Fast wäre dieser Abend ins Wasser gefallen. Oder besser gesagt in den Schnee. Denn der plötzliche Wintereinbruch zwei Tage zuvor hatte bis zuletzt für Unsicherheit gesorgt; auf den Straßen und bei der Antwort auf die Frage, ob der Betreuer diesen Termin überhaupt würde wahrnehmen könnte. Rechtzeitig zum Konzertabend ließ das Niederschlagsrisiko nach, sodass dem persönlichen Jahresauftakt des Autors für das Konzertjahr 2024 nichts mehr im Wege stand. Mit dabei zwei Lieblingsbands: TesseracT, mit ihrem starken Album “War Of Being” im Gepäck, als Headliner sowie die Wiesbadener Unprocessed, die mit “…And Everything In Between” in der Jahres-Top-10 des Betreuers landeten. Außerdem The Callous Daoboys als Wildcard, von der er zuvor nicht mehr als den Namen gehört hatte.
The Callous Daoboys
Wer sich fragt, woher dieser Name stammt, dem sei gesagt, dass The Callous Daoboys einen Spoonerismus des American-Football-Teams Dallas Cowboys darstellt. Doch stammt die Band nicht etwa aus der texanischen Metropole, sondern ist in Georgias Hauptstadt Atlanta beheimatet. Musikalisch ist das Sextett am ehesten in der Mathcore-Musik zu verorten. Dass eine Kategorisierung hier jedoch nicht ganz so einfach ist, dass wird nicht nur an den unterschiedlichen Gesangsstilen von Frontmann Carson Pace (Cleans & Screams) und Bassist Jackie Buckalew (Grunts & Growls) deutlich, sondern auch daran, dass mit Amber Christman eine Violinistin mit auf der Bühne steht. Diese verleiht den verschiedenen Stücken vor allem Tiefe, auch wenn es ansonsten heftig und deftig zur Sache geht – und rhythmisch äußerst vertrackt.
Für das luxemburgische Publikum in der zu diesem Zeitpunkt noch sehr spärlich gefüllten Halle ist der musikalische Wahnwitz, der von der Bühne schallt, wohl etwas zu viel des Guten. Genau wie die Soundschnipsel aus Pop- Schlagermusik, die zwischen den einzelnen Liedern auf die Zuhörer losgelassen werden. Am Großteil der Zuhörer perlt die Musik der Südstaatler ab wie an Teflon. Was auch der Band nicht verborgen bleibt. So thematisiert Sänger Carson Pace immer wieder das reservierte Publikum.
Protest The Hero told us they played here and that the crowd was silent between the songs. An it is fucking true!
This silence is crazy! They are not even talking among themselves!
Doch auch diese Kommentare stießen auf wenig Reaktionen.
You know how difficult it is to get the attention of Americans?
Die Band nimmt’s mit Humor und feiert ganz einfach eine Party ohne ihr Publikum. Hüpfend, lachend und posierend.
Daran ändern dann auch diverse Soundprobleme und verlorengegangenes Merch nichts mehr.
Unprocessed
Kein verlorenes Merchandise aber dafür ein fehlendes Bandmitglied. Auch für Unprocessed war der Tour-Auftakt in Esch alles andere als ein Traumstart. Denn krankheitsbedingt mussten die Hessen heute auf ihren Bassisten David Levy verzichten. Und obwohl es Manuel Gardner Fernandes und Christoph Schultz mit ihrem Gitarrenspiel vermochten, den fehlenden Bass ein Stück weit zu kompensieren, wirkte sich Levys Fehlen doch dramatisch auf den Bandsound aus. Denn Levy zeichnet nicht nur für die tiefen Töne verantwortlich, sondern ist auch der Sound-Designer im Quartett.
So waren es v.a. die (vom Mann hinterm Mischpult?) eingespielten Effekte und Synthesizer-Sounds, aber auch die künstlich verfremdeten Vocals, die zu Missklängen führten. Und auch die In-Ear-Monitore schienen nicht wirklich zu funktionieren, denn Sänger Fernandes zupfte fortwährend an seinen Ohrsteckern herum.
Dass der Auftritt dann doch nicht komplett für die Tonne war, das lag an zwei Dingen. Erstens gab es heute die Live-Premiere von immerhin fünf Stücken des aktuellen Albums und zweitens war es auch so eine Freude, den drei Virtuosen genauer auf die Finger schauen zu können.
Unterm Strich konnte man trotz Allem dankbar sein, dass Unprocessed sich dagegen entschieden hatten, den Auftritt an diesem Abend abzusagen.
TesseracT
Wüsste man es nicht besser, so könnte man TesseracT für eine klassische Heavy-Metal-Band halten. So rein optisch. Schwarze Klamotten, dreimal lange Haare, Bassist Amos Williams im Kapuzenmantel und insbesondere Frontmann Daniel Tompkins mit ordentlich Gepose.
Heavy sind ist die Musik der fünf Engländer aus der Retortenstadt Milton Keynes natürlich, aber obendrein auch hochmodern und progressiv. Killer-Riffs, die im Djent verwurzelt sind, treffen auf melodisch-charismatischen Gesang, zeitgenössisches Sound-Design sowie eine Rhythmusfraktion, die das Präfix Poli präferiert.
Dass bei einer solchen Mischung dann auch immer wieder Ohrwürmer entstehen, ist eigentlich kaum zu glauben, wurde aber an diesem Abend mehr als deutlich bewiesen. Denn das Set der Briten bestand an diesem Abend vor allem aus Liedern, bei denen es neben der Peitsche ganz viel Zuckerbrot für die Ohren gab.
Für den Einstieg wählte man mit ‘Natural Disaster’ und ‘Echoes’ zwei Stücke vom aktuellen Album, bevor man mit ‘Of Mind – Nocturne’ und ‘Dystopia’ auf “Altered State” und “Polaris” zurückgriff. Es sollten jedoch die einzigen Tracks dieser Alben bleiben, denn TesseracT setzten hauptsächlich auf Stücke von “War Of Being” und dessen Vorgänger “Sonder”. Besonders atemberaubend war dabei die Präsentation der elf-minütigen Single ‘War Of Being’, eine musikalische Achterbahnfahrt.
Dass Daniel Tompkins mit einem Atemwegsinfekt zu kämpfen hatte, dem wurde man erst gewahr, als er diesen Umstand seinem Publikum mitteilte. Denn nicht nur seine Screams saßen, auch in den Höhen traf Tompkins stets die richtigen Töne. Die Leistungen bei ‘King’ und ‘Smile’ unterstrichen dies deutlich. Und auch wenn TesseracT beim Bühnenbild wohl niemals an den Standard ihres Streaming-Konzertes “Portals” heranreichen werden, so war man doch klanglich von diesem nicht weit weg.
Dass die vielen Synthies, die TesseracT-Stücke atmosphärisch so dicht gestalten, ‘vom Band’ eingespielt werden mussten, ist schade, wird sich allerdings wohl nicht ändern, solange die Band bei Konzerten nicht auf einen Tastenmann zurückgreift. Übel aufgestoßen ist dies aber wohl nur den Wenigsten. Denn das Publikum in der mittlerweile sehr gut gefüllten Halle fraß der Band, zumindest direkt vor der Bühne, nahezu aus der Hand.
So konnte man die vordersten Reihen ‘Juno’, dessen Chorus wohl der eingängigste im Band-Repertoire ist, auch noch ganz hinten mitsingen hören. Die im Text besungenen Glühwürmchen wurden förmlich greifbar. Gänsehaut pur.
Ganz tief in die Klamottenkiste griff man dann beim Zugaben-Block, bei welchem die beiden ersten Teile der 2010er EP “Concealing Fate” gespielt wurden, dem Center-Piece des einem Jahr später folgenden Debüt-Albums “One”. Mit ‘Acceptance’ gab es dabei noch einmal etwas für alle Frickel-Freaks und mit der Single ‘Deception’ etwas für die Liebhaber der großen Melodien. Ein würdiger Abschluss.
Fotos: Prog in Focus
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Rezensionen:
“War Of Being” (2023)
“Видростати / Regrowth” (2022)
“Portals” (2021)
“Sonder” (2018)
“Errai” (2016)
“Polaris” (2015)
“Altered State” (2013)
“One” (2011)
Festival- & Konzertberichte:
15.01.23, ‘s-Hertogenbosch (NL), Mainstage Brabanthallen, Headbangers Parade #1
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Rezensionen:
“Gold” (2022)
“Boy Without A Gun” (EP) (2022)
“…And Everything In Between” (2023)
Festival- & Konzertberichte:
30.09.22, Köln, Essigfabrik, Euroblast 2022
17.02.20, Köln, Gebäude 9
Interview:
Unprocessed @Euroblast 2022
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