proken – Dividing Times + Nachgehakt

(57:25, Digital, Eigenveröffentlichung/SevenUs, 25.08.2023)
Trotz des leicht ramponiert klingenden Wortspiels im Bandnamen ist das Credo dieser Münchner Band: Die Musik darf gerne anstrengend zu spielen sein, soll aber den Hörer nie anstrengen. Mission accomplished: Dieses Debüt (von durchaus erfahrenen Musikern, u.a. bekannt und beliebt von Wayward oder Chandelier) läuft fast (dazu gleich mehr) ohne Haken und Ösen einfach gut rein und sollte jeden Freund derartiger Kost erfreuen können.

Ösen? Ausgerechnet der Aufmacher ‘Justice Day’ “hakt” zumindest beim Rezensenten noch am ehesten. Die Stimme von Mark Tobler klingt hier ein wenig angestrengt – und der “Kunstgriff”, dass beim Refrain die Worte im Hintergrund (ebenfalls von Mark) wie ein Echo bzw. Muppets-Show-Chor wiederholt werden, wirkt ein wenig klischeehaft.

Damit versöhnt aber schnell das straffe, Orgel-getriebene Geriffe von ‘Dependence’. Oder das rhythmisch hoch interessante ‘Tomorrow Is Now’, bei dem für Freunde analoger Keyboardsounds mit Flügel, Strings Ensemble und fett röhrender Orgel einiges gebacken ist – inklusive geschmackvollem Synthesizer-Solo. Auch der von akustischer Gitarre eingeleitete Part mit fast authentisch weiblich klingendem Hintergrundgesang (es ist aber Mark) hat es in sich, vor allem melodisch. Das folgende Gitarrensolo mit einem kurzen “Twin Leads”-Häppchen erst recht. Lecker.

‘Show Me The Way’ startet wie ein guter alter Savatage Song, kann dieses Alpengipfel-Niveau vielleicht im Folgenden nicht ganz halten, aber der Kontrast zwischen hart riffenden Gitarren, Gesangsmelodie und überwiegend durchlaufender Flügelbegleitung bleibt durchgehend sehr reizvoll. Und würde vermutlich noch erheblich schärfer wirken, wenn Bass und Schlagzeug im Mix hier wie beim Rest des Albums alles andere nicht überragen bzw. übertönen würden.

‘Broken Dreams’ (hätte das nicht ‘Proken Dreams’ heißen sollen? ;-)) ist eines der ersten Highlights. Das fängt mit dem raffinierten Interagieren zwischen Toms und Tasten im Intro der ersten Takte an und wird mit dem augenzwinkernd zu karibischen Rhythmen wechselnden Intro 2 noch begeisternder. Der Song selbst wirkt zunächst sehr viel konservativer als seine beiden Einleitungen. Das aber auch nur, bis extrem funky wirkende Breaks einsetzen und auf die Zeile “She will show you the way to the top” ein sich Robert-Plant-mäßig in extreme Höhen ziehender Schrei folgt. Die Krönung ist dann das Finale mit mehreren elegischen Gitarrensoli (und Strings im Hintergrund) – Michael Romeo ick hör Dir trapsen.

Zum Höhepunkt der Scheibe: ‘Yesterday’s Mood’ (proken’s ‘Mood For A Day’?) ist eine zweiminütige sehnsüchtige und doch dynamische Piano-Einführung, von der man sich auch gut 20 Minuten geben könnte (Michael Pinella, ick hör Dir die Finger fliegen lassen). Einführung für? Für ‘Modern World’, das Sahnestück der Platte, u.a. aufgrund der starken, Hit-verdächtigen Melodien von Strophe und Refrain sowie den aparten Kansas-Anspielungen im Keyboard-Spiel.

Die überwiegend deutlich sozial- bzw. gesellschaftskritischen Texte von Mark runden dieses beeindruckend reife, einfach gelungene Debüt ab.
Bewertung: 12/15 Punkten

PS: Das Release Concert zum Album gibt es am 29.09. im MCM zu München!


Nachgehakt bei Benedikt Horsthemke:


Am allerbesten finde ich Euch, wenn Ihr Euch was traut. Es gibt hier einige recht vertrackte und verspielte Momente – und das sind für mich auch die Highlights (Der Beat und die Phrasierung von ‘Tomorrow Is Now’. Der Robert-Plant-Schrei auf ‘Broken Dreams’ etc.)
Anders herum: Noch stärker hätte ich gefunden, wenn das nicht nur Momente geblieben wären.

Das ist interessant. Ich kann mir vorstellen, dass manche aus meiner Sicht auch sehr verspielte bzw. proggige Elemente nicht als solche wirken, weil wir sie nicht so heraus stellen, also musikalisch gar nicht so explizit darauf hinweisen (getreu unserem Motto, “Die Musik darf für die Musiker anstrengend sein, aber nicht für die Hörer”).
So ist ‘Modern World’ vom Start weg in einem 15/16 Takt gehalten (der sich erst im Refrain zum 4/4 auflöst). Das hört man aber so nicht, es klingt nur ein bisschen getriebener als ein 4/4.

Aber noch ein zwei “Abgeher” mehr in Richtung Metal und/oder Prog hätten den beschriebenen Eindruck vermutlich verhindert. Das Savatage-Intro zu ‘broken dreams’ z. B. – herrlich.
Aber der Song geht nicht so weiter…

Ja, das ist tatsächlich so.
Was mir zu ‘Broken Dreams’ übrigens noch einfällt, weil es mir so gut gefällt, ist das Schlagzeug-/Bass-Solo. Ich hatte ursprünglich den Gedanken, dass wir etwas im Stil der Live-Aufnahme von ‘Take Five’ spielen. Also ein Ostinato-Piano im Hintergrund und darüber ein Schlagzeugsolo, alles auf einem krummen Takt (bei uns 7/4). Der nimmt dann allerdings eine andere Wendung. Das live zu spielen ist übrigens echt herausfordernd!

Deine vorherige Band (mit einigen Überlappungen zu proken) hieß Wayward. Auf “Dividing Times” spielst Du einige “Violinen”-Parts, bei denen man auf Ideen kommen könnte. Was bedeutet Dir/Euch Kansas?

Ich denke, da merkt man die musikalische Sozialisation (lacht).
Sehr konkret war das bei mir bei ‘Show Me The Way’. Da hatte ich bei dem Einschub, wo Mark “Aiming higher…” singt, so etwa ab 0:40, genau eine Kansas-Stil-Idee im Ohr (nämlich den Gesangs-Klavier-Zwischenteil von ‘Got to Rock on’, bei “The sun Beats down upon me…”.) Dessen Qualität haben wir da sicherlich nicht erreicht, aber das war immerhin die Inspiration…

In den 45 Jahren, die ich die Freude habe, Dich zu kennen, hast Du immer wieder eigene Klaviersolomusik geschrieben und gespielt – teils an Keith Jarrett, teils an den Beatles angelehnt, immer sehr originell. Und hast fast immer in Bands gespielt. Gab es je den Gedanken, auch das Solomaterial mal einem breiteren Publikum zugänglich zu machen?

Wir beide hatten ja mal gemeinsam die Idee, und parallel dazu auch gleich ein ausgereiftes Marketing-Konzept entworfen, wie man entspannende Klaviermusik als Einschlafhilfe vertreiben könnte. Das Aufnehmen dieser so träge dahin fließenden Musik fand ich dann allerdings derart langweilig, dass ich das Projekt abgebrochen habe. Aber nach dieser freundlichen Frage werde ich nochmal darüber nachdenken, etwas interessantere Klaviermusik aufzunehmen.

Thx, I’ll take your word for it!

Line-up:
Mark Tobler: Gesang
António Lima: Gitarre
Tom Jarzina: Schlagzeug
Toni Edlbauer: Bass
Benedikt Horsthemke: Tasteninstrumente
Mike Piccolavia: Gitarre

Surftipps zu proken:
Homepage
Facebook
Instagram
YouTube
Spotify
Amazon
Apple Music
last.fm

Abbildungen mit freundlicher Genehmigung: proken / SevenUs