(56:40; Vinyl, CD, Digital; Warner, 16.06.2023)
Überraschend tauchte mit dem sehr berührenden, aber auch extrem dystopischen, nihilistischen Videoclip zum Song ‘Blóðberg’ die Tage im Netz ein neuer Song der Nordlichter auf und Überraschung auch, ohne viel Aufhebens, zehn Jahre nach ihren letzten Werk “Kveikur” steht mit “Átta” endlich mal wieder neues Studiomaterial der Isländer in den Startlöchern.
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Nach persönlichen, Band-internen Querelen gibt’s zum etwas krachigen, sperrigen Vorgänger den kompletten Gegenentwurf. “Átta” ist durch und durch Sigur Rós, Jonsis magisch-zerbrechlicher Gesang ist der zentrale Pol, die orchestrale emotionale Kraft, das Sigur-Rós-Momentum. Es findet in fast 60 Minuten seine Empfänger, nur diesmal mit anderen musikalischen Mitteln. Fast komplett im Streicher-orchestralen Soundtrack-trifft-Modern-Classical-Gewand mit vielen schwebenden, nichtsdestotrotz sehr intensiven Klang-Kathedralen, drücken die Isländer erneut auf jede emotionale Synapse.
Hat man sich fürs Erste damit arrangiert, dass die typisch sägenden Gitarren, die Wall of Sound, der epische Post-Rock-Moment einem dichten Synthie/Streicher-Film weichen musste, die Stimmung und Atmosphäre einen letztlich trotzdem in allen Fasern greift, die Musik der Isländer ein ewiglicher Gegenentwurf zu allem Weltlichen, Banalen war und ist. Und wer das Glück hatte, die Jungs im Herbst des letzten Jahes live zu erleben, der weiß, es bleibt einfach kein Auge trocken. Tracks wie ‘Skel’ oder ‘Klettur’ sind stellvertretend intensiv, episch, himmelsstürmend, rühren zu Tränen, während ambiente, schwebende Stilleben wie das brüchige ‘Mór’ oder die sehnsüchtigen ‘Ylur’ und ‘Gold’ in ihrer fragilen Verletzlichkeit berühren und ja, es zeigt diese Musik möchte gern im richtigen, speziellen Moment erfahren werden.
“Átta” ist ein in Sehnsucht getränktes Manifest in einer Zeit, in welcher wir alle gefühlt in jeglicher Form dem Chaos entgegen treiben, dem dekadenten Umgang mit unseren Ressourcen keinen Riegel vorschieben wollen, im generellen Umgang innerhalb unserer Spezies immer mehr die Verbindungen verlieren, den Möglichkeiten, es besser zu machen die Einsichten zwar abringen können und trotzdem im rasanten Selbstzerstörer-Modus auf die letzte, umbarmherzige Wand zuzusteuern. “Átta” soll hierfür ein Aufbäumen, ein Gegenentwurf darstellen, ein verzweifelter Ruf nach dem Guten und Wahren. Die für die Band so individuell typische, majestätische Melancholie, das ewige Sehnen in Gesang und Arrangements, welches schon so viele geniale Film-Momente veredeln dürfte, weil es einfach vortrefflichst die Sinne malträtiert, ist kompakt in Sound und Melodie, man kann sich tief sinken lassen, nur bleibt das gewohnte, eruptive Dynamik-Spiel von sonst Drums und Gitarren zugunsten einer durchgehend flächig, sehr synthetisch atmosphärischen Ausrichtung diesmal auf der Strecke.
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Somit bleibt für den Hörer die Band-typische, lieb gewonnene Auflösung/Katharsis, das Spiel mit Leise-Laut auf der Strecke, berührend und aufwühlen wird trotzdem auch dieses neue Album und vielleicht passt diese weniger rockige Seite der Band, der Hang zum Modern Classical/Soundtrack-haften, die Nachdenklichkeit, die Zerbrechlichkeit, die Resignation, aber auch die stille Hoffnung auf Besserung zum aktuellen Status Quo der Band 2023.
Bewertung:12/15 Punkten (RK 12, KS 12)
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Abbildungen: Sigur Rós
Ein Kommentar
Eine wirklich wunderbare Review, die sich der Emotionalität des Albums würdig erweist. Danke dafür!