Day 1: 23.06.23, No Sleep Till Valkenburg
Nun ja, vielleicht doch ein klein wenig übertrieben, diese Überschrift. Fakt ist aber, dass es in dem Bemühen, den Bericht zu unserem letzten gemeinsamen (Roadburn) noch vor der Abfahrt zum aktuellen Festival online zu bringen, arbeitsreich und vor allem stressig wurde, inklusive plötzlich verschwundener Daten. Die aber mit viel Glück wieder hergestellt werden konnten. Aufregung und Nachtschichten also, die nun wirklich keiner braucht.
Doch das erneut (bei einer Kapazität von max. 1.000 Sitzplätzen) ausverkaufte Midsummer Prog (MSP) Festival im wunderschönen Valkenburg aan de Geul und seinem zauberhaften Amphitheater erwies sich auch mit seiner bereits vierten Ausgabe als prächtiges Gegengift gegen solche und andere Stressoren.
Cobra The Impaler
Zu dieser Entschleunigung trug eine angenehm verlaufende Anfahrt und die fußläufige Unterbringung in einem katzenreichen Hotel ebenso bei wie der Umstand, dass man die meisten der auftretenden Bands bereits, teils vielfach, teils sogar kürzlich gesehen hatte. Im Falle von Cobra The Impaler z. B. beim Prognosis Festival 2022. Doch der melodische Hard Rock bis Heavy Metal der Belgier nahm nicht nur den Rest des noch nicht ganz vollbesetzten Auditoriums im Sturm. Sondern auch uns. Weil der Auftritt so viel besser, selbstbewusster und leidenschaftlicher als in Eindhoven ‘rüberkam.
Die früh Erschienenen rasteten endgültig aus, als Gitarrist James Falck (auch: Bear) sich solierend von der Bühne in die steil aufsteigenden Sitzreihen verfügte.
Meer
Mit den ersten Tönen seitens der Redaktionslieblinge (und das nicht erst seit ihrem gefeierten Auftritt beim PPE 2022) Meer war der Brassel der vorangegangen Tage endgültig weggespült. Um uns da mal selbst zu recyceln: “Auf Meer konnten sich am Ende irgendwie alle Familienmitglieder einigen. Kein Wunder. Wo diese bezaubernde, melodieselige Musik auf Platte schon verzaubert, kommt live noch die wunderbare Ausstrahlung der Musiker hinzu.”
Die Live-Premiere des flammenneuen Songs ‘Today Tonight Tomorrow’, während sich Hakens Ross (natürlich ohne jede Security) ein Bier kaufen ging, war da nur noch die Schaumkrone auf einer beseligenden Welle. Und nicht nur für uns, Sängerin Joanna verlor gut sichtbar den Kampf gegen Tränen der Bewegung anlässlich der stehenden Ovationen, die der Band lange gezollt wurden.
Frost*
Nun aber endlich eine Live-Premiere für uns, nämlich das All-Star-Format Frost*, bestehend aus Jem Godfrey (vocals, keys), John Mitchell (vocals, guitars), Nathan King (bass, vocals) und Craig Blundell (drums). Der Effekt war allerdings über weite Strecken des Konzerts mehr Frosta als Frost*, da es ausgerechnet jetzt massive Soundprobleme gab: Johns Edelstimme erschien VIEL zu leise, das leicht schepperig klingende Schlagzeug des extra für diesen Auftritt von der aktuellen Steve-Hackett-Tour eingeflogenen Craig viel zu laut im Mix. Und das blieb fast den ganzen Auftritt lang so.
Versöhnlich hingegen: es war Johns 50. Geburtstag, das Publikum gratulierte nach Kräften. Zum auch quantitativen Höhepunkt des soundgeschädigten Gigs geriet dennoch die vollständige Aufführung des Longtracks ‘Milliontown’ vom gleichnamigen Debüt aus 2007. Für ‘Repeat To Fade’ durften Frost* sogar etwas überziehen.
Haken
Die Schelme von Haken hatten ihr aktuelles Album “Fauna” zum Anlass genommen, sich sämtlich in quietschbunten David-Lindley-Shirts zu uniformieren. Was natürlich auch nicht ohne “tierische” Auswirkungen auf die Setlist blieb.
Beispielsweise ‘Lovebite’ wurde so ironisch-poppig dargeboten, dass es im Publikum reihenweise lustige Tanzeinlagen provozierte. Bei den fünf Teilen vom ‘Messiah Complex’ war dann aber wieder Schluss mit lustig – nomen est omen.
Und Schluss mit dem gelungenen ersten Festivaltag.
Day 2: 24.06.23, tolles Festival mit (einem) Haken
Um diesen Haken dann auch gleich abzuhaken: Das Thema Catering blieb wie schon in den Vorjahren problematisch. Um überhaupt irgendetwas Essbares zu ergattern, sind 45 bis 60 Minuten einzuplanen. Und das dann mühselig Erstandene sind dann z. B. ungare Fritten. Trotzdem gönnt man sich hier den Luxus, solche Leibeswonnen für ca. 900 Menschen an nur einem Verkaufsstand am obersten Rang des Geländes auszuhändigen – die Theke direkt daneben bleibt den Durstigen vorbehalten. Und das, obwohl der Getränkeverkauf am zentralen Tresen unten neben der Bühne eigentlich prächtig – mit übrigens weiterhin exquisiter Auswahl – und ohne nennenswerte Schlangenbildung läuft. Naja, kein Wunder, dass man sich nach solchen mehrfach gemachten Erfahrungen dann doch lieber gleich außerhalb des Festivalgeländes versorgt – attraktive Möglichkeiten gibt es viele, für feste wie flüssige Stärkungen.
Das aber war es dann auch schon fast mit den Kritikpunkten (Naja, den noch: Limited Edition Festival Shirts sind schön. Noch schöner – und mindestens ebenso werbeträchtig – wäre ein richtiges Wristband für die Besucher statt einem aus Papier, das kaum die nächste Dusche übersteht). Wie auch immer – dem Festival ist der organisatorische “Sprung” auf zwei Tage exzellent gelungen, alles Nicht-Kulinarische läuft wie am Schnürchen. Freundliche und effektive (d.h.: praktisch unsichtbare Security). Das rein elektronische Bezahlen funktioniert (allerdings spricht auch niemand mehr vom Einlösen der bei treuen Festivalbesuchern in teils nennenswerter Zahl vorhandenen Wertmarken der Vorjahre…).
Doch weiter im Geschehen… 12:00 “Doors” gab nach dem Frühstück komfortabel Raum, um das wirklich sehenswerte Valkenburg, in dem an diesem herrlichen Mittsommertag parallel noch ein Radrennen stattfand, ausgiebig zu erkunden.
The Windmill
Ab 12:30 Uhr gehört die Aufmerksamkeit allerdings (kurzzeitig) The Windmill, einer norwegischen Neo-Prog-Formation, die wir bislang noch überhaupt nicht auf dem Zettel hatten. Das rhythmisch wie vor allem melodisch irgendwie an ‘A Taste Of Honey’ erinnernde instrumentale Intro vom Band war ja noch ungemein mitreißend. Das folgende Material wie ‘The Gamer’ der lustig (u.a. mit Kapitänsmützen) verkleideten Truppe wurde als Mix aus Zuckerschock-Kitsch (der Gesang) und aus teils starken Soli (Lead Gitarre, Piano, Orgel, Querflöte, Saxophon) erlebt. Muss man für sein…
Interessant waren jedenfalls zahlreiche “Beinahe”-Zitate, da wehten z. B. Camel, Deep Purple und Psychotic Waltz (‘I Remember’) kurz vorbei. Und geswingt hat es auch mal kurz erheblich.
Kingcrow
14:00 Uhr, Kingcrow heben ab. Die Römer um Diego Marchesi agieren wie immer liebenswürdig, ihre stets melodische Spielart von Prog Metal passt auch ausgezeichnet zu diesem Festival-Format. Trotzdem blieb der Auftritt irgendwie harmlos, offerierte aber ebenfalls eine Live-Premiere, nämlich das mit einem heftig zerrenden Bass-Intro eingeleitete ‘Kintsugi’.
The Dear Hunter
Der ab 15:45 Uhr auf uns niedergehende Auftritt von The Dear Hunter war eine der Hauptmotivationen des Autors für den diesjährigen MSP-Besuch gewesen. Und das hat sich auch bewährt, tatsächlich wären die sogar mein Headliner gewesen. Der Auftritt der Amis um Casey Crescenzo kam langsam, aber gewaltig. Und dabei waren die Jäger so unglaublich freundlich und bescheiden: “You don’t have to be here. Thank you for not takin’ a break”. Es schloss sich eine zauberische, unendlich (teils fast beatlesk) melodische musikalische Reise an, die bisweilen an die genialen Ir(r)en M-Opus erinnerte.
Von Hertzen Brothers
Bei den von uns wirklich heiß geliebten Von Hertzen Brothers wussten wir dank dem PPE-Auftritt 2022 schon ziemlich genau, dass uns nun das nächste Highlight erwartete. Noch’n Recycling: “Der ultraflache Spruch ist leider unvermeidlich: den finnischen seit 22 Jahren gemeinsam musizierenden Gebrüdern Mikko, Kie und Jonne plus Verstärkung flogen vom ersten Augenblick ihres Auftritts spürbar praktische alle Hertzen zu.”
Relativ stark abweichend von der zum Zeitpunkt dieser Textabfassung noch online befindlichen Darstellung auf setlist.fm (s.u.) war uns übrigens noch ‘Day Of Reckoning’, ‘The Promise’ sowie ‘Northern Lights’ vom überwiegend akustischen Album “Read Alert In The Blue Forest” positiv aufgefallen.
Airbag
Beim nun folgenden Co-Headliner Airbag war bemerkenswert, dass es während der Stücke selbst kaum beobachtbare oder auch vernehmbare Pulikumsreaktionen auf das Treiben von Bjørn Riis> & Co. gab. Nach dem jeweiligen Ende der Stücke aber wurde dennoch üppig Beifall gezollt – vermutlich sind die Musiker diese quasi etwas verzögerte Wirkung ihrer ultramelodischen, ruhig vor sich hin schluchzenden Musik aber auch gewohnt. Alle drei Teile von ‘Homesick’ gaben den an diesem Effekt auch nichts mehr ändernden Abschluss.
Riverside
Nennenswerte Wirkung der Lightshow hatten aufgrund einbrechender Dunkelheit an einem der längsten Tage des Jahres nur die unverwüstlichen Riverside, (zuletzt vor neun Monaten gesehen). Die Polen agierten abermals souverän und überzeugend, von ‘Addicted’ bis zu den Zugaben ‘Self Aware’ (knackig) und ‘Conceiving You’ als melancholisch-schöner Rausschmeißer.
Bleibt uns nur noch auf die nächstjährige Veranstaltung zu verweisen, same beautiful place, 28.-29.06.2024, Tickets gibt es hier.
Live-Fotos: Prog in Focus (flohfish)
Randszenen: Klaus
Surftipps zum Festival:
Festivalbericht 2023, Ed- 4
Homepage MSP Festival
Facebook MSP Festival
MSP-Veranstalter Ingo Dassen, Lesoir und Booker der Muziekgieterij, Maastricht
MSP-Veranstalter Rob Palmen, Glassville Music
Venue (Wikipedia)
Festivalbericht 2019, Ed. 3
Festivalbericht 2018, Ed. 2
Festivalbericht 2017, Ed. 1