Ungehört • Unerhört
Die Swans haben in ihrer Karriere schon so manchen Besetzungswechsel durchgemacht. Alleinige Konstante seit der Bandgründung im Jahre 1982 ist dabei Michael Gira. Und so wie sich die Band über die Jahre immer wieder mit neuen Gesichtern zeigte, hat sich auch die musikalische Ausrichtung der Formation über die Jahre immer wieder verändert. Spätestens seit der Band-Neugründung im Jahre 2010, nach einem dreizehn-jährigen Hiatus, haben es sich Michael Gira und seine Mitstreiter aber vorwiegend im Grenzbereich zwischen Post Rock, Noise Rock und Drone Music gemütlich gemacht. So war es im Vorfeld der Tour mehr als fraglich gewesen, ob der unterschiedlichen Stile wegen überhaupt etwas aus der Frühphase der Band gespielt werden würde.
Maria W Horn
Opener an diesem Abend war eine schwedische Künstlerin namens Maria W Horn. Dass es bei ihr nicht klassisch instrumental werden sollte, ließ sich schon anhand des Bühnen-Aufbaus erahnen. Denn auf der Bühne stand eine kleine Theke mit allerlei elektronischem Gedöns mit ganz vielen Reglern und Rädchen zum Drehen.
So beglückte uns die Skandinavierin in der nächsten halben Stunde mit allerlei Drones, der Modulation von Tönen und allerlei synthetischen Klängen, die mal an Orgeln, mal an Gitarren erinnerten und dann wieder ganz und gar nicht mit einem Instrument assoziierbar waren. Auf Rhythmen verzichtete die Künstlerin dabei komplett. Umso mehr setzte sie auf abgrundtiefe Bässe, die durch Mark und Gebein drangen. Der eigene Körper wurde so tatsächlich zum Resonanzkörper für die Musik. Eine musikalisches Erlebnis, in der Tat mehr für den Leib als für die Seele.
Spooky!
Swans
Nach einem kurzen Jazz-Intro vom Band nahmen die sechs Musikerinnen und Musiker der Swans ihre Plätze hinter Akustik- bzw. Lap-Steel-Gitarre, Synthies, Schlagzeug und Bass ein, bevor Mastermind Michael Gira die Band mit den folgenden Worten vorstellte:
Guten Abend, wir heißen die kleinen Swans vom Himmel!
Den Auftakt des Abends gestalteten Swans im Anschluss mit dem Titel-Stück der aktuellen Platte, das auch namensgebend für diese Tour war: ‘The Beggar’. Einem schon in seiner Studio-Fassung über zehn-minütigen Brocken, der live noch etwas ausgedehnt wurde. Das Setting der sechs Musiker auf der Bühne, zusammen mit den Klängen von Giras Akustikgitarre lassen zu Beginn leichte Jazz-Club-Atmosphäre aufkommen.
Giras Vokal-Performance, die leichte Assoziationen mit Kehlkopfgesang weckte, bereitete dieser Vorstellung ein jähes Ende, ganz zu schweigen von den nur wenige Zeit später einsetzenden Drones. Nicht identifizierbare Sounds, die sich zusehends fortschreitend zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen entwickeln. Irgendwann, klammheimlich, waren dann alle Musiker mit ihren Instrumenten in das Stück mit eingestiegen. Der Song wuchs und wuchs, schwoll immer weiter an, bis alles in einem selbst und um einen herum zu vibrieren began. Was mit sanfter Akustikgitarre begonnen hatte, entwickelte sich zu einer beeindruckenden Wall Of Sound. Frontmann Gira geriet dabei in vollkommene Ekstase und agierte wie ein Dirigent beim Ausdruckstanz. Mein lieber Herr Gesangsverein!
Das war ein musikalischer Auftakt, der durch Mark und Gebein ging. Da hätten Mogwai und Godspeed in direktem Vergleich tatsächlich einpacken können. Schon heftig, wenn man sich bereits beim ersten Stück die Frage stellte, ob man am nächsten Tag nicht taub sein würde. Selbst die Reinigungsfachkraft für Toilettenanlagen von Veranstaltungsstätten, hatte sich vom Auftritt der Swans körperlich so genötigt gefühlt, dass sie im Bereich der Aborte ausschließlich mit Kapsel-Gehörschutz anzutreffen war.
Noch mehr im Mittelpunkt des Geschehens stand der Mastermind der Swans bei ‘The Hanging Man’ vom 2019er Vorgänger-Album “What Is This?”. Denn in den zehn Minuten dieses Stückes drehte sich musikalisch alles um die sonore Stimme Michael Giras. Eindringlich aber niemals aufdringlich wurden die Instrumente zum musikalischen Zubehör degradiert, das keine andere Aufgabe hatte, als die Performance des Bandleaders noch eindringlicher wirken zu lassen. Bis der Gesang plötzlich aussetzte und das musikalische Gewitter über einen hineinbrach, zu dem der Schlagzeuger einen hart niederprasselnden Hagel niederschlagen ließ.
Wer bis zu diesem Zeitpunkt noch auf alte Stücke gehofft hatte, der wurde im Folgenden bitter enttäuscht. Doch nicht nur diese Personen, auch all jene, die zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch mit einem Stück bereits bekannter Musik gerechnet hatten, erlebten nun eine Überraschung. Letztendlich setzte Mastermind Michael Gira nämlich so radikal auf Neues wie es der Redakteur nur selten zuvor bei einer Band erlebt hatte: Denn keines der fünf Stücke, die noch aufgeführt werden sollten, war bisher veröffentlicht worden. Alles, was hiernach noch folgen sollte, war vollkommen neu und ungehört. Wie unerhört!
Wo welches Lied anfing, wann welches Lied aufhörte, es war bei all diesen ewiglich langen Kompositionen kaum nachvollziehbar. Musikalisch jedenfalls blieben die Künstler dem Still ihrer letzten Veröffentlichungen treu. Post Rock zwischen Noise und Avantgarde mit dem oft klagenden Gesang Michael Giras. Eine musikalische Performance, die die Zuschauer in ihren Bann schlug, akustisch, insbesondere aber auch physisch – wobei die einzelnen Stücke als solche zur Nebensache gerieten.
Es war ein Auftritt, der einer Messe gleich kam, deren Liturgie in manchen Momenten zermürbend wirkte, die aber letztendlich eine kathartische Wirkung für Körper und Seele hatte.
Fotos: JacQue Photography
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“The Beggar” (2023)
“The Glowing Man” (2016)
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