Octopus – The Lost Tapes

Octopus - The Lost Tapes (Sireena/Broken Silence, 21.07.2023) Cover(36:48, LP, CD; Sireena/Broken Silence, 21.07.2023)
Diese so warme wie packende Stimme zwischen Julie Driscoll und Inga Rumpf. Diese Gitarre mit zauberhaftem Seventies Crunch. Und wie sich die beiden (!) Keyboarder hier die schwindelerregend gespielten Bälle zupassen – wie ein Jam von Beggar’s Opera mit Ekseption. Unglaublich, was das Trüffelschw…, öhm, der Trüffel-Tom von Sireena Records hier wieder mal ausgebuddelt hat.
 
 

Der Hintergrund – der Stoff, aus dem die Band-(Alb-)Träume sind.

“Mitte 1972 gründen Peter Hensel, Claus D. Kniemeyer, Dieter-Paul Becke und Jennifer Hensel die Band Octopus. Alle Mitglieder studieren oder leben zu diesem Zeitpunkt im Studentenwohnheim an der Universität Frankfurt am Main. Werner Littau meldet sich auf eine Anzeige am schwarzen Brett in der Universität Frankfurt im Herbst 1972 und wird Keyboarder von Octopus. Die Band komponiert und erstellt ein Programm von 90 Minuten. Inspiriert von Bands wie Beggar’s Opera, Camel, Yes und anderen Prog-Rock-Band versucht man von Anfang an eine Eigenständigkeit zu entwickeln. Der erste Auftritt findet in Ranstadt bei Frankfurt am 20.11.1973 statt. Im Frühjahr 1974 ergänzt Hans-Paul Sattler die Band mit seinem Mellotron und Fender Rhodes. In den folgenden Monaten in 1974 spielt die Band 25 Auftritte in ganz Deutschland.
(…)
So entscheidet man sich im Sommer 1974 ins Studio zu gehen, um auf einem damals modernen 8-Spur-Recorder eine Musikkassette aufzunehmen. Mit dieser kann Octopus ihren Wirkungsgrad deutlich ausweiten und erarbeitet sich schnell einen festen Platz in der damaligen Prog-Rock-Szene. Diese Kassette gelangt dann 1976 in die Hände von Günther Körber und Sky-Records, der Octopus direkt einen Plattenvertrag anbietet.”

Und ward fürderhin nicht mehr gesehen. Bis sie bzw. eine Kopie davon jetzt von Sängerin Jennifer Kowa (damals noch J. Hensel) auf deren Dachboden gefunden wurde. Die Octopus-Nachlassverwalter Sireena fackelten nicht lange und hier haben wir das gute Stück nun.

Zuerst zum einzig Negativen: Die Aufnahmen auf Schnürsenkeln wurden wohl liebevoll remastered, aber zaubern kann auch ein Tom Redecker nicht. Die Angelegenheit bleibt also stets ein wenig dumpf und wenig feinzeichnend. Davon ab aber pures Entzücken, vom ersten bis zum letzten Stück. ‘Judgement Day’ macht gekonnt den Sack auf. Und könnte – wenn man sich die allgegenwärtigen wuseligen Keyboards weg und Fuzz-Gitarre und vielleicht Papa Creachs Fiddle dazu denkt – auch von den frühen Jefferson Airplane stammen. Obwohl … die selten derartig vielteilig und mit detailverliebten Arrangements gearbeitet haben. Es ging dem Autor also wohl mehr um das Kompliment an sich. Die nebenbei bemerkt auch noch bildhübsche Sängerin zeigt hier schon ihr ganzes Können – kein Wunder, dass die Fama berichtet, dass sie ständig von UK-Bands abgeworben werden sollte.

‘Time In My Hands’ ist purer, krautiger Symphonic Prog – und das noch mit ohrenscheinlichem Humor eingespielt, wenn etwa die einer filigranen Shadows-Gitarre folgenden deftigen Tutti-Läufe jeweils mit einer wie ein “Ätsch!” klingenden Kadenz enden. Und das Ganze von einem unaufhaltsam marschierenden Walking Bass und der Rückkehr der Shadows (bzw. der Quicksilver Messenger Services) gefolgt wird. Als endlich der erste Refrain und Jennifers Stimme mit einem hier fast volksliedhaft-betörenden Thema einsetzen, wurde in diesem Longtrack schon Material präsentiert, das anderen für ein ganzes Album gereicht hätte.

Neues Spiel, neuer Longtrack. Beim ‘The Shadow Of Your Smile’ mit herrlichem Kontrast zwischen melancholischem Refrain und fröhlichen Instrumentalparts haben strahlend aufspielende Orgel und Leadgitarre mal die Oberhand über das sonst etwas präsentere Mellotron.

Die Klassik-Anverwandlung ‘Zipoli’ basiert auf Themen von italienischen Komponisten Domenico Zipoli und ist hauptverantwortlich für die Ekseption-Assoziationen des Schreiberlings bei dieser Band. Allerdings schaut m.E. hier auch Jesus Christ Superstar mal schelmisch um die Ecke.

‘Son Of Sorrow Part I’ ist leider schon der vorletzte Song, dafür aber besonders lang und saftig. Das heftig groovende ‘World Of Cruelty’ stellt schon den grausamen Abschied von einer bezaubernden Entdeckung ab. Doch wofür gibt es die Repeat-Taste?
Bewertung: 12/15 Punkten (Musik: 13, Sound, den Umständen entsprechend so gerade noch: 11)


Line-up:
Jennifer Kowa (née Hensel) – Vocals
Peter Hensel – Guitar
Claus D. Kniemeyer – Bass
Werner Littau – Orgel
Hans-Paul Sattler – Mellotron
Dieter-Paul Becke – Drums

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Abbildungen: Octopus/Sireena