Conny Ochs – Wahn und Sinn

Conny Ochs - Wahn und Sinn (Exile on Mainstream Records, 20.10.2023) COVER(38:15, LP+CD, CD+Buch, Digital; Exile On Mainstream, 2022)
Geständnis: Bis auf seltene Ausnahmen fremdelt der Herr Germanist mit Rock, Prog Rock gar, der mit deutschen Texten daherkommt. Erste Überraschung: Das war hier vom ersten Tönchen an so gar nicht der Fall, im Gegenteil. Zweite Überraschung: SO etwas kommt auf Exile On Mainstream raus? Der dritte Augen- und Ohrenöffner: Fern davon ein reiner Pop-Barde zu sein, hat der Hallenser Ochs jede Menge Rock Credibility vorzuweisen. So hat er beispielsweise auf der Corona- also Online-Ausgabe 2020 des Roadburn Festivals gespielt – und dort kennt man sich mit abenteuerlich guter Musik wahrlich aus! Und er hat gleich zwei Alben mit Scott “Wino” Weinrich (u.a. The Obsessed, Spirit Caravan, St. Vitus) aufgenommen: “Heavy Kingdom”, 2012 und “Freedom Conspiracy”, 2015.

“Wahn und Sinn” ist allerdings schon etwas anders gelagert: “Während der Corona-Lockdowns fand Conny Ochs die Zeit, eine Sammlung von Notizbüchern durchzugehen, die er in seiner Zeit in Hamburg, Berlin und auf Reisen als Sänger in verschiedenen Bands gesammelt hatte.” Conny schreibt dazu selbst:

“Ich hatte immer das Gefühl, dass es in diesen Texten eine Art Verbindung zwischen meiner Zeit als Bandmitglied und dem Moment gab, als meine Solo-Reise begann, der Veröffentlichung von “Raw Love Songs” und meiner Begegnung mit Andreas von EOM und mit Scott. Ich hatte das Gefühl einer Art Vorher und Nachher, und ich wollte dem Vorher seinen Platz in der Geschichte geben.” Die Idee, ausgewählte Gedichte als Buch zu veröffentlichen wurde zur Herzensangelegenheit. “Ich hoffe, es kann die Reise veranschaulichen, die ich damals gemacht habe und die zu den Liedern und Lebensentscheidungen führte, die ich später getroffen habe. Für mich ist das durchaus kathartisch, aber ich habe versucht eine Dynamik zu finden, die dem Buch sein eigenes Recht gibt, eine Sammlung von Geschichten, Gedanken und Ideen zu sein.”
Zunächst sollte der Gedichtband “Wahn und Sinn” eigenständig veröffentlicht werden. Es begann sich aber bereits eine neue Idee zu entwickeln: “Ich hatte einige neue Texte auf Deutsch geschrieben, während ich mit den Notizbüchern arbeitete.”

Instrumental mitgewirkt und auch gleich vorproduziert hat übrigens der wunderbare Tobias Vethake alias “Sicker Man”.

‘Turin’ beginnt denn auch enorm stimmungsvoll (und zunächst trügerisch leise) mit einem sehnsuchtsvollen, gestrichen auf dem Cello gespielten Motiv, gefolgt von E-Piano (nehme ich jedenfalls an). Während der Hörer versucht zu begreifen, warum die titelnde Fiat-Stadt hier mit “Wenn Du so schwarz bist…” besungen wird, übernimmt Tobias’ Cello fast wie bei Ramin Djawadis Game of Thrones-Soundtracks sogar die kräftige Führung. Dies macht, neben dem effektvollen Aufbau in Wellen und der warmen, sanft tragenden und ausdrucksvollen Stimme von Ochs schon den Aufmacher zu einem ganz besonderen – und, siehe oben – mit Vorurteilen kurzen Prozess machenden Erlebnis.

‘Risse’ bringt weitere Spannung durch E-Gitarren (?) ins Spiel. Persönliches Highlight des Albums ist aber das mit einer unwiderstehlichen Melodie gesegnete, tief traurige ‘Ding’ (der Unmöglichkeit), dessen Text/Gedicht ebenso den in der Beschreibung solcher Dinge (wie im Dreck zu liegen) nicht unerfahrenen Heinrich Heine wie Kurt Tucholsky sicher gefallen hätte.

Das auf sehr persönliche Art sozialkritische ‘Hickhack’ hingegen führt schön vor Ohren, wie viel Perkussion der deutschen Sprache innewohnen kann. Jedenfalls wenn man so damit umgehen kann wie dieser singende Poet. Außerdem scheinen hier die Posaunen von Jericho am Start zu sein. Alles ein wenig unter Vorbehalt. Denn erstens lagen uns keine Musician’s Credits vor. Und zweitens klingt hier alles so originell und teils auch progressiv verfremdet, dass man sich mit dem Erkennen von Instrumenten etwas schwerer als sonst tut.

Doch Tobias hilft uns freundlicherweise aus dieser Patsche:

“Also ich hab gespielt: Cello, E-Cello, Gitarre, Synthesizer und teilweise Klavier und Drums.
Conny neben den Vocals noch Gitarre, Bass und Klavier.
Und Hannes dann auch nochmal Gitarre und Bass.”

Also doch keine Posaunen von Jericho…

‘Welle’ ist ein instrumentales Zwischenspiel, bei dem man darauf hätte kommen können, dass hier der Sicker Man am Start ist. ‘Grimassen’ konfrontiert den Hörer mit ordentlich gruseligen Metaphern und Wortspielen.

‘Melancholia’ bildet den persönlichen zweiten Höhepunkt – allein schon, weil es sich wieder um einen kapitalen Ohrwurm handelt. Der mit an das phantastische Echo Collective erinnerndem Cellospiel verweht…

Teapot of the Week
“Teapot of the Week” auf Betreutes Proggen in der KW42/2023

Nun nochmal zu Dir, lieber Waschzettel:
Das Album “… erscheint als LP mit beigelegter CD, das Buch wird ebenfalls als limitierte Version mit beigelegter CD auf den Konzerten des Künstlers erhältlich sein (uns lag eine Promo-CD vor). Das Buch und das dem Album beigelegte Insert enthalten alle Texte in deutscher sowie englischer Sprache.
Außerdem auf dem Album zu hören ist Connys langjähriger Freund und Weggefährte Hannes Scheffler, der außerdem die finale Produktion, Mix und Mastering der Platte übernahm, sowie Anna Ochs als Sängerin beim Track ‘Lumos’.”
Bewertung: 13/15 Punkten

PS: Nächstes Jahr soll bereits ein weiteres Album folgen!


Surftipps zu Conny Ochs:
Homepage
Facebook
Instagram
Bandcamp
Soundcloud
Spotify
Deezer
Apple Music
last.fm

Rezension Trialogos – Stroh zu Gold

Abbildungen:
Abi Salvesen – Artwork
Pietro Bondi – Porträtfoto
Conny Ochs / EOMR – General Copyright