(48:26, CD, Made in Germany Music, 17.02.2023)
Erneute eine attraktive Ausgrabung auf MiG Music – und zwar wieder aus dem Bereich Elektronische Musik. Das Duo, das hier zusammengefunden hat, ist nicht nur Szenekennern bekannt, denn sie haben sich in erfolgreichen Bands bereits früh einen Namen gemacht. Michael Hoenig war bereits in den frühen Siebzigern in der Band Agitation Free aktiv, hatte ganz kurz ein Duo mit Klaus Schulze unter dem Namen Timewind gebildet, das sich aber (leider) sehr schnell wieder aufgelöst hatte. Höheren Bekanntheitsgrad erlangte er dann sicherlich durch die Tatsache, dass er den erkrankten Peter Baumann bei Tangerine Dream zu deren Tournee in Australien Mitte der Seventies vertrat. Zu dieser Zeit begann er auch mit den Aufnahmen zu seinem ersten Soloalbum, das “Departure From the Northern Wasteland” heißt und ein erstklassiges Werk im typischen Berliner Schule Stil wurde. Manuel Göttsching gehörte nicht zuletzt durch seine Tätigkeiten bei Ashra zu den ganz Großen der Szene. Leider ist er am 4.12.2022 im Alter von 70 Jahren verstorben. Seine Komposition “Inventions for Electric Guitar” kennzeichnet beispielhaft seinen sehr eigenen Stil, denn er war mit seinem innovativen Gitarrenspiel hoch angesehen.
Die Wege der beiden Musiker kreuzten sich 1976, als Hoenig an besagtem Debütsoloalbum arbeitete und Gitarrist Göttsching sich für sein neues Album “New Age of Earth” an eine Komposition für Tasteninstrumente wagte. Hoenig half entscheidend beim finalen Mix. Zur Promotion des neuen Albums war dann eine Tour geplant, auf der die beiden zusammen auf die Bühne gehen wollten. Die Tour musste aber leider gestrichen werden, doch in der Zeit, die sie zum Proben nutzten, hatten sie die Idee, ihre finale Probe sicherheitshalber aufzunehmen. Es stellte sich heraus, dass sich ein wunderbar fließendes, harmonisches Stück Musik dabei entwickelt hatte. Die Wege trennten sich, Hoenig zog in den frühen Achtzigern nach Los Angeles und baute dort sein eigenes Studio auf. 1994 traf man sich erneut und Göttsching schlug vor, die damalige Jam Session zu veröffentlichen. Dabei traf er auf offene Ohren, und so restaurierte Hoenig das Material und schließlich wurde dieses Stück Musik knapp 20 Jahre später erstmalig veröffentlicht, nämlich bei Musique Intemporelle.
Es handelt sich um einen Longtrack ohne einzelne Abschnitte, skippen ist also in der CD-Fassung nicht angesagt. Und für diese knapp 50 Minuten gilt tatsächlich das, was im Inlet beschrieben ist: der Titel ist in einem wunderbaren Fluss und bietet feinste Elektronische Musik, die natürlich von der Berliner Schule geprägt ist. Das benutzte Instrumentarium sieht wie folgt aus:
Michael Hoenig – Yamaha synthesizers / EMS / Moog / Oberheim
Manuel Göttsching – Farfisa / ARP / Gibson guitar / tape-echoes with Revox A 77.
Sequenzen im typischen Stil dieser Zeit starten eine knapp 50-minütige Elektronik-Jam-Session der besonderen Art. Der Fan der Berliner Schule wird sich bestens aufgehoben fühlen, und wer gerade das Gitarrenspiel von Göttsching mag, kommt besonders in der zweiten Hälfte auf seine Kosten. Hörenswert!
Bewertung: 10/15 Punkten
Surftipps zu Hoenig / Göttsching:
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Wikipedia Manuel Göttsching
Wikipedia Michael Hoenig
Abbildungen: MiG Music