Chandelier: Interview zum neuen Album

Im Gespräch mit Chandelier Sänger Martin Eden und Gitarrist Udo Lang.

Nach dem so überraschenden wie erfolgreichen Auftritt auf der Loreley ist viel passiert im Hause Chandelier. Nun ist auch das erreicht, was ursprünglich gar nicht die Intention war – ein neues Album! Hierzu standen Sänger Martin Eden und Gitarrist Udo Lang für ein Interview zur Verfügung.

Ist es eigentlich Winfrieds Schuld, dass „We Can Fly“ erschienen ist (Winfried Völklein, Macher des Night of the Prog Festivals)?

Martin: Ja!

Uns macht es Spaß und wir haben noch Ideen. Also macht es Sinn, weiterzumachen.

Was hat letzten Endes den Ausschlag gegeben, dass der Loreley-Auftritt keine einmalige Sache geworden ist, denn so war es doch vor dem Auftritt damals eigentlich geplant, oder?

Martin: Genau, das war so fest geplant! Aber die Begeisterung und die Liebe, mit der wir von den Fans empfangen worden sind, hatten uns so geflasht, dass wir wieder große Lust bekamen, weiterzumachen.
Udo: Den Fans scheint es Freude zu bereiten, uns macht es Spaß und wir haben noch Ideen. Also macht es Sinn, weiterzumachen.

Gibt es auf dem neuen Album Stücke, die ansatzweise schon zu eurer damaligen aktiven Zeit angedacht waren oder handelt es sich ausschließlich um Kompositionen, die allesamt erst nach eurem Loreley Auftritt entstanden sind?

Martin: Zumindest in meinem Fall sind es alles Kompositionen, die nach dem Beginn der klitzekleinen Chandelier-Pause entstanden sind – teilweise jedoch vor dem Loreley-Auftritt.
Udo: Ich habe ständig viele neue Ideen. Die Ideen zu den Stücken auf der neuen Platte sind erst nach der Pause entstanden.

Eure Meinung zu Spotify & Co.?

Martin: Ein tolles Modell für die großen Musikfirmen wie Universal und Co. sowie für die Kunden. Ein völlig mieses Modell für die Künstler selber, weil sie, von ein paar wenigen Ausnahmen abgesehen, nur noch ein paar Brotkrumen für ihre Arbeit bekommen. Mittelfristig wird es fast nur noch Bands wie Chandelier geben, die die Musik als Hobby betreiben und ihren Lebensunterhalt aus anderen Quellen beziehen.
Udo: Viele fragen immer als Erstes nach Spotify, ob wir da auch zu hören sind. Prinzipiell also eine praktische Sache. Aber für uns lohnt sich das einfach nicht. Anders sieht es bei Bandcamp aus. Da kann man die Stücke auch anhören. Wenn einzelne Stücke oder eine ganze Platte runtergeladen werden, bleibt auch für uns was übrig.

Wie stark hat sich die Herangehensweise an die Aufnahme eines neuen Albums verändert im Vergleich zu euren Alben der Neunziger?

Udo: Prinzipiell ist das schon die gleiche Herangehensweise. Man erstellt zunächst ein Gerüst des jeweiligen Stücks und nimmt dann die einzelnen Spuren (Drums, Bass, Gitarre, Keys, Vocals) auf. Diesmal haben wir aber das Gerüst aus live eingespielten Aufnahmen erstellt, und das Tempo dieser Aufnahmen größtenteils beibehalten, sodass die Stücke mehr den natürlichen Groove behalten haben. In der Umsetzung ist das etwas schwieriger, weil mehr Temposchwankungen vorhanden sind, aber ich denke, es hat sich gelohnt. Der zweite große Unterschied ist, dass wir die Aufnahmen nicht alle im Studio gemacht haben. Bass und Gitarre haben Christoph und ich jeweils zu Hause aufgenommen, was mit den heutigen Ausrüstungen kein Problem ist. Die anderen Spuren haben wir im Proberaum aufgenommen, der mit hochwertiger Studiotechnik ausgestattet ist. Die Aufnahmen konnten wir so zeitlich gut verteilen – ohne den Stress, den man sonst in bezahlten Studios hat.

Die Texte stammen allesamt von Martin, die Kompositionen sind Gemeinschaftsarbeit. Wie muss man sich das Zustandekommen eines Songs vorstellen?

Martin: Bei “We Can Fly” ist es so gelaufen, dass entweder Udo oder ich mit einer Idee kamen, die dann gemeinsam chandelierisiert wurde. Wobei Udos Ideen im Allgemeinen schon deutlich ausgereifter sind als meine. Ich kann ja eigentlich nur Melodien – mit den passenden Akkorden tue ich mich schwer. Schade, dass ich nie so etwas wie Kompositionslehre gelernt habe.
Udo: Wir machen meist Demo-Aufnahmen von neuen Ideen. Bei mir sind diese Aufnahmen schon recht weit arrangiert, bei Martin noch etwas ungeschliffener. Gemeinsam werden die Stücke dann ausgearbeitet, bzgl. Struktur, Arrangement usw. Bei Martins Ideen gibt es meist schon eine Gesangsmelodie, ansonsten muss Martin sie noch finden.

Das Leben ist schön! Punkt!

Hat Martin freie Hand bei den Texten oder gibt es gemeinsame grundlegende Ideen hierzu? Oder kann es passieren, dass es beim nächsten Album um ein Sci-Fi-Konzeptalbum geht, bei dem ein gewisser Commander Pimmel auftaucht?

Martin: Da bringst du mich auf eine ganz hervorragende Idee! Muss ich mir unbedingt merken. Aber im Ernst: Wenn die Jungs wirklich wüssten, worum es in meinen Texten geht, würden sie mich hochkant aus der Band werfen! Nein, jetzt aber wirklich im Ernst: Ich habe da völlig freie Hand, würde aber auch natürlich auf Vorschläge der anderen eingehen. Bei “We Can Fly” war es mir wichtig, den Fokus auf positiv gestimmte Texte zu legen, da die Schwarzmalerei im aktuellen Kulturgeschehen Überhand gewonnen hat. Das Leben ist schön! Punkt!

Woher kommt die Affinität zu meiner heiß geliebten Truppe meiner damaligen Heimatstadt Hagen, Grobschnitt? Toni Moff Mollo als Gastsänger, Eroc als Remaster-Experte, Milla als Zuschauer bei eurem Doppelkonzert mit Flying Circus?

Martin: Milla war ja beim Konzert in Essen nicht nur Zuschauer, sondern hat bei der Zugabe ‘Wie der Wind’ höchstderoselbst den Darm gezupft. Wir sind halt alle große Grobschnitt-Fans. Das war die beste Live-Band aller Zeiten!
Udo: Ich habe als Jugendlicher Grobschnitt gehört und war auf einigen Konzerten. Von daher schon toll, Toni und Milla persönlich zu kennen. Wir wollen aber natürlich keine Grobschnitt-Coverband werden.

Apropos Doppelkonzert: Wie kam die Kombination Chandelier und Flying Circus zustande? Wie viel Konzerte sind für 2024 geplant?

Martin: Flying Circus ist ein tolle Band mit extrem sympathischen Leuten. Den konkreten Kontakt hatte wohl Christoph, unser Bassist, eingefädelt. Die beiden November-Konzerte mit Flying Circus haben einen Riesenspaß gemacht und ich freue mich auf die gemeinsamen Auftritte in Hamburg, Jülich, Reichenbach und Stuttgart in der ersten Jahreshälfte 2024. Vielleicht geht die Tour im Herbst dann noch weiter.

Wenn man für “We Can Fly” eines der üblichen Etikettierungen verwenden sollte, wäre es aus eurer Sicht wieder “Neo Prog”? Wie würdet ihr einem Hörer, der noch nie etwas von Chandelier gehört hat, euer aktuelles Werk beschreiben?

Martin: Ehrlich gesagt weiß ich bis heute nicht genau, was “Neo Prog” überhaupt bedeutet, aber das ist trotzdem OK für mich. Mit Schubladen habe ich generell so meine Probleme. Für Newbies: “We Can Fly” bietet melodiöse und abwechslungsreiche Rockmusik für alle, die es lieben, Musik bewusst zu genießen.
Udo: Ich bin da auch kein Schubladen-Experte. Von mir aus ist das auch einfach nur Rock-Musik.

Gibt es einen Song, auf den ihr besonders stolz seid?

Martin: ‘Spring’ und ‘Light’.
Udo: Zu meinen Favoriten gehören noch ‘Space Controller’ und ‘Help Me’.

Noch ein Wort zu dem Titel ‘Light’, in diesem Zusammenhang fällt der Name Peter Machajdik – ein paar Worte hierzu?

Martin: Mit Peter bin ich schon seit vielen Jahren gut befreundet. Er ist ein großartiger Komponist im klassischen Musikgenre – oder auch “Neo Klassik”, um doch selbst mal eine Schublade aufzuziehen. Er hat schon häufiger mit Maestro Jon Anderson zusammengearbeitet und ist selbst auch großer Yes- bzw. Prog-Fan. Sein nach meinem Geschmack bisher bestes Stück ist das Orgelwerk “On The Seven Colours Of Light”. Ein musikalisches Epos, das in keinem wohlsortierten Prog-Haushalt fehlen sollte! Daraus habe ich mir einen winzigen Teil gemopst (natürlich mit Peters Einwilligung) und eine Gesangsmelodie sowie einen Text dazu geschrieben. Mit Tonis wunderschöner Stimme ist daraus dann ein kräftig leuchtender Edelstein geworden, wie ich finde.

Also machen wir seitdem neben Neo-Prog auch Shanty-Prog.

Wer hatte die Idee für den Shanty-artigen Teil auf dem Album?

Martin: Das hat sich eher zufällig so entwickelt. Zunächst hatte Toni beim Refrain von ‘Forever And A Day’ eine zweite Stimme gesungen, was jedoch nicht so richtig passte. Dann haben wir es einfach mal unisono probiert, und schon kam automatisch dieses Shanty-Feeling auf. Das fanden wir alle toll. Also machen wir seitdem neben Neo-Prog auch Shanty-Prog.

Was sind aus eurer Sicht die Markenzeichen von Chandelier?

Martin: Musikalisch sind es für mich zum einen die ohrwurmträchtigen Melodien und Riffs, sowie zum anderen die komplexen Kompositionen, die kein Gramm Fett zu viel auf die Waage bringen. Ein menschliches Markenzeichen: Wir sind auf der Bühne dieselben Personen wie abseits der Bühne.

Der Loreley-Auftritt sollte ursprünglich eine einmalige Sache sein, blieb es dann aber glücklicherweise nicht. “We Can Fly” soll hoffentlich auch nur der Anfang von Chandelier 2.0 sein – richtig?

Martin: Wir haben jede Menge Spaß durch die bzw. mit der Musik. Wir stehen unter keinerlei Druck – weder von außen noch durch uns selber. Warum sollten wir so töricht sein, uns dieses Privilegs zu berauben?
Udo: Jedenfalls haben wir noch eine Menge Ideen.

Wie waren denn die bisherigen Reaktionen auf das Album? Habt ihr auch Anfragen, im Ausland mal live aufzutreten (ich denke da an Frankreich oder Belgien)?

Martin: Vermutlich gibt es inzwischen zehnmal mehr Prog-Bands als Prog-Fans. Jeden Monat kommen gefühlt Hunderte neuer Progscheiben auf den Markt. Da kann jede(r) Rezensent(in) natürlich im Allgemeinen nur mal kurz drüberhören. Dies erklärt vielleicht die Lücke, die ich empfinde, zwischen der Qualität unseres Meisterwerks “We Can Fly” und der Anzahl der Sterne, die es in den gängigen Prog-Restaurantführern erhält. Was die frankophonen Territorien anbelangt: Tatsächlich spielen wir im Oktober beim “Prog en Beauce”-Festival in Frankreich.
Udo: Ich lese eigentlich keine Kritiken. Was ich so persönlich mitbekommen habe, ist doch sehr positiv.

Vielen Dank an Martin und Udo. Bitte beachtet die unten erwähnten Tourtermine.
Live sieht es dann zum Beispiel so aus:

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Konzerttermine:
10.02. Hamburg, Logo (mit Flying Circus)
23.03. Jülich, Kulturbahnhof (mit Flying Circus)
05.04. Reichenbach, Art Rock Festival, Neuberinhaus
20.04. Stuttgart, Club Central (mit Flying Circus)
26.10. Prog en Beauce-Festival

Abbildungen mit freundlicher Genehmigung: Chandelier