Es war das 16. Mal, dass die Progressive-Gemeinde sich für ein dreitägiges Festival in Deutz (früher Ehrenfeld, d. Schlussred.) versammelte. Auf keinem anderem Festival sind die Stars so nah (PPE?!? D. Schlussred.). Ob es die Weltstars von Dirty Loops sind oder ein Virgil Donati. Jeder steht mal mindestens nach der Show mitten in der Festival-Gemeinde, um für einen lockeren Plausch da zu sein, oder hektisch sein Equipment zu verstauen.
Das Euroblast ist längst eine Institution. Da geht es natürlich sehr stark um Musik, die abwechslungsreicher kaum sein kann, aber auch um das Zusammensein, das Sich-Kennenlernen. Wer denkt, es würde keine Rolle spielen, was man vorne auf der Brust hat, ist z.b. noch nicht mit einem Allan-Holdsworth-T-Shirt herumgelaufen. Die Sympathien, die einen da entgegen gebracht werden, sind schon herzerwärmend. Sah man dieses Jahr viele HLB- und Vildhjarta-Shirts, verwunderte dies auch nicht, weil sie beide quasi das Hauptprogramm des Festivals bestritten. Ansonsten ist der Facettenreichtum bei Bands und Publikum grenzenlos. Und das sollte sich auch dieses Jahr auf wundersame Weise wieder bestätigen.
Aufgeteilt wie immer in der Essigfabrik spielen die bekannteren Bands oben im großen Saal, wobei die vielversprechenden neuen Bands unten im Keller, in der Elektroküche auftreten.
Day 1: 30.09.22
Koj
Ein sehr entspannter Einstieg in das Festival. Sphärische, wummernde Bässe, die die Grundmauern erschüttern ließen. Das war eindeutig Musik von einem anderen Stern. Und sicher ein hervorragender Einstieg in das Festival.
Unprocessed
Vor der Show von Unprocessed trafen sich Betreuer Gilles und Fotograf Chris zu einem Gespräch. Lest das Interview dazu hier. Nach dem interessanten Gespräch war man natürlich gespannt, wie sich die Wiesbadener live schlagen würden. Zu Beginn sei gesagt, der Sound war “schwierig”. Doch durch die poppigen Einlagen gab es immer wieder sehr angenehme und klangliche Abwechslungen, die deutlich besser zu identifizieren waren als die Metal-/Rock-Einlagen. Es war aber eine enorm energiegeladene Performance. Alle Beteiligten waren sehr agil auf der Bühne, doch gingen durch den etwas brüllenden Sound die Nuancen verloren.
White Ward
Dann ging es das erste Mal in den Keller, um die ukrainischen Schwarzmetaller White Ward zu hören. Da brauchte man aber starke Nerven. Die Lautstärke im Keller war ohrenbetäubend. Der Schmerz, der förmlich aus den Boxen strömte, bedurfte schon eines dicken Fells. In Anbetracht der Situation im Heimatland auch mehr als verständlich. Und vor allem: Passend. Vielleicht war es auch genau dieser Zusammenhang, der den Auftritt der Vier zu einem sehr intensivem Erlebnis werden lies.
Nero Di Marte
Plini
Der Headliner des ersten Tages war Plini, der im Anschluss mit Unprocessed auf Tour war. Für viele Zuschauer möglicherweise ein Überraschungsgast, da die Musik von Plini zwar nicht komplett instrumental gehalten ist, aber auch eher als Jazz Rock bezeichnet werden kann. Das war für viele vielleicht auch eine ersehnte Abwechslung, wenn man zuvor bei White Ward im Keller gewesen war.
Der Sound war exzeptionell. In wirklich jeder Ecke der großen Halle, waren feinste Nuancen des Hi-Hat-Spiels des Drummers klar zu identifizieren. Entsprechend waren Synthis und Gitarren hervorragend zu hören. Ob es von den Bands nun abhängt, wie gut sie sich mit den räumlichen Gegebenheiten arrangieren, oder ob es vollkommen in der Hand der Mischer am FOH liegt, bleibt für den Betreuer im Unklaren.
Day 2: 01.10.22
Der zweite Tag begann bei leicht bewölktem, herbstlichen Wetter. Es sollten einem aber noch die Sonne und die Hölle erscheinen. Zum “Aufwärmen” begaben sich die Betreuer zunächst in die große Halle, auch weil dort mittags am Bierstand noch gähnende Leere herrscht.
Masuria
Stimmungsmässig ein absolutes Highlight des Tages direkt zum Einstieg. Man könnte es tatsächlich als “Gute-Laune-Death-Metal” bezeichnen. Die Kölner gaben so richtig Gas und man fühlte sich ein wenig an die “good old friendly violent fun”-Zeit aus den 90er erinnert, als Bands wie Exodus, Forbidden und Death Angel für eine ganz neue, erfrischende Art von Fun-Mit-Metal gesorgt haben. Die Zuschauer liebten es.
Cold Night For Alligators
Als nächstes Stand ein Interview mit Cold Night For Alligators auf dem Programm, das ihr hier nachlesen könnt. Der Sound bei der anschließend stattfindenden Show war klasse. Alles war deutlich und klar zu identifizieren. Das Programm bestand hauptsächlich aus neuerem Material vom “The Hindsight Note” Album. Und man hatte berechtigterweise den Eindruck, dass sich alles um den Gesang herum orientierte. Was auch genau so gewollt war. Eine herrlich melancholische Stimmung.
Obsidious
Humanity’s Last Breath
Während es zum Zeitpunkt von CNFAs Auftritt noch die Sonne schien, war von dem Glanz nichts mehr zu sehen, denn die Ritter der Verdammnis von Humanity’s Last Breath betraten nun die Bühne. Auf diesen Auftritt haben viele gewartet, entsprechende knisternd war die Atmosphäre. Der Hauptteil des Programms waren Songs vom aktuellem Album “Välde”. Und auch wenn kein Bassist auf der Bühne war, beschwerte sich vermutlich niemand im gesamten rechtsrheinischen Kölner Raum über mangelnden Druck. Das war Sound-mäßig eine urmächtige Dampfwalze, die über die Trommelfelle der Zuhörer gezogen wurde. Während man im hinteren Bereich der Halle versuchte, möglichst nah mit dem Rücken zur Wand zu stehen, um nicht umgepustet zu werden, gab es in den vorderen Reihen kein Halten mehr. Die Stimmung war prächtig. Songs wie ‘Earthless’ entfalteten gerade live noch mal einen ganz neuen Aspekt, vielleicht auch gerade wegen der Lautstärke. Und für jeden der glaubt, weil die Musik so progressiv ist, würden live nur ein paar Brillenträger andächtig mit dem Kopf nicken, dem sei ein Besuch bei einer HLB-Show wärmstens empfohlen.
Dirty Loops
Physisch war man nach dem Tag bereits recht angeschlagen. Was sollte dieses Programm noch toppen? Na klar, eine Jazz-Rock-Band aus Schweden, die ursprünglich durch Ü-Raum-Youtube-Videos auf sich aufmerksam gemacht hatten, bevor sie auf der ganzen Welt aufgetreten sind. Dirty Loops waren genau der richtige Gegenpol zu dem infernalischen Brutalst-Metal von HLB. Und: Die Zuschauer feierten den agilen, pfiffigen Jazz Pop/Rock frenetisch ab. Es wurde mitgesungen und getanzt. Den Nacken konnte ja auch niemand mehr bewegen.
Und in so einem Moment der allgemeinen Freude und Euphorie merkte man am besten, dass das Konzept vom Euroblast aufging. Viel mehr: Das war genau die Art von Bands und Abwechslung, nach der sich ein beträchtlicher Teil des ausverkauften Euroblast gesehnt hatten. Natürlich ist es schön, wenn man mal auf ein “Rock”-, ein “Metal”- oder “Jazz”-Konzert geht. Aber das Euroblast Festival ist ein Festival für “Musik”. Und da spielt die Richtung, das Genre absolut keine Rolle. Das war vermutlich an keinem Tag besser zu erfahren als an diesem.
Master Boot Record
Day 3: 02.10.22
Die Anfahrt zum dritten Tag des Festivals fiel Betreuer Gilles sehr leicht, denn heute sollten Vildhjarta spielen. Auch wenn das Wetter etwas trist war, die Stimmung am Einlass war schon fast familiär.
Hippotraktor
Das erste Bier wurde vor Angst direkt auf dem frischen T-Shirt verteilt. So ur-böse und infernalisch wurde man am dritten Tag von der Hauptbühne begrüßt. Da die belgischen Hippotraktor für die Betreuer ein noch unbeschriebenes Blatt waren, kam die Musik etwas schwer verdaulich daher. Das eine oder andere fast wie Bluegrass anmutende Intro waren dann ersehntes Balsam für die Gehörgänge. Was für ein Sound!
Destrage
Die nachfolgenden Destrage brachten dann als erste Band des Tages etwas Party-Stimmung in die Halle. Da wurde in bester Scott-Ian-Manier über die Bühne gemosht, da reihten sich die Power-Riffs aneinander und die Temperatur stieg auch entsprechend an. Vergessen war, dass es eigentlich Sonntagmittag in Köln-Deutz war. Für den Betreuer waren Destrage eine schräge Mischung aus Faith No More und good, friendly violent Thrash.
Panzerballett
Dass dann auf einmal ein Virgil Donati völlig unbemerkt mitten auf dem Festival-Gelände steht, das gibt es nur beim Euroblast (vgl. Sir Russel Allen auf dem PPE – not on the billing, d. Schlussred.). Einer der technisch besten Schlagzeuger der Welt im lockeren Sonntagnachmittag-Plausch kurz vor der Show, bei der er Panzerballett begleiten durfte. Und diese bayerischen Frohnaturen brachten dann so richtig Spaß in die Bude. Panzerballett kennen überhaupt keine musikalischen Grenzen. Das war für Zuhörer eine angenehme Herausforderung und fügte sich auch perfekt in das musikalische Bild des Festivals ein. Auffallend war der nahezu perfekte Sound. Wenn der Sound bei Hippotraktor und auch teilweise bei Destrage eher krachend daherkam, war er bei Panzerballett klar, laut und druckvoll.
Khroma
Voyager
Leicht beseelt von der friedlichen Atmosphäre und dem bisher äußerst abwechslungsreichen musikalischen Unterhaltung begab sich Betreuer Gilles in die Halle um eine für ihn zu dem Zeitpunkt unbekannten Band namens Voyager zu besuchen. Der melodische Power Rock der Australier passte hervorragend zur Stimmung und regte zum Mitgrooven ein. Dann aber stieg Daniel “Nephil” Estrin in seine Gesangslinie ein und verzauberte die gesamte Halle. Damit hatte wohl niemand so richtig gerechnet. Es war gefühlt das erste Mal an diesem Tag, dass ein waschechter Sänger die Stimmbänder vibrieren ließ. Und das hatte einen wunderbaren, euphorisierenden Effekt. Niemand hätte zu dem Zeitpunkt gedacht, dass diese Band mal Australien im Finale des Eurovision Song Contest (ESC) vertreten würde. Hatte der Bassist doch fast durchgängig die lustige Taucherbrille aus dem ‘Submarine’-Video auf, lud das rhythmische Wippen von Simone Dow und Scott Kay an den Gitarren zum Mitmachen ein. Es erga sich eine schon fast fröhliche Stimmung im Saal. Die gesamte Band versprühte einen wunderbar schöne Stimmung.
Azure
VOLA
Vildhjarta
Da hatten nun wirklich Viele drauf gewartet. Das ominöse Internet-Phänomen Vildhjarta, noch vor vielen Jahren als infernalisches siebenköpfiges Extrem-Metal-Orchester unterwegs, präsentierte sich als ganz normale Band mit zwei Gitarren, Gesang und einem Buster Odeholm (Humanity’s Last Breath) an den Drums. Ja, richtig an den Drums. Denn das ist eigentlich das Hauptinstrument des schwedischen Multitalents. Das Intro sollte dann auch gleich zeigen, wo die Reise hinging. ‘Kaos2‘ ist da eine sehr gute Wahl mit seinem vielschichtigen Gesang, den immer wieder eingestreuten cleanen, verträumten Gitarren und dem so langgezogenen, nicht enden wollenden zwei-minütigen Outro. Ein ganze Halle in langsam bangender Hypnose. Gespielt wurden Songs vom Album “Masstaden” und dem aktuellem Album “Masstaden under vatten”. Dass die beiden Alben über zehn Jahre auseinanderliegen, merkte man diesem Abend nicht. Als dann das zweite Stück mit ‘Toxin’ folgte, verließen einige wenige die Halle. Diese Musik war so intensiv in brachialer Lautstärke und Intensität, dass es einem schon auch mal zuviel werden konnte. Als mit ‘Dagger’ der Abend beendet wurde, sah man in ein Meer von glücklichen, verschwitzen und erschöpften Gesichtern, die sich zum Ende des Songs wieder in dieser hypnotischen Oberkörper+Bewegung wiederfanden.
Was bleibt ist ein aufrichtiger Dank an alle Menschen, die dafür Sorge tragen, dass dieses Festival stattfindet. Danke!
Weitere Surftipps:
Veranstalter: Euroblast Festival
Venue: Essigfabrik