(71:54, 50:29, 72:02, 3-CD, MiG Music, 07.04.2023)
Mit “The Complete Recordings” erschien vor kurzem erneut eine Zusammenstellung der Musik des Trios Schicke–Führs–Fröhling, im Folgenden kurz SFF genannt. Und in diesem Falle – wenn man den Titel wörtlich nehmen darf – eine lückenlose Präsentation des Gesamtwerkes des norddeutschen Trios. In den 90ern erschien bereits beim amerikanischen Label Laser’s Edge ein Doppelalbum mit dem Titel “The Collected Works of Schicke-Führs-Fröhling”, zehn Jahre später dann auch das gleiche Album auf Fröhlings Label Nordsee Records. Nun also eine 3-CD-Box, die auf den ersten beiden CDs identisches Material bietet, auf CD3 dann einen Live Mitschnitt, der ebenfalls bereits separat als Einzel-CD erwerbbar ist. Nichts Neues also für den SFF-Fan, der bereits alle Alben besitzt. Ein perfekter Einstieg aber für diejenigen, die das Oldenburger Trio nicht kennen und sich für Symphonic Prog begeistern können.
Zur Historie: dem Trio ging eine Band namens Spektakel voraus, die 1969 gegründet wurde und sehr stark von Deep Purple beeinflusst war. Ursprünglich ein Trio, wechselte der ursprüngliche Gitarrist an die Tasteninstrumente und als neuer Gitarrist stieß Heinz Fröhling hinzu. Man lebte zusammen in einem gemeinsamen Haus, jammte sehr viel und war bekannt für ausgesprochen lange Konzerte. Ihr ’74er Debütalbum sollte allerdings auch ihr einziges Album bleiben, denn man löste sich schnell auf. Glücklicherweise veröffentlichte Laser’s Edge dieses Album Mitte der 90er auf CD. Fröhling und Spektakel-Drummer Schicke arbeiteten danach weiter zusammen und fanden in Keyboarder Gerd Führs die ideale Ergänzung, und so war das Trio SFF komplett:
Eduard Schicke – drums / percussion / moog synthesizer / metallophone / xylophone
Gerd Führs – grand piano / electric piano / moog synthesizer / string ensemble / bassett / clavinet / mellotron
Heinz Fröhling – electric guitars / acoustic guitars / bass guitar / mellotron.
Drummer Schicke, später u.a. auch bei Hölderlin aktiv, bezeichnet den Start von SFF als die Phase, in der er zum ersten Mal alle Möglichkeiten seiner Aktivitäten als Perkussionist erkannte und auslotete. Davor war er hauptsächlich in Cover Bands unterwegs, worauf dann die Spektakel-Formation folgte und schließlich der kreative Quantensprung mit SFF. Die sehr intensive Zusammenarbeit in ihrem eigenen Haus ermöglichte ihnen das Ausloten all ihrer kreativen Fähigkeiten, und so ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass sie ihr Debütalbum im Studio des allseits bekannten Dieter Dierks in einem Rutsch aufnahmen.
Das Debüt-Album heißt “Symphonic Pictures”, und genauso klingt es auch. Der knapp neunminütige Auftakttitel ‘Tao’ ist gleich ein wahres Fest für alle Mellotron-Fans. Die Nummer ist sehr kraftvoll und melodisch und zeigt das Trio gleich von ihrer besten Seite. Das darauffolgende ‘Solution’ zeigt mustergültig, dass auch ein Dreu-Minuten Titel mit intensiver, wiederum durch das Mellotron erzeugter Atmosphäre bei feiner Perkussionsarbeit voll überzeugen kann. Und ebenso halten die nächsten Titel das hohe Niveau, hier wird deutlich, dass Bands wie King Crimson und Gentle Giant offensichtliche Inspirationsquellen für die Oldenburger waren. Es folgt der Longtrack des Albums, das die zweite LP-Seite füllende 16 ½-minütige ‘Pictures’. Eine wahre Mellotron-Sause! Dazu das perfekt passende Gitarrenspiel von Fröhling, die einfallsreiche Perkussionsarbeit von Schicke, und Führs zeigt, dass er auch abseits vom Mellotron seine Tasteninstrumente beherrscht. Weit und breit kein Gesang, der den fantastischen Gesamteindruck trüben kann, ein wahres Meisterwerk aus Sicht des Fans von Symphonic Prog.
Die lange Laufzeit der ersten CD ist leicht erklärbar, denn hier sind die ersten beiden Alben von SFF abgebildet, das zweite Album “Sunburst” passt also auch noch locker auf den Silberling. Es startet mit ‘Wizzard’, einem durch Gentle Giant beeinflussten Titel mit wuseliger Rhythmik. ‘Artifical Energy’ überrascht mit beinahe meditativem Keyboardspiel und wunderbarer Gitarre, während ‘Troja’, mit 7:19 der längste Titel auf dem Album, nach eher bedächtigem Start mit elektrischem Piano und akustischer Gitarre sich wieder in den Monumental-Modus, den man beim Erstling kennenlernen durfte, steigert.
CD2 enthält das dritte Album des Trios, das “Ticket to Everywhere” betitelt ist und einen Wendepunkt in der Diskografie von SFF bildet, denn hier kommt man etwas weg vom benannten Monumental-Stil und ist etwas zurückhaltender unterwegs. Die Gitarrenarbeit steht nun mehr im Fokus, was wohl auch dadurch begründet sein dürfte, dass hier mit Ausnahme eines Titels sämtliche Kompositionen aus der Feder von Heinz Fröhling stammen. Die Instrumentaltitel sind sehr melodisch und weniger komplex als die Vorgänger, bieten aber angenehme Unterhaltung und geben einen ersten Einblick auf das, was dann im Duo Führs&Fröhling weitergeführt wurde. ‘Slow Motion’ ist mit acht Minuten Laufzeit der längste Track dieses Albums und der Titel macht durchaus Sinn. Denn hier sind sie durchaus eher langsam unterwegs, aber keineswegs langweilig. Als Bonustracks wurden noch zwei Live-Titel hinzugefügt, die von einem Sampler her bereits bekannt sind. Mit ‘Every Land Tells a Story’ ist ein kurzer Ausschnitt eines Titels des Debütalbums des Duos vertreten, außerdem wird ein Medley aus zwei Titeln von „Sunburst“ präsentiert, Schlagzeugsolo inklusive. Ein bisschen Gesang ist auf „Ticket to Everywhere“ vertreten, wobei auf ‚Song from India‘ kurz ein gewisser Klaus Meine zu hören (aber kaum zu erkennen) ist.
Komplettiert wird dieses Box-Set von einer Live Aufnahme aus dem Jahr 1975, die separat genau in dieser Form bereits 2002 auf Nordsee Records veröffentlicht wurde. Die Soundqualität ist eher durchwachsen, aber die Musik spricht für sich. So enthält das Album eine fast 28-minütige Früh-Fassung von ‘Pictures’, hier mit dem nur im ersten Moment merkwürdig erscheinenden Titel ‘Modimidofre’. Rückwärts lesen führt in diesem Falle zu nichts Sinnvollem, es sind schlicht die Werktage aufgezählt. Der Song zeigt mustergültig die Live-Qualitäten von SFF. Mit ‘Prickel Pit’, ‘Gedankenspiel’ und ‘Dadadam’ sind gleich drei nicht auf den Studioalben erhältliche Titel zu hören, was knapp 20 Minuten “neues” Material bedeutet. Außerdem ist mit ‚’mmernoon’ auch ein Titel vom wunderschönen Debüt-Album “Ammerland” von Führs&Fröhling zu hören.
Der SFF-Fan erhält hier also die Vollbedienung, und der Einsteiger darf sich mit dieser Zusammenstellung gleich einen vollständigen Einblick in den SFF-Kosmos verschaffen und hat alles, was es braucht.
Bewertung zu den einzelnen Alben aus Rezensentensicht: Symphonic Pictures (15/15) (ein MUSS für jeden Mellotron-Fan), Sunburst (12/15), Ticket to Everywhere (10/15) und Live 1975 (10/15).
Tolles Teil!
Bewertung: 12/15 Punkten (JM 12, KS 12)
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Abbildungen: SFF