Power, Death und Melodic Metal mit einer gehörigen Prise Progressivität
Evergrey, Fractal Universe, Virtual Symmetry, eine bunte Mischung an Bands, die sich da gemeinsam verirrt hatte. Denn sowohl Power Metal als auch Death Metal und Melodic Metal standen mit diesen Gruppen auf dem heutigen Menü. Allerdings alles gewürzt mit einer gehörigen Prise Progressivität. Ob dabei alle Gänge miteinander harmonieren bzw. allen schmecken würden, war dabei die große Frage.
Virtual Symmerty
Den Anfang jedenfalls machten Virtual Symmetry. Nachdem das erst vor kurzem erschienene, selbstbetitelte dritte Studio-Album der Band aus dem Tessin bei uns nicht wirklich gut abgeschnitten hatte, war der betreuende Redakteur umso mehr auf den Live-Auftritt der Truppe gespannt. Denn obwohl auf “Virtual Symmetry” in fast allen Aspekten die Devise Over The Top gilt, kann man den Schweizern musikalisches Talent nicht absprechen. Und so zeigten sie dieses auch heute Abend auf der Bühne des altehrwürdigen Mergener Hofes in der Trierer Altstadt. Zwar spielte das Quintett bei weitem nicht so virtuos, wie es auf Platte wirkte und auch auf überlange (richtungslose) Stücke verzichtete man.
Dem Auftritt der Musiker kam dies zugute, denn die Tracks wirkten gezügelter und viel weniger überfrachtet als noch auf Platte. Zwar klangen Virtual Symmetry durch diese Entschlackungskur weniger progressiv und vielmehr wie eine Melodic Metal Band, doch weniger ist manchmal mehr. So konnten Virtual Symmetry den größten Teil des Publikums begeistern. Was auch an dem Auftreten ihres Frontmannes Marco Pastorino lag, ein wahrer Charmebolzen. Die Stimmung im Gewölbekeller war jedenfalls ausgelassen. Eine erste positive Überraschung also.
Fractal Universe
Zwar sind die aus der Nähe von Thionville stammenden Fractal Universe ganz eindeutig als Progressive Metal zu bezeichnen, doch sind sie stilistisch viel weiter von Evergrey entfernt als der Opening Act. Denn die Franzosen pflegen die todesbleierne Variante dieses Genres zu spielen. In der Umbaupause jedenfalls hörte man einige Menschen sprechen, die Gefallen am Auftritt Virtual Symmetrys äußerten, aber bezweifelten, ob sie etwas mit Fractal Universe würden anfangen können. Ob die Lothringer letztendlich alle Evergrey-Fans hatten abholen können bleibt offen. Allerdings auch zweitrangig. Denn Trier liegt nur einen Steinwurf von Nilvange, der Heimat von Fractal Universe entfernt. So war der heutige Abend eine Art Heimspiel, was sich auch darin äußerte, dass nicht wenige Zuschauer anwesend waren, die hauptsächlich wegen dieser Progressive-Death-Metal-Band gekommen waren.
Genügend Fans jedenfalls, um für gute Stimmung zu sorgen und diese auf die anderen Zuschauer überschwappen zu lassen, Daran konnten auch die kehligen Laute nichts ändern, die immer wieder aus dem Halse von Sänger Vince Wilquin drangen. Da war der melodiöse Klargesang wohl schon eher zum Gusto der Trierer Evergrey-Fans. Genau wie die Ansagen, die der Frontmann auf Deutsch, mit lokaler moselfränkischer Klangfarbe machte. Musikalisch hingegen gab es das bewährte Feuerwerk zwischen Death Metal, Prog im Stile von Between the Buried And Me und, leider immer noch viel zu selten, kurzen Einlagen auf dem Saxofon. Bemerkenswert war, dass dieses in einem Stück wie ‘A Clockwork Expectations” mittlerweile so gut integriert ist, dass man den Übergang kaum wahrnehmen konnte, als das Saxophon nahtlos an Hugo Florimonds Gitarrensole anschloss. Überhaupt machte es Spaß, dem Gitarristen auf die Finger zu schauen, vor alle wenn er seine Tapping-Künste zur Schau stellte. Ein energetischer Auftritt mit viel klassischem Headgebange, dem Wilquins Bad in der Menge, bei welchem er munter auf seinem Sax weiterspielte, die Krone aufsetzte. Ein mitreißender Auftritt und eine willkommene Abwechslung auf dem heutigen Billing. Das Publikum war in großen Teilen positiv überrascht und feierte die Regional-Matadoren gebührend.
Evergrey
Doch war das nur ein kleiner Vorgeschmack, auf das was beim Erscheinen des Headliners vor der Bühne abgehen sollte. Denn mit ‘Save Us’, dem Auftakt-Lied des 2022er Albums “A Heartless Portrait (The Orphean Testament)” haben Evergrey wohl den perfekten Opener für ein Prog-Power-Metal-Konzert kreiert. Denn weit in die Höhe ausgestreckte Arme und laute rhythmische Hey-Hey-Rufe sollten das Stück über weite Strecken begleiten. Metal-Atmosphäre pur, die so clichéhaft war, dass es schon wieder Spaß machte.
Da die aktuelle Europa-Tour die erste seit 2019 ist, konzentrierte sich die Band nicht ausschließlich auf ihr neuestes Werk, sondern widmete sich in gleichem Maße auch dessen ‘letztjährigem Vorgänger “Escape the Phoenix” (2021). Zudem wurden die neuen Stücke durch jeweils zwei Lieder der Konzeptalben “The Atlantic” (2019) und “The Storm Within” (2016) aufgelockert. Das aus dem Jahre 2004 stammende ‘A Touch Of Blessing’, welches das reguläre Set abschloss, war bis dahin somit das einzige Stück, das mehr als acht Jahre auf den Buckel hatte. Schade einerseits, denn auf weitere Stücke des grandiosen “The Inner Circle”-Albums oder auch von der Großtat “Recreation Day” mussten die Fans im regulären Teil ganz verzichten. Aber man konnte auch aufatmen, nämlich darüber, dass Stücke aus der kitschigen bis belanglosen Phase der Jahre 2005 bis 2013 heute keine Beachtung fanden. Stattdessen fand die Band eine ausgewogene Mischung aus dezenter Progressivität und melodischer Härte. Besonders beeindruckend waren Evergrey aber vor allem dann, wenn die großen Gesangsmelodien Tom S. Englunds im Mittelpunkt standen, wie etwa bei dem äußerst gefühlvollen ‘In The Absence Of Sun”. Oder auch dann, wenn diese das Publikum zum Mitsingen einluden, wie beim ohrwurmhaften ‘Midwinter Calls’.
Dass Evergrey und vor allem ihr Frontmann heute äußerst gut aufgelegt waren, war nicht zu übersehen, wurde aber besonders beim schon oben erwähnten ‘A Touch Of Blessing’ deutlich. Denn Englund spaßte mit seinem Bassisten Johan Niemann herum, der ja so gerne einmal Gitarre spielen möchte; überließ diesem letztendlich aber nur die Bedienung seines Wah-Pedals. Und so war es bei diesen freudestrahlenden Musikern dann auch sonnenklar, dass nach dem Verlassen der Bühne noch eine Zugabe folgen musste.
Den Einstand machte dabei das äußerst modern klingende ‘Blindfolded’, bei welchem Evergrey vor allem rhythmisch ein wenig in Richtung Metalcore schielten, bevor es dann doch noch den unvermeidlichen Griff in die Schatztruhe gab. Aus der, zur Freude der Zuschauer, der Bandklassiker ‘Recreation Day’ herausgezogen wurde und seine Wirkung natürlich nicht verfehlte. Highlight für Prog-Fans war dann allerdings der letzte Akt des Tages, das innerhalb weniger Jahre zum Live-Klassiker aufgestiegenen ‘King Of Errors’. Hiermit lieferten Evergrey wohl den epischsten Song des Abends ab, bei welchem sie noch einmal all ihre Stärken in kombinierter Form präsentierten konnten. Ein fetter Abschluss, eines abwechslungsreichen Abends, der nur wenige Wünsche offen ließ.
Fotos: Schœnsiegel Music Photography
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Rezension: “A Heartless Portrait (The Orphean Testament)” (2022)
Rezension: “Escape the Phoenix” (2021)
Konzertbericht: 27.09.17, Siegburg, Kubana
Rezension: “The Storm Within” (2016)
Rezension: “Monday Morning Apocalypse” (2006)
Rezension: “A Night To Remember” (2005)
Rezension: “The Inner Circle” (2004)
Festivalbericht: 05.10.13, Baarlo (NL), JC Sjiwa, ProgPower Europe 2003
Rezension: “Recreation Day” (2003)
Rezension: “In Search of Truth” (2001)
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Konzertbericht: 03.07.21, Nilvange (FR), Le Gueulard Plus
Rezension: “The Impassable Horizon” (2021)
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Veranstalter & Venue: MJC Mergener Hof