(Flüssig-)Brot und Spiele
“The Return of a Legend” – kleiner hatte man es beim Ersinnen des Tourmottos wohl gerade nicht gehabt. Doch nach den erlebten zwei Stunden waschechten Colosseum-Feelings in der für den freudigen Anlass ausverkauften Bonner Harmonie war an der Aussage keinerlei Fehl zu entdecken. Gut gebrüllt.
Und gut gespielt und gesungen. Sehr gut. Noch vor dem Einsetzen der Musik aber jubelte unser selbst bereits deutlich grauhaariger Fotograf Harald “Bin ich unter den zehn Jüngsten hier im Raum?” Und das war nur ein ganz klein wenig ironisch gemeint und vermutlich sogar eine statistisch belastbare Beobachtung.
Der Autor jubilierte auch. Denn diese Pracht-Formation hat sich seit dem ersten Mal (September 1971) schon x-mal aufgelöst. Nicht aus Wankelmut, sondern aufgrund von diversen tragischen Anlässen. Zum Beispiel der schweren Erkrankung von Barbara Thompson oder halt wegen des Todes von Bandboss und -Schlagzeuger Jon Hiseman im Jahr 2018 (übrigens unmittelbar nach einem in der Harmonie gespielten Konzert).
Und hier gibt es – trotz alledem – nun wieder eine neue Ausgabe der Legende. Gitarrist Clem Clempson (u.a. Humble Pie, Jack Bruce Band), Sänger und Stand-up Comedian Chris Farlowe sowie Bassist/Sänger Mark Clarke (u.a. Uriah Heep, Tempest, Billy Squier) haben die von der Zeit gerissenen Lücken im Line-up mit Kim Nishikawara (Saxophon), Nick Steed (Keyboards) und Malcolm Mortimore (Schlagzeug) gefüllt. Und sich dabei verjüngt. Wären die beiden Erstgenannten nicht so komplett einzigartig und unverwechselbar, man könnte auf Ideen kommen. Wie z. B., dass Colosseum vielleicht eine ähnliche Transformation wie Gong gelingen könnte. Also von der von Individuen abhängigen Musikgruppe zu einer Generationen überspannenden “Idee”. Schön wäre es.
Doch zur Gegenwart. Und in der fand sich der Autor eingeklemmt (s.o., sold out) in einer Gruppe vitaler Damen, sämtlich gefühlt weit über 70, die das gesamte Geschehen mitfilmten und synchron (interessanterweise via WhatsApp) mit Mitmenschen und der Nachwelt teilten. Hatte ich so auch noch nicht gesehen. Nicht von dieser Altersklasse.
Und was gab es da so zu filmen? Den initialen Aufmarsch der Legenden, noch als Trio, also Mark, Malcolm, Clem. Letzterer in blendend gutem Deutsch zur Erklärung: “Die anderen Jungs schminken sich immer noch.” Damit hatten sie die kichernde Harmonie schon komplett im Sack. Die enorm rhythmische, steinalte Eröffnungsnummer ‘The Kettle’, gesungen von Mark tat da ein Übriges. Im gloriosen Finale ließ Clem – in phantastischer Form – ‘Purple Haze’ vorüberwehen. Besonders neugierig war man natürlich darauf gewesen, wie sich der “neue” Drummer in Jons einschüchternd großen Fußspuren machen würde. Entwarnung – Malcolm (u.a. Arthur Brown, Gentle Giant, Chris Spedding, Ian Dury oder Tom Jones [!]) agiert zwar etwas weniger feingliedrig als das zuletzt beim altersweisen Jon der Fall war. Aber ist fraglos ein phantastischer, großartig zur Band passenden und v.a. songdienlich spielender Drummer.
Auftritt der Schmink-Fraktion. Solcherart komplettiert gab man mit dem funky ‘No Pleasin” einen bislang eher selten gespielten Titel. Den Clem mit einem ganz besonders furiosen Solo krönt. Chris jedoch vermisst Monitore, bzw. Monitor-Sound auf der Bühne. In gespielter Verzweiflung: “Scheise”.
Das vergleichsweise junge ‘First In Line’, Jazz Rock, Ladies and Gentlemen. Die Orgelbeiträge sind hier noch leider eher flächig als echtes Single-Note-Solieren.
‘Need Somebody’ schwenkte zu Rhythm’n Blues, was Malcolm offensichtlich ganz besonders liegt.
Nach dem wieder tüchtig alten, flotten ‘Elegy’ wurden bereits die Kronjuwelen ‘rausgeholt. Die Greenslade-Komposition ‘Valentyne Suite’ gerät zum Triumph, nicht zuletzt für die “Novizen” in der Colosseum-Arena Nick Steed (der für die Bonner eine neckische Beethoven-Verbeugung einbaut) und Kim Nishikawara.
Mit ‘Story of the Blues’ gab es sogar eine Steed-Komposition, bevor ‘Stormy Monday’ das Thema progressive Blues Rock weiter und sehr kunstvoll elaborierte. Starke Scat-Einlagen von Chris.
Das ganz neue ‘A Cowboy’s Song’ von Mark lehnt sich ganz bewusst an das wenig später zu hörende letzte Lied des Abends an. Vorher aber durfte natürlich jenes andere Colosseum-Epos nicht fehlen, ‘Lost Angeles’, hier inklusive einem ‘(I Like To Be In) America’-Zitat (Gershwin). Während der alte Schalk Chris seinen Schlagzeuger spielerisch mit einem Handtuch bedrohte.
“I don’t wanna live in Lost Angeles”. Variation des Themas seitens Chris: “I’d rather live in Bonn. But it’s too expensive.” In allerbester Spiellaune streut Clem in eins seiner Firestarter-Soli ein wenig ‘In der Halle des Bergkönigs’ ein und beschwört im Dialog mit Mark das Willie Dixon-Glanzstück ‘Spoonful’ kurz herauf.
Apropos Cream, apropos Jack Bruce (R.I.P.). Dessen phantastisches ‘Theme For An Imaginary Western, gesungen von sowohl Chris wie Mark markierte dann auch den Auszug aus der Gladiatoren-Arena für die Band und ihr begeistertes, teils zu Tränen gerührtes Publikum.
Panem et circenses. Irgendwie für die Ewigkeit.
Live-Fotos: Harald Oppitz
Surftipps zu Colosseum:
Temple Music
clemclempson.com/colosseum
Facebook
Facebook Group
Spotify
Wikipedia
_
Rezensionen:
5 x Live in Concert – Restored & Remastered (2020)
Konzertbericht JCM (2018)
Rezension JCM – Heroes (2018)
Rezension “Time On Our Side (2015)
Konzertbericht Colosseum, 2014, Bonn
Konzertbericht Clem Clempson Band (2013)
Wikipedia