Post Hardcore mit ganz unterschiedlichen Vorzeichen
Thrice und Coheed And Cambria auf Double-Headliner-Tour durch Europa und dabei mit Touché Amoré im Schlepptau. Drei Bands, die ihre Wurzeln allesamt im Post Hardcore haben, doch im Jahre 2022 so unterschiedlich klingen wie man es sich nur vorstellen kann. Ein hochkarätiges Programm nicht nur für Anhänger des Post Hardcore, sondern, im Falle von Coheed And Cambria und Thrice, auch für alle Freunde von progressiven und experimentellen Tönen. Man durfte also gespannt sein.
Touché Amoré
Im Oktober 2019 sind Touché Amoré letztmals in Mülheim am Rhein aufgetreten. Damals zusammen mit Deafheaven und zwar als Headliner (Link zum Konzertbericht). Heute dagegen mussten sich die Screamo-Recken aus Los Angeles mit dem Slot als Opener zufriedengeben. Was für die Band jedoch verkraftbar gewesen sein dürfte. Denn das Line-up mit Thrice sowie Coheed And Cambria hatte dafür gesorgt, dass die rund 2.000 Zuschauerfassende Halle heute zwar nicht ganz ausverkauft, aber trotzdem gerammelt voll und deutlich besser gefüllt war als noch vor drei Jahren.
Das kalifornische Quintett nutzte die halbe Stunde, die ihm zur Verfügung stand, um das Publikum mit einer kraftvollen und energetischen Post-Hardcore-Performance zu beeindrucken. Insbesondere Sänger Jeremy Bolm überzeugte mit einer eindrucksvollen Agilität, indem er die Breite der weiten Bühne für sich voll ausnutzte und sprichwörtlich von einer in die anderen Ecke hastete. Ein Verhalten, das sinnbildlich die Eile widerspiegelte, in der sich die Band befand, denn der Auftritt in Köln war der letzte der gesamten Tour und das Flugzeug, das Touché Amoré zurück in die Heimat bringen sollte, wartete in Frankfurt am Main und musste noch in dieser Nacht erreicht werden. Die Fans wurden also aufgefordert, sich am Merch-Stand zu beeilen, so dass man auch rechtzeitig mit den letzten Akkorden einpacken und sich auf den Weg machen konnte.
Trotz allem Zeitdruck litt der Auftritt der US-Amerikaner nicht unter den Rahmenbedingungen, mit leichten Abstrichen bei der Beleuchtung. Touché Amoré wurden stattdessen für ihren kurzweiligen Auftritt gebührend gefeiert. Besser kann man seine Aufgabe als Anheizer einer Double-Headliner-Show wohl nicht erledigen.
Coheed And Cambria
Dass Coheed And Cambria heute nicht als Headliner auftraten, dürfte einige Zuschauer verwundert haben. Denn Claudio Sanchez und Konsorten sind nicht nur in Progressive-Kreisen deutlich bekannter als Thrice, sie sind auch kommerziell die erfolgreichere Band. Zudem sind es Coheed And Cambria, die zum Cruise-Festivals S.S. Neverender einladen, bei dem die Kollegen von Thrice in der Vergangenheit schon als Gäste vertreten waren. Trotzdem war die Reihenfolge des Abends dramaturgisch nachvollziehbar. Besonders, da man es bei dieser Tournee im weitesten Sinne mit einem Post-Hardcore-Package zu tun hatte. Post Hardcore, ein Stil, in dem Coheed And Cambria zwar ursprünglich ihre Wurzeln hatten, dem sie aber schon lange entwachsen sind. Und so wirkte der Progressive Metal, der schon seit Dekaden den Stilmix der New Yorker Band prägt, dann auch nicht auf alle Anwesenden gleich. Denn während die einen die Eskapaden der US-Amerikaner frenetisch feierten, im Moshpit herumflogen und lautstark die Refrains mitgrölten, schien anderen Zuschauern das Gebotene etwas zu verkopft zu sein, als dass sie sich der Musik hätten vollkommen hingeben können.
Musikalisch präsentierten Sänger und Gitarrist Claudio Sanchez, Lead-Gitarrist Travis Stever sowie die Rhythmusfraktion um Josh Eppard und Bassist Zach Cooper am heutigen Abend in erster Linie Stücke ihrer beiden letzten Alben “Vaxis I: The Unheavenly Creatures” (2018) “Vaxis II: A Window Of The Waking Mind” (2022). Es sind die ersten beiden von fünf Teilen der Geschichte von Vaxis. Einem Charakter aus dem “The Armory Wars”-Universum, in dem die Handlungen bisher fast aller Alben von C&C spielten. Die Band begann ihren Auftritt mit ‘The Dark Sentencer’ und dem dazugehörigen ‘Prologue’ und präsentierte damit nicht nur das musikalische Thema, das charakteristisch für die Vaxis-Geschichte ist. Sie fügten an diesen Auftakt auch ‘The Embers Of Fire’ an, den Opening Track von “Vaxis II”, der genau dieses Thema wieder aufgreift, das dann fast nahtlos in ‘Beautiful Loosers’ überging. Den Eindruck, den Coheed And Cambria mit dieser Aneinanderreihung erweckten, war der, dass es sich hier eigentlich um einen viertelstündigen Longtrack handelte. So wurde auch die Wahrnehmung im Folgenden ein wenig manipuliert, denn leichtfüßige Stücke wie ‘Shoulders’ und ‘Disappearing Act’ gaben sich hernach weniger Pop-lastig als noch auf Platte.
Vielleicht lag es aber auch an der Abmischung an diesem Abend, dass gerade die kürzeren der neuen Stücke heavier und metallischer wirkten. Ein Eindruck, der zwar nicht unbedingt ein Schmaus für die Ohren war, aber zumindest die Partystimmung im Moshpit anheizte. Die dann förmlich in Flammen ausbrach als Coheed And Cambria Brandbeschleuniger in Form von ‘In Keeping Secrets Of Silent Earth: 3’, ‘A Favor House Atlantic’ und ‘Welcome Home’ ins Feuer kippte. Dass dieses Feuer sich zum Ende hin dann noch einmal beruhigen konnte, das lag wohl nur daran, dass das abschließende ‘Window of the Waking Mind’ noch nicht den gleichen Bekanntheitsgrad wie die drei anderen Stücke erreicht hat. Das Potential zum Live-Klassiker zu werden, hat dieses achteinhalbminütiger Prog-Monster jedenfalls.
Thrice
Stimmung hatten Coheed And Cambria ja schon gehörig verbreitet, jedenfalls für einen Teil der anwesenden Zuschauer. Dass das Feuer nicht auf alle Anwesenden übergeschlagen war, hatte vermutlich daran gelegen, dass der klassische Thrice-Fan nicht ganz so viel mit progressiven Tönen anfangen kann. Eine Erfahrung die auch Thrice in jüngster Vergangenheit hatten machen müssen. Denn auf dem für Bandverhältnisse wahrlich progressiven letzten Album “Horizons/East” (2021) hatten Thrice ausgiebig mit Post Rock, Psychedelic und Alternative Prog experimentiert. Nicht zur Freude aller langjährigen Bandanhänger. Was auch Frontmann Dustin Kensrue nicht ganz verborgen geblieben sein konnte. Wie sonst sollte dessen Äußerung gewertet werden, dass zumindest die Bandmitglieder das neue Album gerne mochten. So sehr sogar, dass sie heute Abend fünf der darauf vertretenen Songs zum Besten gaben und das Set mit ‘The Color Of The Sky’ und ‘Scavengers’, zwei neuen Tracks eröffneten. Was nicht nur ganz nach dem Gusto des diensthabenden Betreuers war, sondern auch einen harmonischen Übergang zum Set von Coheed And Cambria darstellte. Aber auch langjährigen Fans wurde kein Anlass geboten, mit diesem Abend unzufrieden zu sein. So spielten sich Thrice einmal quer durch ihre umfangreiche Diskografie und deckten insgesamt sage und schreibe neun verschiedene Alben ab. Ein Umstand, der Zuschauern, die noch nicht so vertraut mit der Formation waren, einen Überblick darüber verschaffte, in welch unterschiedlichen musikalischen Gefilden sich das von der US-Westküste stammende Quartett im Laufe seiner Karriere schon bewegt hat.
Das Feuer jedenfalls, das schon bei Touché Amoré gelodert und bei Coheed And Cambria weiter um sich gegriffen hatte, breitete sich immer weiter aus, sodass nicht nur der Moshpit auf die doppelte Größe anwuchs, sondern praktisch die ganze Halle von den von der Bühne sprühenden Funken erfüllt wurde. Denn, ob tief im Hardcore verwurzelte Stücke, wie die vom zweiten Album “The Illusion Of Safety” stammenden ‘Where Idols Once Stood’ und ‘The Red Death’, oder ein Song wie das melancholisch-hymnisches ‘Firebreather’, ob moderne Band-Klassiker wie die Post-Hardcore-Hymnen ‘Black Honey’ und ‘Hurricane’ oder ein schon fast schon balladeskes ‘Beyond The Pines’ vom 2018er “Palms”-Album. Thrice ließen niemanden mit der Bandbreite, die sie präsentierten niemanden kalt.
Da war es fast schon egal, mit welchem Stück das Quartett als Zugabe noch einmal auf die Bühne kam, das Publikum wäre wohl mit allem zufrieden gewesen. Dass Thrice dann mit ‘The Earth Will Shake’ noch einmal ihre experimentelle Seite zeigten und dabei trotzdem dem Post Hardcore frönten, das stellte wohl aller Zuschauer in gleichem Maße zufrieden. Denn mit ihrem Gospel-Hardcore-Crossover erschütterten Thrice nicht nur noch einmal das Carlswerk Victoria, sie zeigten auch noch einmal ganz deutlich auf, dass sie bereits vor 17 Jahren ähnliche Experimente wagten, wie jene, für welche Zeal & Ardor heute gefeiert werden.
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Rezension: “Horizons/East” (2021)
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Rezension: “Coheed And Cambria – Vaxis II: A Window Of The Waking Mind” (2022)
Rezension: “Vaxis I: The Unheavenly Creatures” (2018)
Konzertbericht: 14.06.17, Köln, Essigfabrik
Konzertbericht: 26.01.16, Köln, Live Music Hall
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Konzertbericht: 07.10.19, Köln, Carlswerk Victoria
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Veranstalter: Prime Entertainment
Venue: Carlswerk Victoria