Welcome Back! To The Stage
Manchmal verliert man über die Jahre eine Band aus den Augen. Oft hängt dies mit einer Besetzungsveränderung bzw. einer stilistischen Neu-Ausrichtung zusammen. Für den Autor kamen im Falle von Arena, der englischen Neo-Prog-Institution um Clive Nolan (u.a. Pendragon) und Mick Pointer (Ex-Marillion), beide Faktoren zusammen, als Paul Manzi (mittlerweile bei The Sweet [!]) im Jahre 2010 als bereits vierter Lead-Sänger (nach John Carson, Paul Wrightson & Rob Sowden) das Mikrofon übernahm und Arena kurz darauf, mit ihrem siebenten Studio-Album, “The Seventh Degree Of Separation” (2011), in Richtung belanglosem Hard Rock und AOR wegrutschten. Da konnten auch die beiden folgenden Alben “The Unquiet Sky” (2015) und “Double Vision” (2018) den Betreuer im Anschluss nicht mehr wirklich ködern, obwohl diese sich wieder deutlicher am klassischen Arena-Sound orientierten. So brauchte es also “The Theory Of Molecular Inheritance” (“Teapot Of The Week” bei uns) sowie einen weiteren Besetzungswechsel am Mikrofon, um das Interesse wieder aufflammen zu lassen und auch den Autor zurück in die Live-Arena zu locken. Denn Damian Wilson (u.a. Ex-Landmarq, Ex-Threshold, Ex-Maiden uniteD, Arjen Anthony Lucassen‘s Star One) als neuer Frontmann der Neo-Prog-Veteranen… das war schon eine echte Verlockung.
Arena
Darum folgte der Betreuer seiner immer stärker aufkeimenden Neugier und reiste in die bayerischen Außengebiete Unterfrankens, um sich im Aschaffenburger Colos-Saal selbst einen Eindruck vom neuen Sänger und vom neuen Album verschaffen zu können. Denn “The Theory Of Molecular Inheritance” war zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht worden.
‘Time Capsule’, der erste Track des aktuellen Albums, entpuppte sich als idealer Opener, um sich einen ersten Eindruck vom Klang von “The Theory Of Molecular Inheritance” zu verschaffen. Darüber hinaus eröffnete der Song natürlich auch die Möglichkeit, sich von den stimmlichen Fähigkeiten des Herrn Wilson zu überzeugen. Was bei einem so renommierten Sänger ja eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre. Und doch muss man sagen, dass der sympathische Frontmann nicht nur in jeder Hinsicht überzeugte, sondern auch ein Stück weit überraschte. Denn spätestens beim zweiten Song ‘Rapture’, der vom von vielen Alt-Fans ungeliebten “The Seventh Degree Of Separation” stammte, wurde klar, dass der Neuzugang Wilsons einer seit langem überfälligen Frischzellenkur gleichkam, wie sie die Band seit 1997/98 nicht mehr erlebt hatte. Dem Zeitpunkt, als der spätere Kino-, Frost*– und It-Bites-Frontmann und Lonely-Robot-Kopf John Mitchell Arena beitrat und auf “The Visitor” erstmals, nicht nur als neuer Gitarrist, sondern auch als Songwriter, in Erscheinung trat.
So war das was folgte eine Zeitreise der ganz besonderen Art, denn Arena spielten sich nicht nur – entsprechend dem Motto der “25th Anniversary Tour” – durch inzwischen 27 Jahre Bandgeschichte, sondern transportierten einige der leicht angestaubten Klassiker in aufpoliertem Soundgewand in die 230. Dekade neuerer Zeitrechnung. Verspielt, aber nicht verfrickelt. Heavy, aber kein Metal. Proggy, aber moderner als Neo. Und dabei immer das, was Arena immer schon waren. Eine Formation nämlich, bei der die Melodien im Mittelpunkt stehen. Ohne aber dabei Gefahr zu laufen, in den AOR abzudriften. Melodien, die in ganz neuem Lichte erstrahlten, denn die Klangfarbe der Stimme Damian Wilsons ist doch eine ganz andere, bzw. viel facettenreicher, als die seiner vier Vorgänger. Es gelang ihm, Stücken aller Band-Phasen seinen eigenen Stempel aufzudrücken, ohne sie auch nur einmal zu weit von den Originalen wegzubewegen.
Spätestens jetzt ergab es dann auch Sinn, warum Arena zum wiederholten Male nicht den naheliegenden Weg gegangen waren und nach dem Ausscheiden eines Frontmannes auf John Mitchell als Sänger zurückgegriffen haben. Die Chance wäre wohl viel zu groß gewesen, dass Arena heute kaum noch von Kino, Lonely Robot oder anderen Mitchell-Bands zu unterscheiden wäre. So aber konzentrierte sich der Musiker auch heute Abend auf das, was er immer noch am besten kann, nämlich das Gitarrenspiel. Was insbesondere in seinen vielen gefühlvollen Soli zum Ausdruck kam. Mick Pointer und Clive Nolan traten schon alleine aufgrund ihrer Positionen in der hinteren Hälfte der Bühne weniger in Erscheinung als ihre Mitmusiker. Doch was man vom Schlagzeuger gewöhnt ist, das traf heute auch auf den Tastenhexer zu. Denn die Keys schienen heute etwas weniger im Vordergrund des Mixes zu stehen, als man es von alten Studio-Aufnahmen der Band kennt. Was mehr Raum für Damian Wilson und dessen überragende Stimme ließ. Und auch optisch war der neue Sänger der Fixpunkt für das Publikum, denn mit seiner Bühnenpräsenz überstrahlte Wilson all seine Kameraden. Lediglich Bassist Kylan Amos hatte dem mit seinem farbenfrohen Bühnenoutfit und seiner sichtlich guten Laune etwas entgegenzusetzten.
Insofern gab es am heutigen Abend nichts, aber auch rein gar nichts auszusetzten. Eine bestens aufgelegte Band, ein überzeugender Klang, ein (fast?) ausverkaufter (Colos-)Saal und ein Publikum, das Arena feierte. Wie buntgemischt dieses war, das zeigte ein Blick auf die Band-Shirts der anwesenden Besucher. Denn neben den obligatorischen Arena-, Marillion- und Dream-Theater-Leibchen, wurde u.a. auch Merchandise von The Hirsch Effekt, Jinjer, System Of A Down, Leprous und Soulsplitter zur Schau getragen – bemerkenswert!
Zudem überraschten die Briten mit einer Song-Auswahl, die trotz eines aktuellen Albums den Fokus auf das Konzeptalbum “The Visitor” legte. Zudem wurden, entsprechend dem Jubiläums-Motto, auch alle neun weiteren Studio-Alben mit mindestens einem Stück berücksichtigt. Eine ausgewogene Setlist also, zu deren Höhepunkten sicherlich ‘The Butterfly Man’, ‘Salamander’ sowie das vom aktuellen Album stammende ‘Tinder Box’ gehörten. Ein Stück, dem man anhören konnte, dass es mit Damian Wilsons Stimme im Hinterkopf geschrieben worden war. ‘The Visitor’ wirkte hiernach tatsächlich nur noch wie ein kleines Anhängsel am Ende des Sets.
Groß war die Freude, als Pointer, Nolan, Mitchell, Amos und Wilson dann noch einmal für eine Zugabe auf die Bühne kamen und endlich den ersten wirklichen Longtrack des Abends aufführten. Dass dabei die Wahl auf ‘Solomon’ fiel, war schon
fast vorhersehbar, da “Songs From Lions Cage” bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht berücksichtigt worden war. Doch schwächte dies die Reaktionen des Publikums in keiner Weise ab. Ganz im Gegenteil. Denn als Clive Nolan seinem Keyboard die so charakteristischen ersten Noten des Liedes entlockte, schwebten große Teile des Publikums auf Wolke Sieben. Von der aus sie dann die nächsten knapp 15 Minuten erlebten, in denen sie Arena auf eine wahre Neo-Prog-Achterbahnfahrt mitnahmen. Alleine dieses Erlebnis war schon die zwei Stunden Anreise nach Aschaffenburg wert gewesen.
Doch Arena beließen es nicht bei einer Zugabe, sondern kamen noch einmal für zwei weitere Songs auf die Bühne. Zum einen für ‘Enemy Within’, dem wohl energiegeladensten Track vom 1998er Konzeptwerk und zum anderen, wie könnte es anders sein, für ein Stück, das schon seit vielen Jahren den Abschluss eines jeden Arena-Konzertes bildet: ‘Crying For Help VII’. Ein Lied, bei dem es dann auch fast egal war, wer mittlerweile der Lead-Sänger bei Arena ist, da die Backing Vocals seitens des Publikums dieses A-Capella-Stück seit jeher dominieren.
Zwar waren Arena niemals wirklich ganz weg, aber zumindest für den Autoren war dieser Auftritt ein grandioses Comeback.
Welcome Back! To The Stage
Surftipps zu Arena
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Rezension: “The Theory Of Molecular Inheritance” (2022)
Rezension: “From The Beginning” (2020)
Rezension: “Double Vision” (2018)
Rezension: “The Unquiet Sky” (2015)
Rezension: “The Seventh Separation” (2011)
Rezension: “Pepper’s Ghost” (2005)
Rezension: “Live and Life” (2004)
Rezension: “Contagium” (2003)
Rezension: “Contagious” (2003)
Rezension: “Contagion” (2002)
Weitere Surftips:
Veranstalter & Venue: Colos-Saal