografie (Studioalben):
“Ameneon” (1993)
“Total” (1994)
“Metropolis” (1995)
“Radio Waves” (1997)
“Enola” (2015)

Line-up:
Alex Møklebust – Vocals
Kim Ljung – Bass
Noralf Ronthi – Drums
Sverre Økshoff – Guitar
Marius Roth – Guitar

Cover: Seigmen / Indie Records