Der Proggerherz Dieb
Dies ist der erste von zwei Konzertberichten von The Pineapple Thiefs aktueller “It Leads To This European Tour 2024”. So konnten wir uns glücklich schätzen, dass uns das Management der Band eine zweite Akkreditierung gewährte, nachdem die Kollegen Wilms und Reckert schon lange eine persönliche Einladung für das Konzert am 15. März im Kölner Carlswerk Victoria in den Händen hielten. Zwei Berichterstattungen? Muss das denn wirklich sein? Und ob! Insbesondere dann, wenn die Engländer in einer unserer Lieblings-Venues auftreten, nämlich in der für ihre ausgesprochen gute Akustik bekannten Neuen Gebläsehalle zu Neunkirchen. Zu blöd nur, dass der Fotograf nach einem vermutlichen Diebstahl ohne eine Kamera anreisen musste. Wir bitten daher schon im Voraus, die verminderte Qualität der mit einem Handy aufgenommen Fotos zu entschuldigen.
Randy McStine
Opener im Saarland, genauso wie bei allen anderen Terminen dieser Europa-Tournee, war der US-Amerikanische Musiker, Randy McStine, bekannt u.a. für seine Band Lo-Fi Resistance, aber v.a. für seine Mitarbeit bei Projekten wie Dave Kerzners In Continuum, The Fringe mit Nick D’Virgillio und Jonas Reingold, für McStine & Minnemann, seine Kooperation mit Marco Minnemann und nicht zuletzt als neuer Live-Gitarrist bei Porcupine Tree.
Mr. McStine präsentierte sich an diesem Abend allerdings ganz alleine auf der großen Bühne; lediglich bewaffnet mit einer Akustik-Gitarre und unterstützt durch jede Menge Effektgeräte., die auch gleich zu Beginn effektvoll zum Kreieren von Loops verwendet wurden. Diese bildeten fortan aber nicht mehr die Basis für McStines Gitarrenspiel und seinen gefühlvollen Gesang.
Ganz anders wirkte dieses Akustik-Programm als die elektrischen Versionen, die man von seinen Platten her kennt. Tatsächlich erinnerte McStine den Betreuer an diesem Abend an den Ex-Porcupine-Tree-Live-Gitarristen John Wesley, als dieser Mitte der 90er Jahre solo und akustisch im Vorprogramm von Marillion auftreten durfte (dessen Gitarren-Techniker er zu dieser Zeit noch war). Die lange Lockenpracht, die sich Randy McStine in den letzten Jahren hat wachsen lassen, verstärkten diesen Eindruck nur noch.
McStine erzählt inmitten seines Auftritts von vergangenen Touren mit The Pineapple Thief, von ausgefallenen Konzerten im Zuge von Corona und natürlich auch über seine Kooperation mit Marco Minnemann, aus der er zum Abschluss seines Konzertes gleich zwei Stücke präsentierte. Mit ‘Activate’ aktivierte er sein Publikum zum Mitklatschen, was diesem gar nicht so einfach fiel, da das Tempo des Stückes langsam, aber stetig zunahm. Das abschließende ‘Big Wave’ hingegen war zum Staunen. Nicht etwa wegen des einleitenden Meeresrauschens, sondern vielmehr wegen Randys Akustik-Gitarren-Solos, bei dem er mit seiner rechten Hand die Saiten zupfte, während er mit seiner Linken ein Bottleneck-Slide den Hals hoch und runter wandern ließ. Geiler Scheiß.
The Pineapple Thief
Der Auftritt der Ananas-Diebe am Vortag in Amsterdam war ausverkauft und, auch für das Konzert, das am folgenden Tag in Aschaffenburg stattfinden sollte, waren keine Karten mehr erhältlich. Ganz anders in Neunkirchen. Die Neue Gebläsehalle war zwar gut gefüllt, aber bei weitem nicht ausverkauft. Aber das war bei einem Auftritt in einem Tausend-Personen-Venue im Saarland auch kaum zu erwarten gewesen. Trotzdem fühlte sich Neunkirchen dann doch irgendwie Sold Out an, denn die Veranstalter hatten die Halle im hinteren Bereich mit einem Vorhang abgetrennt. Wie man es vom Gloomaar Festival her kannte, konnte der Sound auch an diesem Montagabend nur als glasklar beschrieben werden. Dazu die gute Sicht von allen Standorten auf die ausreichend hohe Bühne. Beste Grundvoraussetzungen also für einen rundum gelungenen Konzert-Abend mit The Pineapple Thief – und der sollte es auch werden.
Dass der Autor und wohl auch einige der Zuschauer bisher nur wenig Zeit gehabt hatten, sich näher mit dem erst zweieinhalb Wochen zuvor erschienenen Album “It Leads To This” zu beschäftigen, stellte sich als Vorteil heraus, denn so gab es zu fast 50 Prozent Musik auf die Ohren, die für diese neu und überraschend war.
Schon der Opener war solch ein neues Lied. Trotzdem gestalteten Bruce Soord und Konsorten dem Publikum den Einstieg nicht allzu schwierig, denn von allen neuen Stücken war ‘The Frost’ als Single wohl das bekannteste und zugänglichste. The Pineapple Thief zeigten sich gut aufgelegt, John Sykes hatte von Beginn an ein Dauer-Grinsen aufgelegt und Frontmann Bruce Soord nutzte schon früh die gesamte Breite der breiten Bühne aus, um mit möglichst vielen der Zuschauer auf Tuchfühlung zu gehen.
Es folgte mit ‘Demons’ ein nicht minder eingängiges Lied vom Vorgänger “Versions Of Truth”, bei dem Steve Kitch mit seinen spukhaften Keys für Gänsehaut-Momente sorgte.
Hiernach richtete Frontmann Soord seine Stimme ans Publikum – in deutscher Sprache – und betonte, dass dies ihr erster Auftritt in Neunkirchen sei. Das Publikum feierte ihn dafür, worauf sich die Band bei diesem mit ‘Put It Right’ bedankte.
Es folgten mit ‘Our Wire’ und ‘Versions Of Truth’ zwei weitere Stücke vom ’20er Album – das Marimbaphon des Titelstücks kam dabei leider vom Band. Danach drei Lieder der neuen Platte: ‘Every Trace Of Us’, ‘All That’s Left’ und das verträumte ‘Now It’s Yours’ mit seinen noisigen Gitarren. Nur unterbrochen vom “Little Man”-Stück ‘Dead In The Water’ in der neu arrangierten “Give It Back”-Version. Hier wurde wieder einmal deutlich, wie erstaunlich es ist, wie sehr die ganz alten Stücke doch durch Gavin Harrison dazu gewonnen haben, ganz besonders im Live-Setting.
‘Fend For Yourself’ stellte dann den ersten Rückgriff auf der 2016er Killer-Album ‘In Your Wilderness” dar. Ein Stück voller Sehnsucht, Melancholie, einfach wunderbar!
‘Rubicon’ startete hernach fast wie ein Prog-Metal-Stück. Treibend! Hymnisch! Definitiv ein Stück, das nicht mehr so schnell aus der Set-List der Band fliegen sollte. In der Zukunft vielleicht sogar ein Kandidat für die Zugaben.
Fehlten nur noch zwei Stücke des neuen Albums und die wurden auch prompt geliefert: Erst ‘To Forget’ mit ganz viel Atmosphäre, klapperndem Holz von Seiten Gavin Harrisons, akustischer Klampfe und immer wieder jaulender Gitarren – besonderes Lob verdiente hier vor allem das große Ende des Stückes und insbesondere Tour-Gitarrist Beren Matthews für sein tolles Solo. Danach das Titel-Lied mit seinen Japan-Anleihen und einer gesunden Portion Noise.
Und dann war endlich Zeit für ein paar Klassiker. Besonders erquickend für den Redakteur war dabei ‘Give It Back’ mit seinem mehrstimmigen Gesang, denn “All The Wars”, das Album, von dem dieses Stück stammte, hatte seinerzeit endgültig dessen Liebe zu The Pineapple Thief zementiert.
Mindestens genauso überzeugend dann ‘The Final Thing On My Mind’ als Abschluss des Haupt-Sets. Während Soord, Sykes, Matthews und Kitch in dieser Extended Version ganz groß einen auf Atmosphäre machten, trommelte sich Harrison einfach einen ab. Und dann wieder dieses Solo am Ende. Progger-Herz, was willst du mehr?!
Zugaben natürlich! Was denn sonst! Und da die neue Platte ja schon ganz vom Tisch war, musste es zwangsläufig alten Stoff geben.
Mit ‘We Are In Exile’ kehrten The Pineapple Thief noch einmal gefühlvoll zu “Your Wilderness” zurück, bevor es dann abschließend “This Is Suicide” hieß, denn The Pineapple Thief krönten ihr Konzert mit einem ihrer stärksten Stücke überhaupt: ‘Alone At Sea’. Das war alles, nur kein Selbstmord.
Fotos: Prog in Focus
Surftipps zu The Pineapple Thief:
Homepage
Facebook
Instagram
Twitter
bandcamp
Soundcloud
YouTube
Spotify
Deezer
Tidal
Qobuz
last.fm
Discogs
MusicBrainz
ProgArchives
Wikipedia
Rezensionen:
“It Leads To This” (2024)
“Give It Back” (2022)
“The Soord Sessions Volume 1-4 (2021)
“Versions Of The Truth“ (2020)
“Hold Our Fire“ (2019)
“Dissolution“ (2018)
“Where We Stood“ (2017)
“Your Wilderness“ (2016)
“Magnolia“ (2014)
“All The Wars“ (2012)
“Someone Here Is Missing“ (2010)
“Tightly Unwound“ (2008)
“What We Have Sown“ (2008)
“Little Man“ (2006)
“10 Stories Down“ (2005)
“Variations On A Dream“ (2003)
“137“ (2001)
“Abducting The Unicorn“ (1999)
Konzertberichte:
09.03.22, Oberhausen, Turbinenhalle 2
26.10.21, Mainz, Kulturzentrum
28.09.18, Köln, Live Music Hall
13.09.17Köln, Luxor
25.01.17, Oberhausen, Zentrum Altenberg
Interview:
Interview: Bruce Soord, The Pineapple Thief, zu “Your Wilderness” (2016)
Surftipps zu Randy McStine:
Facebook
Instagram
Bandcamp
Youtube Music
YouTube
Spotify
Apple Music
Deezer
Setlist.fm
Discogs
MusicBrainz
Rezensionen:
McStine & Minnemann – “McStine & Minnemann” (2020)
Weitere Surftips:
Veranstalter: Neunkircher Kulturgesellschaft
Venue: Neue Gebläsehalle