Im Gespräch mit MMTH – Schlussstrich und Neustart

Schlussstrich und Neustart

MMTH (Selbstauslöser: Bernd Frikke)
Härter sind sie geworden, die postrockenden Ostfriesen. Und somit ein wenig näher an der Wesensart ihres Namens. Gar zierlich springt das Mammut (bzw. Mammoth) zur Quelle und hinterlässt dabei reihenweise Ab- und Eindrücke. Sechs lange Jahre nach dem Debüt “Paternoster” erscheint nun mit “Infinite Heights” endlich der Nachfolger, zu dem es darum auch jede Menge Fragen gibt…
MMTH - Infinite Heights (17.11.2023)
Warum sechs Jahre von “Paternoster” zu “Infinite Heigths”?

Hanno: ‘Relais’, ‘Muscle Memory’ und ‘Alterite’ haben wir kurz nach der Veröffentlichung von “Paternoster” geschrieben und schon auf unserer 2019 Tour mit The Clouds Will Clear gespielt. Es gab auch eine Menge Skizzen. Und eigentlich waren wir heiß darauf, Platte zwei zu schreiben.

Patrick: Ich denke, dass in dieser Zeitschiene tatsächlich einfach auch die Pandemie-Situation eine wesentliche Rolle spielt – natürlich nicht nur für uns, sondern für viele weitere Bands genau so. Es hat sich vieles anders sortiert und unter den Einschränkungen konnte man im Bandkontext oftmals eben einfach auch nicht so arbeiten, wie man es vorher als selbstverständlich verstanden hat. So ist die Zeitspanne dann gefühlt sicher auch kürzer, als sich sechs Jahre jetzt anhören.

So eine Band ist ja auch immer wie eine Beziehung…

Bernd: Das ist im Prinzip einer der wichtigsten Punkte: Während andere Künstler und Bands diese Zeit vielleicht genutzt haben, um an neuem Material zu arbeiten und Platten zu veröffentlichen, hat es uns deutlich gemacht, dass wir lieber eine Band sein wollen, die zusammen an Ideen schraubt und daraus ein gemeinsames Ding macht, an dem jeder sein Anteil hat. Es gab aber zusätzlich noch weitere Schwierigkeiten, die über einen längeren Zeitraum für  Stillstand gesorgt haben. Diese haben aber unserer Ansicht nach nichts in der Öffentlichkeit verloren. Das sind Dinge, die wir unter uns ausmachen mussten und teils auch immer noch müssen. So eine Band ist ja auch immer wie eine Beziehung… Ich weiß, das ist ein sehr abgenutztes Bild, aber deshalb nicht weniger wahr.

Im Grunde ist es so, dass Hanno, Jan Reno und ich erst nach Carlos Ausstieg irgendwann die Gelegenheit gehabt haben, uns mit gewissem Abstand noch mal auszutauschen und auszuloten unter welchen Voraussetzungen überhaupt die Möglichkeit bestünde, die Band fortzuführen.

Um ganz ehrlich zu sein, konnte das ziemlich sicher auch nur mit Patrick an der Gitarre gelingen. Aber auch jetzt noch ist es natürlich ein stetiger Prozess, der vor allem offene Kommunikation erfordert. Wir kommen alle unter den unterschiedlichsten Voraussetzungen zusammen und jeder versucht seinen Teil dazu beizutragen, damit es laufen kann. Weil aber Musik und somit auch MMTH ein so wichtiger Teil in unser aller Leben ist; nehmen wir auch einiges in Kauf und versuchen mit der entsprechenden Rücksicht auf die Situationen des Einzelnen immer einen gemeinsamen Konsens und einen Weg zu finden, der für alle funktioniert.

Das nächste Album hat dann Überlänge!

Dementsprechend hat sich auch die Spielzeit halbiert von einer Stunde zu knapp einer halben. Woran lag das denn?

Bernd: Nun, um auch da ehrlich zu sein gab es noch einen weiteren Track in ziemlicher Überlänge. Der stammte wie auch ‘Trigger’ und ‘Sampras’ aus Carlos Feder. Es fühlte sich aber nach seinem Ausstieg irgendwie nicht mehr richtig an, den mit auf dem Album zu haben. Der Song war zudem auch noch nicht fertig gestellt. Es fehlten noch Spuren.

Patrick: Das nächste Album hat dann Überlänge!!!

Hab ich zurecht den Eindruck, dass ihr ein wenig heavier geworden seid und hin und wieder mit dem Post Metal liebäugelt, wie etwa bei ‘Relais’ oder ‘Muscle Memory’?

Patrick: Als ehemaliger Externer sehe ich hier schon einen wesentlichen Unterschied im Soundschema zwischen den Alben. Gerade die genannten Songs legen stellenweise starken Fokus auf ein klassisches Gitarren-Riffing, was auf dem ersten Album so nicht unbedingt passiert. Nichtsdestotrotz lassen sich beim genauen Hinhören wesentliche Kernelemente der “Paternoster-Grundlagen” auch auf “Infinite Heights” wiederfinden – ich persönlich finde es auch schöner, zwischen verschiedenen Alben einer Band eine Entwicklung des Sounds festzustellen, als sich immer wieder selbst zu wiederholen.

Jan: Der Gitarrensound auf dem neuen Album ist eine soundmäßige Weiterentwicklung, die auch dem Einfluss und den Eindrücken der Konzerte, die wir gespielt haben und der Subgenres, in die wir eintauchen konnten, frönt.

Das wissen wir auch nicht

Postrock mit einem “echten Gitarrensolo” (‘Trigger’)? Wie verträgt sich sowas?

Hanno: Das wissen wir auch nicht. Wir haben das einfach mal gemacht und ich denke, wenn sich die Gelegenheit nochmal ergibt, werden wir das auch wieder tun. Wir wollen da eigentlich nicht so puristisch sein. Aber zugegebenermaßen waren Teile der Band auch zunächst skeptisch. 😉

Patrick: Ich sehe die Parts jetzt nicht mal als “echte Gitarrensoli”, sondern als Erweiterung der Melodielinien. Was sagen eigentlich Long Distance Calling dazu (… Stichwort: “Nucleus”)? Aus unserer Perspektive geht es vielleicht auch weniger um ein Vertragen mit dem Genre im Sinne einer gewissen Schublade, die wir aufmachen dürfen oder nicht. Es ist eher wichtig, was sich für uns in dem Moment für den Song richtig anfühlt. Vielleicht sind das dann mal shredder lines im Sinne oder klassischer Lead-Gitarre oder Genre-typische Tremolo-Gitarren.

Jan: Die Frage, ob Gitarrensoli genretypisch oder gar verpönt sind im Post Rock, stellt sich für mich nicht. Da sie eine weitere Facette in der Erweiterung bzw. Ausgestaltung des Post-Rock-Kosmos darstellen können. Melodielinien, die von Gitarren vorgetragen, sich dem Ohr des Genrehörers zunächst als Soli entpuppen, zeigen um so deutlicher wie wichtig ein Solo im Sinne eines stimmlichen (Vocal-)Ersatzes sein kann.

Was geht sonst noch so ab im ostfriesischen Aurich? ist Ostfriestand ein natürliches Habitat für Dickhäuter? (BTW – was macht eigentlich mein Kumpel Skip?)

Hanno Gar nicht mal so viel. Alle von uns sind irgendwo in Ostfriesland geboren, aber die Band kommt auch eigentlich gar nicht aus Aurich. Patrick wohnt in Bremen, Bernd ist Emder. Wir sehen Aurich aber als unsere Basis, weil da eben mein Studio ist, in dem wir zurzeit auch proben.

Wir starten im Studio jetzt übrigens Konzerte. Zum Beispiel sind ZAHN am 06.03.2024 zu Gast. Da freue ich mich schon sehr drauf. Skip wird bestimmt auch da sein. Der hat übrigens ein paar Songs für seine letzte Platte bei mir aufgenommen.

Bernd: In Ostfriesland geht leider wirklich nicht so viel. In Emden beispielsweise ist im Grunde nur noch das Grusy übrig, in dem man laute Musik spielen kann. Dort haben wir dann ja auch vor einigen Wochen im intimen Rahmen unser neues Album vorgestellt. In Leer gibt es noch das Zollhaus, wo unser Bekannter Marco Hanneken das Booking macht und versucht in regelmäßigen Abständen interessante Bands nach Ostfriesland zu holen. Zuletzt u.a. Olli Schulz, Muff Potter, Leoniden und im kommenden Januar zum Beispiel FJORT. Am 28. März können wir dort zusammen mit zwei weiteren lokalen Bands auch mal wieder spielen und freuen uns schon sehr darauf.

Jan: Dicke Haut weatherwise und eine Träne im Auge wegen des kalten Windes.

Skip trifft man hier und da mal, musicwise. Leider hat die lokale Veranstaltungsszene in Zeiten von Corona gerade im Bereich der Subkultur sehr gelitten, aber wie Bernd und Hanno bereits erwähnten entwickeln sich jetzt erste neue Konzert-Spots und man darf gespannt sein, wohin das führt.

Lassen euch die Songs unter Livebedingungen Raum zur Entfaltung oder möglichen Improvisationen?

Hanno: Wir sind vor einiger Zeit den Schritt gegangen, unsere Show auf Click zu bauen, damit wir unser eigenes Licht abfeuern können. Dadurch wird man der Laufzeit unterworfen. Allerdings gibt es auch geloopte Passagen, die solange laufen bis ich hinter den Drums den nächsten Part starte. Und abgesehen von der zeitlichen Abfolge macht jeder von uns immer mal sein Ding und so wird eine Leadgitarre oder Fill auch gerne mal spontan abgeändert. Jan macht ja total viel Effektzeugs mit seinem Pedalboard und das ist zwar immer ähnlich aber auch jedes Mal einzigartig.

Jan: Ja, man sollte es kaum glauben, aber auch ein Metronom birgt die Möglichkeit z. B. mit der Rhythmik eines Songs zu spielen. Einen Song live länger zu spielen, die Atmosphäre langsamer aufzubauen und anders zu inszenieren ist immer spannend, da man so auch den Zuhörern eine Schippe oben auflegt oder einen alternativen Zugang zu seiner Musik verschafft.

Kann man bezüglich “Inifinite Heights” vom “schwierigen zweiten Album” sprechen?

Patrick: Ich glaube nicht, dass im Zusammenhang mit einem Album von einer Schwierigkeit gesprochen werden kann – egal, um das wievielte es sich letztlich handelt. Ein Album ist aus meiner Sicht immer eine Form von Zeitdokument, gerade auch im Zusammenspiel und –leben der Beteiligten, wenn man mit unterschiedlichen Charakteren in einer Band agiert. Dieses Album lag einige Zeit in der Schublade. Zwischendurch war es auch unklar, inwieweit diese Band überhaupt eine Zukunft hat. Wir sehen das Album nun als Schlussstrich und Neustart zugleich.

Bernd: Wie eingangs erwähnt, gab es Schwierigkeiten, ja. Diese lagen aber meiner Ansicht nach nicht in der Tatsache begründet, dass es unser zweites Album ist.

Und ich bin der Überzeugung, dass sich das Schreiben für das folgende Album mit Patrick als Neuzugang wieder leichter anfühlen wird. Auf Grund der Tatsache, dass wir uns einerseits Ideen hin und her schicken, sie dann in regelmäßigen Abständen auch – endlich wieder – gemeinsam im Proberaum zusammen ausprobieren und fertigstellen können, hoffe ich einfach, dass es bis Album Nummer drei dann auf jeden Fall nicht wieder sechs Jahre dauert.

Jan: Für mich stellt das Festhalten eines Songs für ein Album grundsätzlich die finale Entscheidung dar, wie man eben diesen den Zuhörern zeigen möchte. Das kann sich schwierig anfühlen, aber da das ja auch nur eine Momentaufnahme ist, lässt die Live-Interpretation des jeweiligen Songs viel Raum.

Und dann wäre da noch dieses Steven Wilson-Déjà Vu in “Sampras’. Zufall?

Hanno: Ganz bestimmt nicht. Das Demo für die Nummer hatte Carlo schon ziemlich weit ausgetüftelt und ich behaupte, der ist schon Fan.

Was für Aktivitäten sind im Zusammenhang mit aktuellem Album noch geplant?

Bernd: Wir planen zeitnah den Song ‘Altérité’ noch mal mit ein-, zwei Remixen auszukoppeln. Außerdem haben wir eine Dickfehler-Live-Session gefilmt, die sicher auch in den ersten Monaten des neuen Jahres veröffentlicht wird. Dazu wollen wir natürlich live spielen, so viel es geht und so viel jeder von uns möglich machen kann! Einige Termine stehen auch schon fest, proudly presented by BetreutesProggen.de
16.02. Hannover, Nordstadtbraut
17.02. Neustrelitz, Alte Kachelofenfabrik
28.03. Leer, Zollhaus
03.05. Oberhausen, Helvete +LEECH.


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Rezension “Paternoster” (2017)

Abbildungen: Bernd Frikke