Again? – Fuck U!
Dass wir das Konzert von Archive im Wiesbadener Kesselhaus frühzeitig verließen, hatte nicht etwa mit der Qualität des Auftrittes der Künstler zu tun, sondern war vielmehr rein persönlichen Umständen geschuldet. Es war durchaus schmerzhaft gewesen, verfrüht nach Hause fahren zu müssen und die zweite Hälfte des Abends zu verpassen. Insbesondere deswegen, da die Londoner an diesem Abend ihr Magnus Opum aufführten, das fast zwanzigminütige Prog-Meisterwek “Again”. Insofern war es natürlich ein Glücksgriff, dass wir Archive wenige Wochen später noch ein zweites Mal live genießen konnten, dieses Mal in Luxemburg und zwar in voller Länge.
October Drift
Anders als in Wiesbaden wurden Archive bei den November-Daten ihrer “Calls To Arms & Angels”-Tour nicht mehr von der italienischen Formation JoyCut begleitet, sondern von October Drift, die schon 2019 für die Engländer eröffnen durften. Schön, dass sich die Veranstalter an diesem Abend für den kleinen Saal der Escher Rockhal entschieden hatten.
Denn während die große Halle des Wiesbadener Kesselhauses etwas überdimensioniert für Archive schien, war der Rockhal Club an diesem Abend ausverkauft und schon beim Auftritt October Drifts sehr gut gefüllt. Während wir den 2019er Auftritt der Engländer im Kölner E-Werk leider komplett verpassten, waren wir dieses Mal von Anfang an dabei und wurden so Zeugen einer mitreißenden Darbietung, in deren Mittelpunkt Gitarrist und Sänger Kiran Roy stand und die von einer für einen Opener recht fetten Lightshow begleitet wurde.
Musikalisch gab es dabei hochenergetischen Indierock auf die Ohren, bei dem Shoegaze auf einen knarzender Bass und Post-Rock-Gitarren traf und der stellenweise wie eine High-Energy-Variante von The Smiths rüberkam.
Ein Mixtur, die beim Publikum gut ankam. Wobei das Escher Publikum, verglichen mit dem regen Treiben auf der Bühne doch leicht unterkühlt wirkte. Die änderte sich allerdings schlagartig, als sich Frontmann Roy ins Publikum stürzte und einen Spaziergang durch die Zuschauerreihen unternahm. Verglichen mit JoyCut waren October Drift also definitiv die besseren Anheizer
Archive
Als nach einer kurzen Unterbrechung die Klänge von ‘Super8’ vom Band erklangen, war der Rockhal Club bereits zum Bersten gefüllt. Gut, dass heute die Empore der Halle geöffnet war, denn so bot sich uns im Laufe des Konzertes die Möglichkeit die Position zu variieren und statt ständig durch ein Gewirr von Köpfen und Händen hindurch die Lightshow von Archive auch einmal sichtfrei von oben zu genießen. Bevor es allerdings die Treppe hinauf ging, galt es erst einmal, die Band aus nächster Nähe zu genießen. Und dafür waren die drei ersten Stücke des Abends wie geschaffen. Genau wie in Wiesbaden setzte man erneut auf ‘Mr. Daisy’ und den “Lights”-Klassiker ‘Noise’. Doch anstatt mit ‘Bullets’ nachzulegen, griff man im Anschluss auf ein Album zurück, das einen Monat zuvor überhaupt nicht beachtet worden war. Und man muss gestehen, dass das vom Industrial beeinflusste Titelstück der 2016er “The False Foundation”-Platte an dieser Stelle heftiger einschlug als noch ‘Bullets’ in Wiesbaden.
Die nach dem Trio einsetzenden Publikumsreaktionen waren jedenfalls deutlich lauter, als man es vom Luxemburger Publikum gewohnt war. Auch in Esch präsentierte man nach diesem fulminanten Auftakt die aktuelle Single ‘Vice’, die nicht nur auf der 2023er Deluxe Edition des aktullen Albums zu finden ist, sondern auch auf einer Raritäten-Vinyl, die nur auf dieser Tour erworben werden konnte. Dass die Engländer gerne einmal ihre Setlist variieren, ist hinlänglich bekannt, dass sie an diesem Abend allerdings ‘Controlling Crowds’ fallenlassen würden und stattdessen auf das ruhige, ja fast traumwandlerische ‘Bright Lights’ setzten, war dann doch eine Überraschung. Es folgten ‘Conflict’ und ‘Daytime Coma’, bevor dann erstmals Lisa Mottram die Bühne betrat und ihr Können bei ‘Surrounded By Ghosts’, dem Opening Track der aktuellen Platte beweisen durfte.
Die Lightshow veränderte sich dementsprechend, sodass die Sängerin für die folgenden Stücke im Spotlight stand. Denn nicht nur beim brandneuen ‘The Skies Collapsing Onto Us’ sondern auch beim ’99er Band-Klassiker ‘Take My Head’, der ursprünglich von Suzanne Wooder eingesungen worden war, übernahm Frau Mottram die Lead-Vocals. Begleitet von Dave Pen und Pollard Berrier entwickelte das Stück seinen so typischen Satzgesang, welcher von Trip-Hop-Beats begleitet wurde, die, je weiter das Stück voranschritt, immer metallischer klangen. Fett!
Mittlerweile waren Archive in ihrem Set so weit fortgeschritten, dass nun Lieder zu hören waren, die in Wiesbaden verpasst wurden. Umso schöner war es, dass bis zum Ende des Hauptsets keine weiteren Veränderungen mehr in der Setlist auftraten, sodass wir in den Genuss so einiger neuer Stücke kamen, die wir zuvor noch niemals live genießen konnten: Zuerst ‘The Crown’ mit seinen wabernden Synthesizern und krachenden Beats und im Anschluss dem hypnotischen ‘Fear There & Everywhere’. Mit ‘The Empty Bottle’ folgte dann endlich auch ein Rückgriff auf die großartigen “Controlling Crowds”-Zeiten, der nicht nur die Menge in Verzückung versetzte, sondern selbst Darius Keeler dazu verleitete, den Platz hinter seinen Synthesizern zu verlassen und für Minuten in Ekstase vor den Lautsprechern zu tanzen.
Kaum zu toppen legten Archive noch einmal mit dem fast zehnminütigen ‘Gold’ und seinen so wunderbar proggigen Keyboard-Läufen nach und rundeten den Hauptteil des Abends mit einer abwechslungsreichen musikalischen Achterbahnfahrt ab.
Das Publikum war am Toben und forderte nach Zugaben. Es war so laut, dass man seine eigene Stimme nicht mehr verstehen konnte.
So kehrten sie zurück. Wie hätte es auch anders sein können. Und so gab es nun zu hören, was dem Publikum zu Beginn des Abends verwehrt geblieben war: ‘Bullets’ mit seinen einprägsamen Gesangslinien, süchtig machenden Melodien, treibenden Rhythmen und einem Crescendo, von welchem so manche Post-Rock-Band nur träumen könnte, es geschrieben zu haben. Wer nun im Anschluss auf den Prog-Klassiker der Band schlechthin gehofft hatte, der wurde von Griffiths, Keeler & Co. enttäuscht. Denn auf die Frage, ob es, so wie noch in Wiesbaden, an diesem Abend noch einmal ‘Again’ geben sollte, wurde von den Briten mit einem deutlichen ‘Fuck U’ beantwortet. Und so sehr wir den Longtrack an diesem Abend auch vermissten, insbesondere, nachdem wir ihn einen Monat zuvor verpasst hatten, muss man doch eingestehen, dass das vom 2004er “Noise”-Album stammende und bereits von Placebo gecoverte Kult-Lied, nach ‘Bullets’, dramaturgisch die bessere Wahl war.
What a night!
Fotos: Prog In Focus
Support: Frank Schenkelberg
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“Super8” (2023)
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26.10.23, Wiesbaden, Schlachthof
31.10.19, Köln, E-Werk
Interviews:
Darius Keeler About “Call To Arms & Angels”, Genres, Influences & Red Lines (2022)
Darius Keeler über “Call To Arms & Angels”, Genres, Einflüsse und Rote Linien (2022)
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Ein Kommentar
Hallo. Ja, in Köln 2019 war toll, 2023 in Wiesbaden ok. Als Luxemburger habe ich Sie in Luxemburg verpasst….unverzeihlich. Freue mich aber für dich, dass du sie diesmal bis zum Schluss gesehen hast ;-). Live sind die irgendwie immer eine Wucht…..