…on the road again
Nach der Pflicht die Kür. Denn so werden Livealben auch gern mal bezeichnet. Immerhin befindet sich in der Discographie jeder gestandenen Band mindestens eine Live-Veröffentlichung. Und nach drei Studioalben und immerhin schon vierzehn Jahre Bandgeschichte, darf man das schon einmal – nämlich ein Live-Album veröffentlichen, das von eben diesen Qualitäten der Band zeugt. Die Plauener Progressive-Rocker von Polis veröffentlichten vor kurzem mit “Unterwegs” ihr erstes Live-Statement, über das es von Sänger Christian Roscher eine ganze Menge zu berichten gibt…
Nun ist es raus, “Unterwegs”, euer erstes Live-Album. Kann man das bei euch, wie bei anderen Bands, bei denen gerade Live-Alben zu den Überfliegern in der jeweiligen Discographie gehören (Genesis, Yes, Deep Purple, Peter Frampton, The Who, Led Zeppelin, Rush), auch als Kür bezeichnen?
Christian Roscher: Um ganz ehrlich zu sein, waren wir da zuerst etwas zwiegespalten. Auf der einen Seite wissen wir, dass wir eine gute Live-Band sind. Wir proben die Programme, die wir spielen, ausgiebig und kümmern uns trotz der Komplexität unseres Instrumenten-Setups auch um Details wie Mikrofone und Effekte. Andererseits waren wir es von unseren Studio-Alben bisher gewöhnt, sehr minutiös Kontrolle über jeden Aspekt auszuüben. Das ist jedoch bei einem Live-Album in dieser Weise gar nicht möglich. Wir mussten also lernen, loszulassen und darauf zu vertrauen, dass wir unseren Job auf der Bühne gut gemacht hatten. Das löste sich für mich eigentlich erst richtig auf, als von unseren Hörern und der Presse ein bisweilen euphorischer Zuspruch zu “Unterwegs I” auf uns kam. Deswegen sollen die ruhig entscheiden, wie sich “Unterwegs I” in unsere Diskographie einreiht. Wir Fünfe sind jetzt jedenfalls sehr glücklich darüber, es herausgebracht zu haben.
Wie kam es überhaupt zu der Idee zu “Unterwegs”?
Ein Live-Album zu machen, das schwebte uns schon viele Jahre im Kopf herum, weil wir wussten, dass wir auf Konzerten ziemlich einmalige Dinge tun. In der Musik tönt eine sehr schöne und berührende Botschaft. Und wir verzichten ja, wo es nur möglich ist, auf alles, was halbgar klingt, um diese Botschaft zu unterstützen. Daher war es eher der Mut des Entschlusses und die Vision dahinter, das Ergebnis würde gut werden, dass “Unterwegs I” nun auch greifbare Wirklichkeit geworden ist.
Wie sind Tracks wie ‘Die Einsamkeit’ sowie ‘Das erste Leuchtfeuer’, die nicht auf euren Studio-Alben zu finden sind, einzuordnen? Sind das vielleicht schon Aussichten auf das nächste reguläre Album?
Ja, genau: die beiden Stücke werden zum kommenden Studio-Album gehören… Wenn neu entstehende Lieder bei uns eine bestimmte Reife erreicht haben, dann ist es uns sehr wichtig, sie auf die Bühne zu bringen. Erst durch fortgesetztes Aufführen kriegen die Lieder einen Schliff, der ausschließlich im Studio auf diese Weise schwer herzustellen ist. Aber genau dieses Ungeschliffene machte die beiden Stücke für uns so wertvoll, dass wir uns entschieden, sie mit auf das Live-Album zu nehmen.
…und für wann ist das geplant?
‘Die Einsamkeit’ und ‘Das letzte Leuchtfeuer’ sind bereits aufgenommen und gemischt, genau wie ein Großteil der kommenden Scheibe. Trotzdem ist noch einiges zu tun. Unsere eigene, vorsichtige Prognose lautet Herbst 2024.
Wie passierte die Auswahl der Titel für “Unterwegs”? Vermisst wird hier ja von einigen Stellen mit ‘Mantra’ ein Highlight eurer Konzerte.
Generell war unser Ansatzpunkt den Bogen, den unsere Konzerte schlagen, auch auf dem Live-Album abzubilden. Was ‘Mantra’ betrifft, da bin ich ganz bei Dir, das hätten wir alle gern mit dabei gehabt. Aber die Scheibe heißt ja schließlich “Unterwegs I”. Und es gibt ja noch ein paar römische Ziffern mehr…
Von einigen Presseportalen der Musikjournaille wird eure Musik gemeinhin als “Ostrock” bezeichnet. Eine Sache, mit der ihr nicht so glücklich seid. Beziehungsweise ihr habt euch regelrecht gegen diese Einordnung gewehrt (obwohl Ostrock mit den hier zu findenden Bands eigentlich auch ein Qualitätssiegel ist). Was stößt euch hier sauer auf?
Die Hörer sollen die Musik einordnen, wie sie das für richtig erachten. Und wenn wir mit diesem Begriff bedacht werden, dann ist das ja stets sehr hochachtungsvoll nicht nur uns, sondern auch der ganzen Ost-Musik-Historie gegenüber gemeint. Und ich empfinde es auch als angenehm, dass wir einem Begriff, der für viele Leute offensichtlich immer noch bedeutungsvoll ist, eine bisschen mehr Gegenwart verleihen können. Allerdings – das muss ich dazu sagen – wir selber hören aus unserer Musik keinerlei Ostrock heraus. Aber das finde ich auch gar so nicht erheblich: Unsere Aufgabe ist es nur, die Musik zu machen. Urteilen sollen die Hörer und eben die Musikpresse.
Was geht so progmusikalisch ab, bei euch in Plauen?
Mother Engine ist eigentlich die große Instanz in Plauen, auch wenn sie in den letzten Jahren ein wenig kürzer getreten sind. Die machen frickelige, kraftvolle Rockmusik. Und Corny (Cornelius Grünert, d. Schlussred.) war ja unser erster Schlagzeuger. Ohne Mother Engine hätte es also auch kein Polis gegeben.
Mit eurem Vintage Instrumentarium fallt ihr bei euren Konzerten mächtig auf. Gab es hier eigentlich schon einmal technische Komplikationen?
Das ganze alte Musikmobiliar ist unglaublich robust und langlebig konstruiert. Diese Geräte wurden so entwickelt, dass sie ein Leben lang mit einem Minimum an Wartung funktionieren können. Eine ordentliche Behandlung vorausgesetzt. Wenn es mal Stress gab, dann eigentlich nur mit der neueren Musikelektronik, ohne die es bei uns aber auch nicht ginge.
Was für Aktivitäten sind in naher Zukunft noch bei euch geplant?
Die Veröffentlichung des kommenden Studio-Albums wird ein großer Berg Arbeit für uns werden. Das zieht gerade die meiste Konzentration auf sich. Die Musik ist zwar fast, aber eben noch nicht ganz fertig. Das Design spielt wieder eine wichtige Rolle. Außerdem sollen Videos gedreht werden. Nichtsdestotrotz freue ich mich schon sehr auf den 08. März. Da spielen wir nämlich in Leipzig in der Moritzbastei Leipzig. Das habe ich mir schon lange gewünscht.
…und was ist eigentlich die Assoziation hinter eurem Bandnamen?
Was es zu einer echten Polis – also einer Gemeinschaft freier Menschen auf Augenhöhe – dringlich braucht, das sind mündige Menschen. Und mündige Menschen brauchen eine mündige Kunst, die sich nicht nach der Mode richtet oder um die jeweils “richtige” Haltung schert. Es braucht eine Kunst, die so sehr ihrer eigenen Wahrhaftigkeit verpflichtet ist, dass sie Menschen tief zu berühren vermag. Macht die Kunst das nämlich nicht, dann landet man ganz schnell in einer Gesellschaft, wie der unseren: wo viele Menschen oberflächlichen Unsinn mit Tiefgang verwechseln und alles aus den Fugen gerät. Denn ohne tiefe Gefühle gibt es auch kein Bedürfnis nach tiefen Gedanken. Oder nach Wahrhaftigkeit. Oder danach, sich sich selbst zu stellen. Es reicht auch nicht, wenn diese Dinge als kurze Episode im Jugendalter oder jungen Erwachsenenalter auftreten und dann wieder verschwinden. Denn es braucht sie ein Leben lang zur Mündigkeit. Das ist die Aufgabe der Künste in einer Polis. Und wir versuchen als Musiker unseren Teil dazu beizutragen.
Line-up Polis:
– Christian Roscher / Vocals
– Christoph Kästner / Guitar
– Marius Leicht / Keyboards
– Andreas Sittig / Bass
– Sascha Bormann / Drums
Surftipps zu Polis:
Homepage
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ProgArchives
Bandcamp
YouTube
Progressive Promotion Records
Wikipedia
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Rezension “Unterwegs” (2023)
Rezension “Weltklang” (2020)
Fotos mit freundlicher Genehmigung:
1: Kenny Pool
2: Polis