Gloomaar Festival 2022, 19.11.22, Neunkirchen, Neue Gebläsehalle
Spätestens Ende November dudeln sich die ersten Weihnachtslieder ins Airplay. Marzipankugeln kugeln sich in Supermarktregale. Und Post-Rock- und -Metal-Freunde pilgern zur immer wieder atemberaubend schönen (Neuen) Gebläsehalle in Neunkirchen im Saarland. Auch bei der fünften Auflage des dort veranstalteten Gloomaar-Festivals stimmte wieder mal bis auf winzige Details einfach alles. Vor allem wurde trotz der erneuten Absage – aus tragischen Gründen – von My Sleeping Karma den Besuchern ein qualitativ wie quantitativ begeisterndes Programm geboten – immerhin acht Bands für vergleichsweise lächerliche 45 Euro.
Bei manchen Konzerten und Festivals bekommt der Besucher den Eindruck, er müsse sich durch eine fade, berghohe Reisbrei-Mauer aus “Vorgruppen” und Füllmaterial bis zum Schlaraffenland der “Top Act(s)” durch(fr)essen. Das war und ist beim Gloomaar nie so. Jede der gebuchten Bands verdient aus dem einen oder anderen Grund Interesse (selbst wenn man das, wie z. B. im Falle von Sylvaine, reumütig erst NACH dem Festival begreift). So auch die Formation, die heuer den Post-Rock-Hochofen der Nation anstochen durfte.
Solkyri
Solkyri aus Sydney, Australien, gewannen nicht nur (gemeinsam mit dem Top Act) hands down den Preis für die weiteste Anreise. Sondern auch im Handumdrehen die Herzen des Publikums. Das drahtige ‘Potemkin’ oder das sich zu grünblauem Flackerlicht prächtig aufbauende ‘Pendock & Progress’ boten einen idealen Einstieg in den Festivaltag. Neben dem typischen Post-Rock-Flirren war hier auch das wohl heftigste Posen des ganzen Events am Start. Schon erstaunlich, dass man einen ja nicht so ganz leichten E-Bass derartig verdreschen und gleichzeitig so damit herumfuchteln kann?!
Auf die Erklärung, was für eine “absolute honour” es für die Band sei, hier zu spielen, folgte nun die höfliche Bitte an das noch etwas sparsam erschienene Publikum, doch ein bisschen näher an die Bühne zu kommen. Damit es sich mehr wie ein Festival und nicht wie eine Club Show in der Heimat anfühle.
Hundert Mal gehört, hundert Mal ist nichts passiert. Doch hier wird sofort wie ein Mann aufgerückt. Sagt einiges über die Ausstrahlung des Quartetts von Down Under. Und natürlich über die wie stets sympathischen und gutwilligen Gloomaar-Die-Hards, die schon um 15 Uhr am Start waren.
neànder
Post Metal Doom Sludge? Eine “Knüppel-aus-dem-Sack”-Spielart von Post Rock? Von allem ein bisschen. Die aus Krankheitsgründen (“aber alles ist besser, als absagen”) zum Trio geschrumpfte Berliner Band setzte zunächst weit mehr auf durch Gitarren-Riffs und das sehr nach Heavy Metal klingende Schlagzeug erzeugten Druck als auf Melodien. Und das auf dem Gloomaar?
»Nicht aufhören!«
Hatte aber wie immer hier schon alles seine Richtigkeit, denn das Beste kam (fast) zum Schluss. In Gestalt des im Live-Arrangement 15 Minuten dauernden Epos ‘Atlas’ von 2020.
Und für dessen Finale wechselte Bassist Jan Korbach zur Akustik-Gitarre und stieg in ein wunderbar melodisches, zartes Duett mit seinem Kollegen an der Slide-E-Gitarre ein. So schön, dass eine Zuschauerin “Nicht aufhören” rief, als die Passage zu verwehen drohte. Tat sie natürlich dann doch irgendwann. Und nach einer – wieder recht krawalligen – Zugabe war dann auch leider Schicht im Neàndertal.
Psychonaut
Der erste Auftritt in Deutschland überhaupt des Trios aus Mechelen, Belgien, brachte erneut starke Abwechslung ins diesjährige Programm des ohnehin nie dogmatisch-schubladisierenden Post-Rock-Festivals.
Das lag unter anderem an den nach dem Intro des ersten Stücks (‘Interbeing’?) allgegenwärtigen Fauch-Vocals und dem etwas sparsamer eingesetzten Klargesang.
Als persönliches Highlight wurde das mit Throat Singing (vom Band) eingeleitete ‘All I Saw As A Huge Monkey’ erlebt.
Setlist (vom 04.11., Belgien):
Slow Crush
Ab 18:20 Uhr (auf die Minute) gehörte die Bühne Slow Crush. Und einer gigantischen Nebelwand. Die Belgier um Frontfrau Isa Holliday an Gesang (dazu sogleich mehr) und am glitzerndsten Barbie-Bass (Fender Precision), den je zuvor ein Aug’ gesehen hat, waren grad mit Deafheaven auf Tour gewesen.
Nach eigenen Aussagen treffen auf ihre Musik folgende Etiketten zu: Dream Pop, Alternative, Grunge, Indie Rock, Post Metal, Post Punk, Post Rock, Shoegaze. Ein hübscher Mix, der auch sofort gut ankam. Bis auf eine leider immer heftiger werdende Irritation. Der attraktive, charismatische Publikumsmagnet sang sich sichtlich die Seele aus dem Leib, aus der PA drang davon allerdings kaum mehr als ein windiges Säuseln – Silent Crush sozusagen.
Ein Schuss ins tätowierte Knie
Erste Ansage. Das beherzte Publikum formulierte erneut ein Anliegen: “We CAN’T HEAR you!” “Oh, das betrifft dann eher unseren Sound-Mann”, erwiderte Miss Holliday mit entwaffnendem Lächeln und signalisierte Richtung Mischpult. Allerdings war zwar der Rest ihrer Ansage ein wenig, der Gesang hernach aber leider kein Dezibel lauter, eher im Gegenteil.
Der Effekt tat an und für sich starkem Material wie ‘Swivel’ vom letzten Album “Hush” nicht gut. Hush heißt auf Englisch “Pst”, “still!” Das scheint einerseits ja schon tragisch passend. Allerdings – wir haben noch vor Ort die Probe aufs Exempel gemacht – ist der Gesang auf den Slow-Crush-Alben zwar auch nicht überpräsent. Aber doch immerhin noch gut hör-, teils auch verstehbar und keinesfalls nur ein verstörendes bis nerviges Hintergrundgeräusch.
Die darauf angesprochenen Veranstalter waren damit auch nicht glücklich, zumal der Saal sich nun gut wahrnehmbar zu leeren begann. Manche Besucher hielten das Ganze für eine technische Panne, andere für eine merkwürdige Künstlerattitüde. Die Festival-Macher konnten aber nichts daran ändern, da die Band ihren eigenen Mixer am Soundboard platziert hatte. Wir haben uns dann auch irgendwann getrollt. Schade.
DVNE
Um so schöner gelang nun der Gloomaar-Auftritt des schottischen Quintetts. Von der Melancholie und Melodik gelegentlich an Klone erinnernd, ließ das ungemein virtuose Spiel der teilweise zweistimmig solierenden Gitarristen zumindest den Autor an eine Post-Spielart von Thin Lizzy denken.
Auf Material wie ‘Omega Severer’ folgte stets donnernder Applaus. Der noch ohrenbetäubender wurde, als Dudley Tait nach dem um ca. fünf Minuten voreiligen Auftrittsende am Bühnenrand vorsichtig Sticks verteilte, statt sie einfach in die Menge zu feuern.
EF
Das von uns besonders sehnsüchtig erwartete Sextett aus Göteborg überzog als erste und einzige Band des Abends leicht den Soundcheck – während dessen man sich aber schon am Anblick ihres schneeweißen Cellos erbauen konnte. Als es dann wirklich losging – mit live gespieltem Glockenspiel – war die Wartezeit blitzschnell vergessen. Märchenhafte Melodien, der sehnsüchtig-mysteriöse schwedische Gesang, die teils monumentalen Arrangements und nicht zuletzt die zahlreichen originellen Klangfarben u.a. durch das Cello.
Außerdem erlebten wir hier den m. E. mit Abstand am virtuosesten und individuellsten (u.a. mit Paukenschlägeln) agierenden Drummer des ganzen Festivals.
Floh: “Die Meer des Post Rock”. Klaus: “Sigur Rós meets Henry Cow?” Ist ja auch wurscht. Schaut Euch bitte diese Band an, wenn Ihr die Gelegenheit habt.
We Lost The Sea
Die zweiten Aussies im Billing. Und der Festival-Headliner. Das Sextett aus Sydney hat vielleicht den “klassischsten” Post Rock des Line-ups im Programm. Und kam möglicherweise auch genau deswegen mit Instrumentals wie ‘A Beautiful Collapse’ (Nomen est omen. Von 2019) hier so gut an.
Dem Autor selbst allerdings ging es wie schon einmal in der Neuen Gebläsehalle erlebt, damals mit Soup. Direkt nach dem von EF gesponnenen Zauber funktionierte zunächst einfach keine andere Musik mehr. Was keineswegs eine wertende Aussage zu WLTS darstellen soll. Man wünschte sich halt eine ganze Zeit lang gar nichts anderes als noch mehr Musik dieser Schweden. Oder halt Stille.
Setlist (vom 20.11.22, Belgien):
Frayle
Eine Gloomaar-Spezialität ist der Late Night Act, quasi zum Runterkommen nach dem Headliner. 2022 hieß das Motto hierzu “Witch fronted doom from Cleveland” sowie “Music for the night sky”. In anderen Worten: Frayle. Die Amerikaner bezeichnen sich selbst als von Sleep, Portishead, Björk, Kyuss, & Black Sabbath beeinflusst. Der resultierende Soft Doom (mit gelegentlicher Gothic-Schlagseite) lebt so sehr von spektakulären Stage Outfit (blutrote Dornenkrone und mit Skelett-Motivik besticktes Wams), -Präsenz und Säuselgesang von Front-Hexe Gwyn Strang, dass für ihre Mitmusiker (2 x Gitarre, Bass, Drums) nicht viel Aufmerksamkeit übrig bleibt.
Die anwesenden Fotografen hyperventilierten denn auch zunächst kräftig. Des Autoren Interesse jedoch erlahmte nach vier recht ähnlich klingenden Songs merklich. Dennoch: erneut ein glücklicher Griff für exakt diese Position in der Running Order.
Setlist (vom 16.11. 22, München):
Live-Fotos: flohfish
Pro:
-
- Exzellente Bandauswahl. Jahr für Jahr
- Wieder mal ein absoluter Referenz-Sound – soweit von den Veranstaltern beeinflussbar.
- Weiterhin unglaublich günstige Konditionen – acht Bands für 45€.
- Reibungslose Orga. Die Stage Times scheinen in Stein gemeisselt.
- Kurze Umbaupausen.
- Das kultige ehemalige Hüttengelände, heute bewirtschaftet mit u.a. großer und kleiner Halle für Veranstaltungen, Restaurant, Kino, Brauerei (!), ist immer wieder ein optischer Genuss.
- Entspannte bis freundliche Crew inklusive fast unsichtbar bleibender Security.
- Resultierend auch bei allen anderen eine völlig relaxte Atmosphäre.
- Gute Sicht für jedermann, jederzeit.
- Zahlenmäßig ausreichende und saubere Toiletten.
- Wechselnde Food Trucks sorgen für das leibliche Wohl (obwohl auch das City-Center kaum zehn Minuten zu Fuß entfernt ist). Dieses Jahr war mexikanisch im Angebot.
- Wechselnde Spezialitäten auch im Getränkebereich – heuer vier mal local poison von der Neunkirchener Brauerei Bach’s Beer.
Contra:
- Eigentlich nichts. Wenn überhaupt, vermisst man ein wenig “Community Feeling”. Da es draußen keinerlei Sitzgelegenheiten gibt, bleiben die Paare und Grüppchen im Wesentlichen für sich. Statt sich sofort intensiv zu mixen, wie man das von anderen Festivals kennt.
Auch das Angebot eines (noch so kleinen) Pre- oder Post-Festival-Events könnte hier helfen – um mehr Gäste zu einer Übernachtung zu bewegen.
Von einer Facebook Group ganz zu schweigen. - Jammern auf hohem Niveau – vielleicht wäre auch mal andere Umbaupausenmusik als AC/DC und Iron Maiden in Erwägung zu ziehen. Absolut nichts gegen Maiden, aber man hätte sich über ein paar Takte My Sleeping Karma oder Monkey3 oder Soonago sicher noch mehr gefreut.
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Konzertbericht: 24.05.22, Wiesbaden, Kesselhaus
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