Mindpatrol, Altesia, Sleeper’s Guilt, 02.11.22, Lëtzebuerg (LU), Rock Box
Die spielen erst noch!
Mit “Paragon Circus” und “Embryo” hat die aus dem französischen Bordeaux stammende Progressive-Metal-Band Altesia in den letzten drei Jahren zwei bemerkenswerte Langspielplatten aufgenommen, die in unserem Hause jeweils 12/15 Punkten einheimsen konnten. Auf Konzerte auf deutschem Boden hatten die hiesigen Fans bisher jedoch verzichten müssen, denn Altesia waren in der Vergangenheit lediglich im Westen Frankreichs aufgetreten. Als für Herbst 2022 dann endlich eine Tournee mit einem ersten Auftritt auf Bundegebiet angekündigt worden war, war die Freude groß – bis zur kurzfristigen Absage des Konzertes in Waldbronn wegen schlechten Kartenvorverkaufs. Glücklicherweise standen jedoch auch einige wenige Auftritte im grenznahen Raum statt, sodass der diensthabende Betreuer den Luxus hatte, zwischen Konzerten in Luxemburg und Metz wählen zu können. Die Wahl fiel schließlich auf die Rock Box, eine Kneipe im Rives de Clausen, dem ehemaligen Areal der Mousel-Brauereiin Luxemburg-Stadt.
Prolog
Altesia waren auf Facebook für den Abend als Headliner angekündigt worden. Neben den Franzosen sollten noch zwei weitere Gruppen auftreten: Sleeper’s Guilt und Mindpatrol, beides luxemburgische Bands aus dem erweiterten Bereich der progressiven Musik. Nach vorheriger Aussage ihres Frontmannes Clément Darrieu war die Stage-Time für ca. viertel nach neun geplant. Es schien also ein relativ kurzer Abend zu werden. Der Redakteur erreichte das Venue erst kurz nach 21:00 Uhr. Seltsamerweise waren die Herrschaften von Altesia zu diesem Zeitpunkt noch auf der Terrasse vor der Bar versammelt. Auf die Fragen, wie denn der Auftritt von Sleeper’s Guilt gewesen wäre und warum Altesia noch immer hier draußen stünden, folgte sinngemäß folgende Antwort:
Die spielen erst noch!
Alle Eile, es noch rechtzeitig zum Beginn des Konzerts von Altesia nach Luxemburg zu schaffen, war also unnötig gewesen. Denn bis zu deren Auftritt war noch viel Zeit. Und so plauschte der Betreuer erst einmal mit den sympathischen Franzosen, bevor er ins Innere der Rock Box vordrang. Einer weitläufigen, aber gemütlichen Bar, deren Bühne sich im ersten Obergeschoss, direkt unterm Dach befindet.
Sleeper’s Guilt
Sleeper’s Guilt hatten zwischenzeitlich zu spielen angefangen, doch was sich draußen noch nach aggressivem Thrash Metal mit evil klingendem Sänger angehört hatte, stellte sich im Dachgeschoss als etwas ganz Anderes heraus. Die draußen nur als Lärm wahrnehmbare Musik hatte an Klarheit gewonnen, sodass hochmelodische Gitarrenläufe zu vernehmen waren. Außerdem stellte sich der ‘böse Sänger’ als charismatische Sängerin heraus, die vornehmlich mit klassischer Metal-Röhre sang, doch regelmäßige in harsche Bereiche wechselte, die zwischen Black-Metal-Gekeife und Death-Metal-Growls lagen. Frontfrau Sany Faihrmann stammt übrigens aus Deutschland und ist neben Gitarrist Marc Froehling und Schlagzeuger Ben Thuy eine der drei ‘Neulinge’ in der seit 2011 bestehenden Band. So übernahm Faihrmann das Mikrofon erst 2019 von Patrick Schaul, der auf Sleeper’s Guilt 2016er Debüt-Album “Kilesia” zu hören war.
Für die nächsten ungefähr 45 Minuten spielte das Quintett um die Bandköpfe Chris T. Ian (Gitarre) und Bassist piliq einen abwechslungsreichen Stilmix aus Melodic Death und Progressive Death Metal, dessen progressive Komponente besonders gut beim epischen Longtrack ‘The Remains’ mit seinen keyboardartigen Gitarrenläufen zur Geltung kam, der vom erst im Juni 2022 erschienenen Album “What Remained” stammt. Obwohl nicht alle musikalische Ideen gleichmäßig zündeten, vermochte es Fronterin Sany Faihrmann mit ihrer dramatischen Inszenierung über weite Strecken, die insgesamt rund 30 Zuschauer in ihren Bann zu schlagen. Spätestens beim klassischen Progressive Metal des Abschlusstracks ‘Price To Pay’ von der 2012er Debüt-EP “Sleepers’ Guilt” wurde die Band dann richtig abgefeiert. Es schienen durchaus einige der Anwesenden wegen des Quintetts vor Ort gewesen zu sein.
Altesia
Altesia kamen also erst über eine Stunde später auf die Bühne als sie selbst es ursprünglich erwartet hatten. Aber das war der Band heute Abend egal. Hauptsache war, dass dieses Konzert überhaupt stattfand. Auch wenn nur wenige Zuschauer anwesend waren. Es war schließlich der erste Auftritt der Franzosen in Luxemburg und erst ihr fünfter überhaupt außerhalb von Frankreich. Darüber waren Hugo Bernart (Bass), Henri Bordillon (Keyboards), Alexis “Idler” Casanova (Gitarre & Backing Vocals), Yann Ménage (Schlagzeug, Growls & Backing Vocals) und Clément Darrieu (Gesang & Gitarre) sichtlich erfreut. Auch wenn die wenigsten der Anwesenden Altesia kannten: ein überschaubarer Gig war um ein Vielfaches besser als ein abgesagter. Da war es auch egal, dass das nun folgende Konzert von Störgeräuschen begleitet wurde. Denn genau wie schon zuvor bei Sleeper’s Guilt erschallte die Playlist der daruntergelegenen Bar in Kaufhausmusik-Lautstärke über die Lautsprecher des Obergeschosses. Doch Altesia machten dieses Manko mit Spielfreude und virtuosen Fingerübungen auf ihren Instrumenten wett. Und da Altesia bisher noch keines ihrer beiden Alben im europäischen Ausland hatten aufführen können, konzentrierten sich die fünf Musiker von der Garonne-Mündung nicht nur auf ihr aktuelles Werk “Embryo”, sondern gönnten “Paragon Circus” ähnlich viel Zeit. So wechselten sich neue und alte Stücke immer wieder ab: auf ‘Mouth of the Sky’ folgte ein Medley aus “The Prison Child” und ‘Cassandra’s Prophecy’ bevor es schließlich mit einer Kurzversion von ‘Sleep Paralysis’ und ‘A Liar’s Oath’ weiterging.
Zwar konnte man der noch jungen Band ein Stück weit die mangelnde Bühnenerfahrung anmerken, denn insbesondere in der Bühnenpräsenzfehlte ihnen noch das ganz gewisse Etwas an Ausstrahlung. Doch rein musikalisch gesehen gab es an der Live-Umsetzung der oft hochkomplexen Prog-Epen nichts auszusetzen. Es sollte also nicht verwundern, wenn Altesia mit ein wenig mehr Routine und Bekanntheit zu einem unumgänglichen Gast bei Europas Prog-Festivals werden. Denn bereits am heutigen Abend galt: Je länger die Jungs auf der Bühne standen, desto souveräner präsentierten sie sich. Gut also, dass Altesia sich dazu entschieden hatten, sich ihren wohl spektakulärsten Track ganz bis zum Schluss aufzuheben: ‘Reminiscence’ inklusive des einleitenden ‘Pandora’. Ein fast fünfzehnminütiges Feuerwerk mit wunderschönen Gesangslinien, während dem die Franzosen ihre vielfältigen Einflüsse aus 50 Jahren Prog-Geschichte miteinander verschmolzen. Auch ohne den auf “Paragon Circus” vertretenen Gast-Saxophonisten ein zutiefst befriedigendes Erlebnis. Progger-Herz, was willst du mehr?!
Epilog
Es war halb zwölf. Viel später als gedacht. Zeit also, um nach Hause zurückzukehren. Es stand schließlich noch eine 80-minütige Heimfahrt aus und auch der kleine menschliche Wecker würde zweifellos am nächsten Morgen zeitig Alarmsignale von sich geben. Raus also aus der Rock Box – und rein in die Arme von Sleeper’s Guilt. Man ließ deren Auftritt noch einmal Revue passieren und fachsimpelte ein wenig über Musik, bevor dann irgendwann die Frage im Raume stand, was der Betreuer denn von Mindpatrol halten würde. Die eigene Aussage, dass man diese Band verpasst habe, brachte die Bandmitglieder zum Schmunzeln:
Nein! Die spielen erst noch!
Also hieß es dann doch noch einmal: Rein ins Getümmel. Denn die Auslage der Band am Merchandise-Stand hatte neugierig gemacht. Hatten dort nämlich drei Bücher gelegen. Novellen, die “Downfall Theatre” (2013), “Vulture City” (2017) und “Ikaria” (2021), die drei Konzeptalben unter den vier Longplayern der Band, textlich begleiten.
Mindpatrol
Dass es sich bei Mindpatrol also um eine Prog-Band handeln würde, das war schon beim Anblick dieser Bücher klar gewesen. Dass es sich allerdings um die Extreme-Metal-Variante des Prog handeln würde, weit weniger. Jedenfalls war dies die Eigenbezeichnung von Mindpatrol für ihre Musik. Doch außer den sehr kehligen Growls von Frontmann Luc François war nur wenig Extremes an Mindpatrol auszumachen.
Und das, obwohl sich manche seiner Mitmusiker ansonsten bei der Progressive Death Metal Band Decipher austoben dürfen. Nein, Mindpatrol präsentierten unterm Strich vor allem sehr komplexen, düsteren wie bleischweren Progressive Metal mit einprägsamen Melodien und ansprechendem Clean-Gesang. Und eben den schon oben erwähnten Death-Growls. Und obwohl es der Verfasser dieser Zeilen nur vermochte, für ungefähr 20 Minuten der Musik Mindpatrols zu lauschen, reichte diese Zeit aus, um Appetit auf das Gesamtwerk der Luxemburger Band zu machen. Danach ging es dann leider viel zu früh, bzw. viel zu spät – ganz wie man es nimmt – zürück nach Hause.
Live-Fotos: flohfish
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Rezension: “Embryo” (2022)
Rezension: “Paragon Circus” (2019)
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