Archive, JoyCut, 26.10.23, Wiesbaden, Schlachthof
Call To Arms & Angels Tour 2023
Im April 2022 veröffentlichten Archive das Genregrenzen-sprengende Tripple-Vinyl-Album “Call To Arms & Angels”. Dass die zum Album gehörende Tour dann erst ein Jahr später stattfinden konnte als ursprünglich geplant, war tragisch. Denn dieses Mal war es nicht Corona, dass dem Londoner Kollektiv einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, sondern eine Krebserkrankung von Band-Kopf Darius Keeler. Wie es derzeit tatsächlich um die Gesundheit Keelers seht, ist nicht bekannt. Jedenfalls ging es dem Musiker wieder gut genug, um mit seinen Kollegen auf eine zweimonatige, 39 Stationen umfassende Europa-Tournee zu gehen. Einer der zahlreichen Spielorte in Deutschland war dabei der Wiesbadener Schlachthof.
JoyCut
Bevor es mit Archive jedoch losging, hieß es erst einmal “Bühne Frei!” für JoyCut, eine dreiköpfige Band aus dem italienischen Bologna, die es vor nur halb gefüllter Halle nicht einfach hatte. Treibendes Schlagzeug, düstere Electronica und ostafrikanisch anmutende Percussions prägten den Sound des Trios, das irgendwo zwischen Score Music, New Wave und Krautrock eingeordnet werden kann.
Für die vierjährige Nachwuchs-Reporterin ФилиФиш bedeutete diese sphärische wie Rhythmus-betonte Instrumentalmusik jedenfalls ein faszinierendes Klangspiel, das sie anfangs wild tanzend von den Schultern ihres Betreuers aus beobachtete, später dann gemütlich von den Logenplätzen aus genoss. Beides funktionierte gleichermaßen gut, denn JoyCuts Musik ist sowohl ansprechend für den Körper als auch für die Seele. Ein unterhaltsames Ensemble, das seiner Rolle als Opener gerecht wurde und die Vorfreude auf den Headliner anwachsen ließ.
Archive
Ob es an der zu großen Anzahl an Auftritten Archives im Südwesten Deutschlands und seinen Grenzgebieten lag, oder an der vielleicht doch etwas zu überdimensionierten Halle; im Gegensatz zu vielen anderen Venues war der Wiesbadener Schlachthof jedenfalls nicht ausverkauft. Der Stimmung in der Halle tat dies aber keinen wirklichen Abbruch, zumindest nicht in den Reihen direkt vor der Bühne. Schuld hieran waren natürlich in erster Linie Archive selbst: Die beiden charismatischen Frontleute in Person von Pollard Berrier und Dave Pen standen zentral, im meist bläulich stahlenden Rampenlicht, und wurden von den beiden Maestros Darius Keeler und Danny Griffiths hinter ihren Synthesizern flankiert, während sich die weiteren Musiker hauptsächlich im Halbschatten des hinteren Bühnenbereiches aufhielten. So setzte das Londoner Kollektiv insbesondere in der ersten ViertelStunde auf hochenergetische Stücke. Schon mit dem Opener, der vom aktuellen Album stammenden Nummer ‘Mr. Daisy’ heizten Archive dem Publikum ordentlich ein, bevor sie mit den beiden früheren Singles ‘Sane’ und ‘Bullets’ die Stimmung zum brodeln brachten.
Dass es in diesem Tempo nicht weitergehen würde, war absehbar. Nicht weil Band und Publikum dies eventuell nicht durchgestanden hätten, sondern vielmehr wegen des stilistisch so abwechslungsreichen Backkataloges. So folgte mit ‘Vice’, der aktuelle Single der Briten (zu finden auf der gerade erst erschienenen Deluxe Edition von “Call To Arms & Angels”), ein Stück das eher bedächtig daherkam und mit seinem Rhythmus an die Anfangstage der Band erinnerte und kaum kontrastreicher zu der anschließenden zehnminütigen Achterbahnfahrt namens ‘Controlloing Crowds’ hätte sein können.
Archive hatten ihr Publikum zu diesem Zeitpunkt voll im Griff, insbesondere auch unsere junge Nachwuchsreporterin, die sich, geschultert, hoch über dem Publikum thronend, völlig verausgabte. Es folgten ‘Conflict’, vom gerne übersehenen “With Us Until You’re Dead”-Album, bei dem Schlagzeuger Smiley glänzen durfte, und das Massive-Attack-artige ‘Daytime Coma’, welches trance-artige Zustände auslöste. Zu viel für die kleine ФилиФиш, die hiernach konditionell am Ende war und sich übermüdet in den hinteren Teil der Halle zurückziehen musste.
So konnten dann nur noch unsere Ohren Zeuge davon werden, wie Lisa Mottram erstmals die Bühne betrat und eine herzergreifende Version der Piano-Ballade ‘Surrounded By Ghosts’ stimmlich zum Besten gab. Es war das letzte Stück, das wir in Gänze genießen konnten, denn beim brandneuen, vom Soundtrack zum Netflix-Film “Voleuses” stammenden ‘The Skies Collapsing Onto Us’ verließen wir bereits die Halle. Der kleinen Nachwuchsreporterin war das bereits erlebte vollkommen genug gewesen. Glücklich über einen wundervollen Abend sahen wir über das Verpasste hinweg und fuhren frühzeitig nach Hause. Mehr wäre in diesem Falle wohl weniger gewesen.
Fotos: Prog In Focus
Support: Nachwuchs-Reporterin ФилиФиш & Andreas Mosig
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“Super8” (2023)
“Call To Arms & Angels” (2022)
“Versions: Remixed” (2020)
“Versions” (2020)
“25” (2019)
Interviews:
Darius Keeler About “Call To Arms & Angels”, Genres, Influences & Red Lines (2022)
Darius Keeler über “Call To Arms & Angels”, Genres, Einflüsse und Rote Linien (2022)
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31.10.19, Köln, E-Werk
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Venue: Schlachthof Wiesbaden