Im Gespräch mit Alexander Paul Dowerk u.a. zu Anchor & Burden
The DeKconstruction Of Prog
Ein wahrer Malstrom aus Prog, Doom, Jazz, Metal und Crimso erreichte uns mit dem neuen (und sechsten) Album “Kosmonautic Pilgrimage” (2023) der hinsichtlich dieser Konstellation schon als Supergroup zu bezeichnenden Formation Anchor & Burden. Mit den beiden Touch Guitar®-eros Markus Reuter (Stick Men) und Alexander Paul Dowerk, dem Redundant Rocker Bernhard Wöstheinrich (Centrozoon, Ornah Mental) sowie dem Schlagzeuger und Neuzugang Asaf Sirkis (Soft Machine, kam für Shawn Crowder) besitzt man dann auch gute Voraussetzungen für die Dinge, die dann noch kommen sollen. Und die kommen mächtig, gewaltig. Oder, in einer uns allen geläufigen Sprache – Vroooom – B’Boooom!
Könnte man Anchor & Burden als die DeKconstruction Of Prog bezeichnen?
Alexander Paul Dowerk (APD): Dekonstruktion ist nur ein Teil unserer musikalischen Werkzeugkiste. Die wahre Natur der Band besteht darin, das Wort “progressive” wieder in seiner ursprünglichen Bedeutung zu verwenden. Unsere Musik ist ständig in Veränderung, denn unser Grundkonzept legt fest, dass sich Riffs und Melodien nie lange wiederholen dürfen. Jeder für sich wie auch die Band als Ganzes wird dadurch gefordert, ständig fortzuschreiten und sich weiterzuentwickeln.
Sechs Alben in gerade einmal eineinhalb Jahren. Wollt ihr bezüglich Veröffentlichungspolitik einen Buckethead egalisieren?
APD: Die sechs Alben sind eher ein Resultat unserer Effizienz als eine geplante Kampagne. Wir nutzen eben im Studio die Zeit, die uns zur Verfügung steht, bis aufs Letzte aus. In dieser Band zu spielen ist fantastisch, es entsteht jedes Mal neue spannende Musik, jeder Moment in wertvoll. Und in der Tat haben wir zur Zeit noch drei bis vier neue Alben in der Hinterhand.
Ist Anchor and Burden ProjeKct oder doch schon Band?
APD: Anchor and Burden ist eine Band. Die Besetzung steht fest und so lange uns nicht äußere Umstände dazu zwingen, werden wir in dieser Formation bleiben.
»Alle Stücke sind zu 100% improvisiert und wurden im Moment komponiert, mit nur minimalen konzeptionellen Absprachen (…) Dieses Verlassen bzw. gar nicht erst Etablieren einer Komfortzone macht viel vom Wesen eines Anchor & Burden-Stücks aus.«
Die Tracks wirken reichlich improvisiert und aus der Situation heraus entstanden. Oder irre ich mich? Entstehen die Tracks im Kollektiv oder sind es individuelle Ideen und Vorstellungen?
APD: Alle Stücke sind zu 100% improvisiert und wurden im Moment komponiert, mit nur minimalen konzeptionellen Absprachen. Die Kommunikation zwischen uns ist so gut, dass sich das Material stellenweise wie geschrieben anhört. Jeder von uns hat kompletten Freiraum, alles zu spielen, was ihm in den Kopf kommt.
Durch unser Konzept, dass Themen und Riffs sich konstant verändern müssen, verhindern wir, dass ein Jam-Character entsteht und man wird konstant gefordert, mutig nach vorne zu gehen. Dieses Verlassen bzw. gar nicht erst Etablieren einer Komfortzone macht viel vom Wesen eines Anchor & Burden-Stücks aus.
Auf der “Kosmonautik Pilgrimage” wurde Shawn Crowder durch Asaf Sirkis ersetzt. Was ist hier passiert?
APD: Shawn Crowder zog zurück in die USA und wollte sich auf seine Hauptband Sungazer fokussieren. Für uns als Band war das eine Chance, Anchor and Burden eine neue Richtung und Energie zu geben. Wir wollten mit jemandem arbeiten, der erreichbar und ohne großen Visums- und Reiseaufwand mit uns aufnehmen und auftreten kann.
Markus und unser Label MoonJune Records haben ein sehr gutes Netzwerk an Musikern und wir konnten glücklicherweise Asaf Sirkis für uns gewinnen, einen wahren Meisterdrummer. Bill Bruford bezeichnete einst Asaf als seinen Lieblingsdrummer, was so ziemlich eine der größten Auszeichnungen für einen Schlagzeuger ist. Markus, Asaf und ich hatten bereits 2021 als Markus Reuter Trio Konzerte gespielt und gleich gemerkt, wie gut die Chemie zwischen uns ist. Asaf ist sehr vielseitig und obwohl er häufiger in Jazz und Fusion Bands anzutreffen ist kann er sehr druckvoll und brachial spielen, wenn es die Situation erfodert.
Sind Touch Guitars ® die Akademisierung des Rock?
APD: Ganz und gar nicht. Mit einer Touch Guitar kann man genauso gut abrocken und moshen wie mit einer E-Gitarre oder einem E-Bass. Der akademische Touch, den man öfter auf dem Instrument hört, liegt eher am musikalischen Geschmack der Musiker selbst. Allerdings muss ich eingestehen, dass die technischen Hürden, die man überwinden muss, bis man das Instrument beherrscht, höher sind als bei konventionellen Gitarren. Möglicherweise tragen die immensen Möglichkeiten einer Touch Guitar auch zur Verkopfung bei.
Mit zwei Händen und acht Saiten kann man sehr viel anstellen und das verführt manchmal zum selbst auferlegten Anspruch, dieses voll auszukosten. Sich von diesem Zwang zu befreien macht einen guten Touch-Gitaristen aus. Denn in den meisten Fällen reicht eine einzige gut gespielte Note oder ein fetter Akkord vollends aus.
MoonJune Labelchef Leonardo Pavkovic spricht in Bezug auf „Kosmonautik Pilgrimage“ von einem “Monster killer album”. Und ich muss ihm beipflichten, denn es ist … “ist es zu stark, bist du zu schwach”. Ist das noch Prog oder doch schon Doom Metal Jazz?
APD: Unsere Musik in Genre Grenzen einzuordnen ist eine schwierige Sache für uns. “Progressive Doom Metal Jazz” trifft es vielleicht ganz gut. Auch “Progressive Avant-Garde Post Metal” verwenden wir stellenweise. Letztendlich sind das alles nur Ansatzpunkte, um eine passende Hörerschaft zu erreichen. Wir lassen uns gerne von Reviews und Journalisten wie Dir inspirieren, falls du noch zielgenauere Begriffe findest.
Einige Tracks könnten veritable Singles abgeben. Habt ihr schon einmal daran gedacht, in diesem Format zu veröffentlichen? (lacht)
APD: Wir sind sehr offen was Veröffentlichungsformen anbelangt. Beim nächsten Album könnte das durchaus passieren.
Gibt es Pläne für eventuelle Livehappenings? Oder sind einige von euch anderweitig zu intensiv beschäftigt?
APD: Es gibt Pläne für Livekonzerte und wir hatten im Juli 2022 bereits ein Konzert in der neuen Konstellation auf dem MoonJune Music Festival in Bosnien. Allerdings stehen im Moment noch keine weiteren konkreten Termine fest.
Wie kam diese beeindruckende Bandkonstellation zustande?
APD: Markus Reuter hatte lange die Idee einer “Supergroup”, die der Welt zeigen sollte, welch außergewöhnliche Musik mit einer kontemporären Band erschaffen werden kann. Er und Bernhard Wöstheinrich haben mit ihrer Band Centrozoon eine eigene Form von kompromissloser Instant-Komposition entwickelt. Es gab schon lange die Idee, Centrozoon mit Bass und Schlagzeug zu erweitern und anstelle von einem traditionellen E-Bassist mich als Touch Guitaristen in die Gruppe einzuladen war für Markus eine naheliegende Entscheidung.
Markus und ich üben seit 2007 regelmäßig zusammen im Rahmen seiner Tätigkeit als Touch Guitar-Lehrer und Leiter des Touch Guitar Circle. Im Laufe der Jahre hatte ich mich zu seinem “Meisterschüler” entwickelt und es gibt wohl kaum jemanden, der meine musikalischen und technischen Fähigkeiten besser einschätzen kann als er. Wir hatten bereits lange vor, zusammen in einer Band zu spielen und ich bin sehr glücklich darüber, dass dies jetzt mit Anchor and Burden geklappt hat.
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Rezension “Kosmonautic Pilgrimage” (2023)
Fotograf/Copyright: Valquire Veljkovic