João Orecchia & Sicker Man – Parallax
(43:00, LP, 69:55 CD; blankrecords, 09.06.2022)
Der studierte Cellist Tobias Vethake arbeitet seit 1999 als Komponist für zunächst Werbung, Film und TV-Serien, seit 2004 auch fürs Theater. Das Alter Ego Sicker Man ist nur eines seiner zahlreichen Projekte, aber sicherlich eines der spannendsten, auch und gerade im (wie stets bei uns: im weiteren Sinne) Prog-Kontext erlebt. Und weil er sich hier in besonders spannenden Kooperationen (“XY & Sicker Man”) ergeht.
Das mit João Orecchia entstandene “Parallax” ist definitiv eine solche. Die beiden Musiker fanden sich 2003 durch eine Kleinanzeige in einer Berliner Zeitung – und begannen, gemeinsam damals noch primär auf Tobias‘ Cello und Joãos analogem Elektronik-Instrumentarum basierende Improvisationen auf Club-Bühnen und Aufnahmen zu bannen.
Seither ist viel Wasser die Spree runter geflossen. João zog nach Südafrika und entdeckte die Bass-Klarinette für sich. Das wieder gemeinsam (also nicht nur per File Sharing) aufgenommene “Parallax” bildet diese aktuelle Konstellation ab.
Wir hören, wie ein (vermutlich) Drumcomputer einen langsam marschierenden Groove vorlegt, und wie spacig zwitschernde alte Synthesizer sowie Sequenzer ein atmosphärisches Fundament schaffen. Auftritt der Klarinette mit einem zunächst stoisch wiederholten, aber interessanten Motiv – als Elephant in the room. Und das ist es dann auch im Wesentlichen für die sechs Minuten von ‘A Flowing Blow’ – die Weiterentwicklungen beispielsweise der Klarinetteneinwürfe sind apart, aber minimal und erfordern williges Zuhören und darauf Einlassen.
‘High Brow Low Brow’ ist wesentlich experimenteller und (Free) jazziger. Das dürfte bei manchem Neo-Prog-Jünger schon die Finger in Richtung Stop/Eject zucken lassen. Aber das muss uns hier ja jetzt nicht ängstigen, auch wenn es mit ‘Bue Empathy’ zwar ruhiger und Leerstellen-hafter, aber gleichzeitig auch noch dissonanter wird.
‘No Arrival Pt. 2’ trägt einen bezeichnenden Titel. Zum einen konfrontiert er den Hörer vor dem ersten Teil. Der auch nur via CD verfügbar ist (das digitale Medium kommt mit ganzen acht Bonus-Tracks). Zum anderen beschreibt er die Gefühle des Rezensenten. Diese Stücke kommen – mal ganz sicher gewollt – nirgendwo an. Da ist keine Schlussfigur, keine Kadenz am Trackende, auf die alles hinleitet. Eher ein Fade-out. Das ist einerseits frustrierend, andererseits faszinierend – ein vertontes “Der Weg ist das Ziel”.
So richtig (Cello-)Saiten – und die zunächst pizzicato bedient – scheinen erst bei ‘Reeling Sky Pt. 1’ ins Spiel zu kommen. Und prompt wird der Gesamt-Sound etwas wärmer und (vergleichsweise) entspannender…
Doch zu früh gefreut, ‘Trash Can Do’ – mit abermals dem Cello im Mittelpunkt – wirkt wie die Vertonung eines bedrohlichen, in Schleifen alternierenden Alptraums inklusive singender Säge.
Letztlich bleibt aber solche Avantgarde-Kunst kaum beschreibbar und sollte – in diesem Falle unbedingt – vom Hörer unvoreingenommen selbst erschlossen werden.
Bewertung: 11/15 Punkten
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Abbildungen: Sickerman / blankrecords